ʿĀʾiša bint Abī Bakr, Mutter der Gläubigen

Artikel 06.04.2017 Redaktionsteam

Dieser Beitrag handelt von ʿĀʾiša bint Abī Bakr, der Ehefrau des Propheten Muhammad und Mutter der Gläubigen. Zunächst wird auf die Frage nach ihrem Geburtsjahr eingegangen und dessen Zusammenhang mit ihrer Heirat. Danach wird ihre Rolle im Haus des Propheten und nach dessen Tod beleuchtet sowie ihre besondere Stellung als religiöse Wissensvermittlerin.


ʿĀʾiša bint Abī Bakr (gest. 678) war die dritte Ehefrau des Propheten Muhammad (gest. 632) und eine der Mütter der Gläubigen.1 Viel ist sowohl von ihr selbst als auch über ihre Person überliefert worden. Dennoch scheint es schwierig, wenn nicht unmöglich, ein historisch korrektes Bild von ihr zu zeichnen. Zudem wurde ʿĀʾišas Name offensichtlich benutzt, um bestimmte Interessen zu stützen, worauf im Folgenden noch eingegangen werden soll. Auch gibt es in Bezug auf ʿĀʾiša einen Unterschied zwischen der sunnitischen und der schiitischen Darstellung. Letztere skizziert oft ein negatives Bild von ʿĀʾiša, wohingegen die Prophetentochter Fatima (gest. 632) als beispielhaft dargestellt wird.2

ʿĀʾiša wurde in Mekka als Tochter von Umm Rūmān (gest. 628) und Abū Bakr (gest. 634), einem engen Vertrauten und späteren Nachfolger Muhammads, geboren. Bereits im Hinblick auf ʿĀʾišas Geburtsjahr ergeben sich Ungereimtheiten. Meist wird das Jahr 613 oder 614 angegeben bzw. das Jahr 8 oder 9 vor der Hidschra.3 Das Alter ʿĀʾišas ist im Hinblick auf ihre Ehe mit Muhammad relevant. Der vorherrschenden Meinung zufolge hat der Prophet als 52-Jähriger ʿĀʾiša im Alter von sieben oder neun Jahren geheiratet. Dies wird zwar oft dahingehend kommentiert, solche Ehen seien zur damaligen Zeit üblich gewesen, andernfalls hätten Muhammads Zeitgenossen Einwände dagegen erhoben, was offenbar nicht der Fall war.4 In der modernen, westlichen Sicht hat diese Annahme des jungen Heiratsalters ʿĀʾišas jedoch zu extrem kontroversen Diskussionen geführt. So nannte etwa Ayaan Hirsi Ali den Propheten "einen perversen Mann"5. Ein anderes Beispiel betrifft die FPÖ-Politikerin Susanne Winter, die im Grazer Gemeinderatswahlkampf des Jahres 2008 den Propheten Muhammad als "Kinderschänder im heutigen Rechtsverständnis" bezeichnete.6

Fakt ist, dass sich die Überlieferungen bezüglich ʿĀʾišas Heiratsalters teilweise stark widersprechen. Nach Ibn Hišām (gest. ca. 830) heiratete Muhammad die siebenjährige ʿĀʾiša in Mekka, zwei oder drei Jahre später begann sie in Medina mit ihm zusammenzuleben.7 Damit deckt sich auch aṭ-Ṭabarīs (gest. 923) Meinung. Andererseits sagt aṭ-Ṭabarī auch, dass alle vier Kinder Abū Bakrs in der vorislamischen Zeit, also vor dem Jahr 610, geboren worden seien und widerspricht sich somit selbst, denn demzufolge wäre ʿĀʾiša bei ihrer Hochzeit mindestens vierzehn Jahre alt gewesen. Laut Ibn Haǧar (gest. 1449) wiederum war ʿĀʾiša bei ihrer Eheschließung zwölf Jahre alt. Die meisten Erzählungen zu diesem Thema stammen allein von Hišām ibn ʿUrwah (gest. 763) aus einer Zeit, als dessen Gedächtnis altersbedingt stark nachgelassen hatte, und gelten daher als unzuverlässig. Es gibt noch weitere Quellen, die ʿĀʾišas Heiratsalter mit 18 oder 20 Jahren ansetzen. Man kann also davon ausgehen, dass es sich bei der Erzählung von ʿĀʾiša als Kindbraut tatsächlich um eine Sage handelt.8

Ein Ereignis, das sowohl variantenreich in die Überlieferungen und Ibn Isḥāqs (gest. um 767) Muhammad-Biographie Eingang fand als auch in den Koran, ist unter der Bezeichnung Halskettenaffäre oder Lügenskandal (arab. ḥadīṯ al-ʾifk) bekannt geworden. Auf der Suche nach einer verlorenen Halskette hatte sich ʿĀʾiša während einer Rast vom Heer entfernt, das sich nach dem Feldzug gegen den Stamm der banū al-muṣṭaliq gerade am Rückweg befand. Das Heer brach auf, ohne zu bemerken, dass sich ʿĀʾiša nicht in ihrer mit Vorhängen verdeckten Trage auf dem Kamel aufhielt. Der ebenfalls zurückgebliebene Prophetengefährte (ṣaḥābī, Pl. ṣaḥāba) Safwān ibn al-Muʿattal fand ʿĀʾiša, erkannte sie als die Frau des Propheten, da sie zur damaligen Zeit noch unverschleiert war, und brachte sie auf seinem Kamel zurück nach Medina. Daraufhin verbreitete sich das Gerücht des Ehebruchs, was vor ʿĀʾiša zunächst verborgen gehalten wurde, die gleich nach ihrer Rückkehr erkrankt war und im Haus ihrer Eltern weilte. Als sie schließlich doch von den Anschuldigungen hörte, war sie tief getroffen. Der Prophet riet ʿĀʾiša, ihre Schuld, so vorhanden, vor Gott einzugestehen und Reue zu zeigen. Sie beteuerte ihre Unschuld, woraufhin diese mit der Offenbarung der Sure 24:4-20 auch koranisch bezeugt wurde.9 Gleichzeitig führten diese Verse bezüglich der Bestrafung von Ehebruch die Bedingung ein, diesen Vorwurf mit vier Augenzeugen zu untermauern.10

Auch nach Muhammads Tod sollte ʿĀʾiša in mehrfacher Hinsicht eine besondere Rolle spielen. In die Geschichte eingegangen ist die sogenannte Kamelschlacht im Jahr 656, benannt nach dem Kamel, von dem aus ʿĀʾiša als junge Witwe dem Kampf gegen den sechzigjährigen Cousin und Schwiegersohn Muhammads, ʿAlī bin Abī Ṭālib (gest. 661), beiwohnte. Es war dies der erste innermuslimische Kampf, bei dem es offiziell um Rache für den ermordeten Kalifen ʿUṯmān (gest. 656) ging. ʿĀʾiša stand als treibende Kraft dahinter, wobei ihr als Motiv persönliche Abneigung bzw. Hass gegenüber ʿAlī zugeschrieben wird.11

Eine weitaus positivere und weitreichende Rolle hat ʿĀʾiša als Wissensübermittlerin inne. "Lernt einen Teil eurer Religion bei der kleinen Rothaarigen."12 Die Rothaarige bezieht sich auf ʿĀʾiša und Muhammad wies ihr mit diesem Ausspruch die "Funktion und Kompetenz einer Lehrenden zu, der er uneingeschränktes Vertrauen entgegenzubringen scheint."13 Mehr als 2000 Hadithe wurden von ihr überliefert.14 ʿĀʾiša wird als "wissbegierige Frau bezüglich religiöser Themen" beschrieben, die sich durch einen "kritischen Verstand" auszeichnet, "der Informationen hinterfragte und reflektierte."15 Sie war in der muslimischen Gemeinschaft weithin als Autorität bezüglich des Korans bekannt16 und hatte "spezielle Kenntnisse über die Offenbarung, die sie mit keiner anderen Frau zu teilen schien."17 Von ihr sind als einziger Frau "eine chronologische Aufreihung von Versen und Kritiken und Korrekturen zu Interpretationen von Koranversen überliefert."18 Ibn Saʿd (gest. 845) berichtete, er habe "die ehrwürdigsten Männer von den ältesten Gefährten Muhammads gesehen, wie sie sie [ʿĀʾiša] nach al-farāʾiḍ fragten."19 Die herausragende Stellung ʿĀʾišas führte dazu, dass der Tradentenkette (isnād) mancher Überlieferungen ihr Name hinzugefügt wurde, um ihnen besondere Legitimität zu verleihen.20

Es ist auch überliefert, "dass ʿĀʾiša frauenfeindliche Hadithe, die der Frau Unheil und Unglück zusprachen [...] oder ihre Unvollkommenheit zum Ausdruck brachten, korrigierte bzw. diese mit den Aussprüchen, Handlungen und Gewohnheiten des Propheten widerlegte. Somit legte ʿĀʾiša auch den Grundstein der heutigen Hadithkritik."21 Einmal soll ʿĀʾiša Abū Huraira (gest. um 679) ermahnt haben: "Das nächste Mal, wenn du versuchst, die Worte des Propheten zu wiederholen, dann achte auf das, was du erzählst."22. Sie soll ihm sogar vorgeworfen haben: "Du erzählst Hadithe, die du nie gehört hast."23

Für muslimische Frauen heute kann ʿĀʾiša als Vorbild dienen, wenn sie teilweise mit einem Frauenbild kämpfen, das durch bestimmte Überlieferungen in der Vergangenheit fixiert wurde.24 In der modernen Literatur wird sie "als Vorreiterin in Sachen Frauenrechte bzw. erste Frauenrechtlerin im Islam bezeichnet."25

1 Anm.: Als Mütter der Gläubigen werden in der islamischen Tradition die Ehefrauen des Propheten bezeichnet.

2 Vgl. Elif Medeni: Der Prophet der Frauen - Muslimische Frauen im Spannungsfeld von vorbildhafter Sunna und frauenfeindlichen Hadithüberlieferungen, in: Yaşar Sarıkaya u.a. (Hg.): Muhammad. Ein Prophet - viele Facetten (= Transliminale Diskurse der Islamischen Theologie, Band 1), Berlin: Lit 2014, S. 149-177, hier: Anm. 26, S. 156.

3 Vgl. bspw. A. J. Wensinck/J. H. Kramers (Hg.): Handwörterbuch des Islam, Leiden: Brill 1941, S. 29.

4 Vgl. T. O. Shanavas: "War Aisha eine sechsjährige Braut? Aufdeckung einer alten Sage", Übersetzung aus dem Englischen von Halima Krausen, in: Huda - Die Rechtleitung (2006), S. 8-17. Englisches Original: Shanavas, T. O.: Ayesha´s Age: The Myth of a Proverbial Wedding Exposed 2014, www.irfi.org/articles/articles_151_200/ayesha_age_the_myth_of__a_prover.htm, abgerufen am 06.06.2016.

5 Anm.: In der Tageszeitung Trouw vom 25. Januar 2003, vgl. Hans Jansen: Mohammed. Eine Biographie, München: Beck 2008, S. 320.

6 Anm.: Winter wurde deshalb im Jänner 2009 wegen Herabwürdigung religiöser Lehren und Verhetzung zu drei Monaten bedingter Haft und 24.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Vgl. Susanne Winter: Urteil wegen Verhetzung bestätigt, diepresse.com/home/politik/innenpolitik/488095/Susanne-Winter_Urteil-wegen-Verhetzung-bestaetigt, abgerufen am 08.06.2016.

7 Vgl. H. Jansen 2008, S. 321.

8 Vgl. T. O. Shanavas 2006.

9 Vgl. E. Medeni 2014, S. 163-165.

10 Vgl. H. Jansen 2008, S. 220.

11 Vgl. Gudrun Krämer: Geschichte des Islam (= dtv, Band 34467), München: Dt. Taschenbuch-Verl. 2011, S. 40.

12 Imam Zarkachī: al-Ijaba li-Iradi Ma-Astadrakathu Aicha ʿala as-Sahaba. Hg. von Said al-Afghani, Beirut: al-Maktab al-Islami 1980, S. 31, zit. nach Fatima Mernissi: Der politische Harem. Mohammed und die Frauen, Herder: Freiburg u.a. 1992, S. 106.

13 Doris Decker: Frauen als Trägerinnen religiösen Wissens. Konzeptionen von Frauenbildern in frühislamischen Überlieferungen bis zum 9. Jahrhundert (= Theologie 2013), Stuttgart: W. Kohlhammer 2013, S. 338.

14 Vgl. Carl W. Ernst: Mohammed folgen. Der Islam in der modernen Welt, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 170.

15 D. Decker 2013, S. 166.

16 Vgl. ebd., S. 300.

17 Ebd., S. 382.

18 Ebd.

19 Ibn Saʿd zit. nach ebd., S. 351. Anm.: al-farāʾiḍ bezieht sich auf die religiösen Vorschriften oder im Speziellen auf die obligatorischen Erbanteile, vgl. ebd.

20 Vgl. ebd., S. 221.

21 E. Medeni 2014, S. 158f.

22 Imam Zarkachī 1980, zitiert nach F. Mernissi 1992, S. 99.

23 Ebd.

24 Vgl. E. Medeni 2014, S. 159.

25 Ebd. 2014, Anm. 14, S. 153.

Sarıkaya, Yaşar u.a. (Hg.): Muhammad. Ein Prophet - viele Facetten (= Transliminale Diskurse der Islamischen Theologie, Band 1), Berlin: Lit 2014.

Decker, Doris: Frauen als Trägerinnen religiösen Wissens. Konzeptionen von Frauenbildern in frühislamischen Überlieferungen bis zum 9. Jahrhundert (= Theologie 2013), Stuttgart: W. Kohlhammer 2013.

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