Ästhetische Chirurgie im Islam
Ästhetische Chirurgie als Teil der plastischen Chirurgie
Die Bezeichnung Plastische Chirurgie leitet sich vom griechischen „plássō“, im Deutschen „bilden, gestalten, formen“ ab, was ursprünglich mit dem Aufstreichen bzw. Flachklatschen von Ton konnotiert ist. Die Plastische Chirurgie befasst sich mit der Rekonstruktion oder der Veränderung des menschlichen Körpers und gliedert sich in zwei Bereiche: die kosmetische Chirurgie (auch: ästhetische Chirurgie) und die rekonstruktive Chirurgie. Bei der ästhetischen Chirurgie geht es darum, die Gesichts- und Körperzüge der PatientInnen auf rein ästhetischer Ebene zu verbessern, ohne dass eine Deformierung aufgrund eines Traumas vorliegt.1 Es ist also die Umformung eines oder mehrerer Teile des menschlichen Körpers aus ästhetischen Gründen. Ein solcher Eingriff wird durchgeführt, obwohl aus medizinischer Sicht keine Notwendigkeit bzw. kein Leiden im physischen Sinne vorliegt. Die ästhetische Chirurgie ist in den letzten Jahren sehr populär geworden: Mehr als 9 Millionen Operationen wurden beispielsweise in den Vereinigten Staaten durchgeführt, wo durch ästhetische Operationen ein großer, boomender Markt geschaffen wurde:2 „Im Jahr 2020 waren die USA mit rund 1,46 Millionen Schönheitsoperationen, oder 14,7 Prozent aller chirurgischen Eingriffe, das Land mit den meisten weltweit. Den zweiten Platz sicherten sich die Brasilianer*innen mit rund 1,31 Millionen Schönheitsoperationen, was ungefähr 12,9 Prozent entspricht“3
Zu den am häufigsten durchgeführten ästhetischen Eingriffen zählen Brustvergrößerungen, Neugestaltungen der Nase, Fettabsaugungen und verschiedene Arten von Gesichtsstraffungen.4
Die rekonstruktive Chirurgie hingegen befasst sich mit der Wiederherstellung von Funktionsstörungen, die durch Traumata, Unfälle, Krankheiten oder angeborene Defekte entstanden sind. Sie wird zur Heilung oder Milderung körperlicher Leiden durchgeführt.
Dieser Beitrag bezieht sich vor allem auf die kosmetische bzw. ästhetische Chirurgie, da diese ethisch sowie religiös umstritten ist.5
Die kosmetische Chirurgie wirft mehrere kontroverse Fragen auf, welche die traditionellen Konzepte von freiem Willen, Schönheit, menschlicher Identität, Würde und der Beziehung zu Gott in Frage stellen.6 Vor allem Letzteres, die religiöse Überzeugung, ist ein oft übersehener Aspekt der menschlichen Prägung.7 Aufgrund dessen ist es wichtig, die ästhetische Chirurgie und ihre Legitimität auch im Hinblick auf die Religion, in diesem Fall auf den Islam, genauer zu untersuchen.
Schönheit und kosmetische Veränderungen im Islam
In vorislamischer Zeit (der sog. ǧāhilīya) wurde jenes Mädchen als „das Schönste“ bezeichnet, welches keine Hilfsmittel benötigte, um ihre natürliche Schönheit zu unterstreichen. Demnach scheinen optisch-künstliche Veränderungen am Körper in vorislamischer Zeit gar kein Thema gewesen zu sein. Dies irritiert, wenn bedacht wird, dass in den muslimischen Rechtsbüchern Verfahren und Fragen zur Veränderung des Aussehens wie Haarfärbung, Enthaarung usw. diskutiert werden. Auch in den Überlieferungen des Gesandten Muhammad finden sich Aussagen, die sich für oder gegen das Haarefärben aussprechen; dazu gehören beispielsweise Berichte über die Propheten Ibrahim und Muhammad, die es praktizierten (oder es ablehnten).8 Im Koran und in den Hadithen nimmt das Thema der äußeren Erscheinung, Körperpflege, Hygiene und Ästhetik eine wichtige Stellung ein. Ein Grundprinzip lautet: Gott ist schön und liebt die Schönheit.9 Die körperliche Erscheinung sowie Kleidung und Schmuck werden als Gnade Gottes gesehen und sollten daher gepflegt werden, so die generelle Haltung.
Im Koran wird an mehreren Stellen erwähnt, mit welch außergewöhnlicher Schönheit Gott den Menschen erschaffen hat: „Wahrlich, Wir erschaffen den Menschen in bester Gestaltung.“10
Heute steht jedoch auch die islamische Welt vor dem Dilemma des ständigen Veränderns dessen, was als „Gottes Schöpfung“ definiert wird. Weil Schönheitsoperationen auch unter Musliminnen (und Muslimen) immer mehr an Popularität gewinnen, beschäftigt dieses Thema zunehmend die muslimischen Gelehrten. Vor allem geht es darum zu eruieren, ob Schönheitsoperationen zulässig sind, und wenn ja, unter welchen Umständen diese als islamisch legitim gelten können.
Grundsätzlich herrscht die einstimmige Meinung, dass Operationen, die keinen medizinischen, sondern lediglich einen ästhetischen Grund haben, MuslimInnen nicht erlaubt sind und deshalb als ḥarām (verboten) einzustufen sind. Als Grundlage für das Verbot solch grundloser ästhetischen Operationen wird des Öfteren Koran 4:119 herangezogen: „[…] und ich werde ihnen befehlen – und sie werden Gottes Schöpfung verderben!“
Einige Gelehrte vertreten die Ansicht, dass Schönheitsoperationen die Folge einer materialistischen Konzeption sind, die sich in erster Linie auf den Körper konzentriert und diesen idealisiert. Verantwortlich für diesen Trend werden vor allem die von Hollywoodstars und den Medien gesetzten Standards eines (vermeintlich) idealen Körpers gemacht. Menschen, die sich mehr mit ihrem Körper als mit ihrer Seele beschäftigen, würden ständig ihr Äußeres verändern wollen und sich dadurch dem, was von Gott geschaffen wurde, widersetzen. Zudem würden sie sich selbst Schmerzen, Qualen und Geldverschwendung aussetzen.
Demnach sind nach überwiegender Meinung der Gelehrten Operationen nicht zulässig, wenn der Zweck dieser Eingriffe darin besteht, eine normale, gesunde Körperstruktur zu verändern, um das Aussehen zu verbessern und das Selbstwertgefühl einer Person zu steigern oder für andere attraktiver zu erscheinen. Diese Ansicht wird mit verschiedenen Überlieferungen untermauert, bei denen es zwar nicht um starke Veränderungen, wie sie bei tatsächlichen operativen Eingriffen die Folge sind, geht, jedoch von Gelehrten analog auch auf solche bezogen werden.11 Ein bekanntes Beispiel ist der Hadith, in welchem Frauen (unter anderem) verboten wird, sich die Augenbrauen zu zupfen.12
Vor allem die Durchführung von Operationen mit böser Absicht werden strikt als verboten angesehen: Dazu werden kosmetische Eingriffe gezählt, die andere Menschen täuschen sollen (wenn z.B. ein Facelifting dafür sorgen soll, jünger auszusehen, in der Absicht, einen Heiratskandidaten zu täuschen), weiters Operationen, die dazu dienen, Kriminelle unerkannt werden zu lassen, aber auch geschlechtsangleichende Operationen (Geschlechtsumwandlung)13 – wobei bezüglich Letzteren in Frage gestellt werden muss, dass es den Betreffenden um eine Täuschungsabsicht ginge.
Plastische Operationen hingegen, die zum Wohle der Menschen und mit medizinischer Indikation gerechtfertigt werden, wie es bei rekonstruktiven Operationen der Fall ist, sind grundsätzlich erlaubt. Der Grund dafür ist, dass es bei diesen Eingriffen darum geht, das Leiden der Menschen zu lindern und ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern.14
Die wandelnde Einstellung zur ästhetischen Chirurgie im Islam
Zu dem soeben Erwähnten gibt es vermehrt Meinungen unter Gelehrten, dass jede Art von kosmetischer Chirurgie einzeln untersucht werden sollte, weil jeder Mensch seine eigenen Beweggründe hat, welche die Grundlage für eine angemessene rechtliche Beurteilung sein sollten. Die Motivation für viele moderne Schönheitsoperationen ist nicht immer nur der Wunsch nach bloßer Verschönerung. Vielmehr können auch andere Gründe eine Rolle spielen, die man in die Kategorie der Notwendigkeiten einordnen könnte, wodurch das, was eigentlich als unrechtmäßig gilt, rechtmäßig wird. So wären beispielsweise Bauchdeckenstraffungen zulässig, wenn sie der medizinischen Behandlung zum Schutz vor schweren Krankheiten dienen, aber auch im Fall von Frauen, die nach mehreren Schwangerschaften wieder die natürliche Form erhalten möchten.15 Für solche „Ausnahmefälle“ bietet das islamische Recht generell andere Regelungen: Notwendigkeiten haben Vorrang vor Verboten. Unerlaubte Bestandteile sind erlaubt, wenn sie lebensrettend sind oder von einem vertrauenswürdigen muslimischen Arzt verschrieben werden, und wenn keine rechtmäßigen Alternativen verfügbar sind.16
Dass sich in jüngerer Zeit ein Wandel ergeben hat, zeigt auch der starke Boom von ästhetischen Operationen in muslimisch geprägten Ländern, vor allem in der arabischen Welt.
Viele Ergebnisse ästhetischer Chirurgie sind vor allem bei vollverschleierten Frauen aus arabischen Ländern wie Saudi-Arabien zwar nicht öffentlich sichtbar, in den letzten Jahren sind in den Straßen der arabischen Großstädte jedoch Zentren für plastische Chirurgie – vor zehn Jahren noch eine Seltenheit – wie Pilze aus dem Boden geschossen. Zudem zeigt sich die Popularität kosmetischer Eingriffe auch am kommerziellen Wettbewerb zwischen den arabischen Ländern: Syrien war viele Jahre lang ein begehrtes Ziel für arabische Frauen aus Jordanien, Libanon, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die wegen der niedrigeren Kosten und der Fähigkeiten der syrischen Schönheitschirurgen nach Damaskus reisten.17 Laut einer Studie der ISAPS (International Society of Aesthetic Plastic Surgery) aus dem Jahre 2020 ist es jedoch aktuell die Türkei, welche unter den muslimischen Ländern am Markt der Schönheitsoperationen führend ist.18 Aber auch Libanon und Ägypten zählen dazu. Der Iran hingegen wird oft als „das“ Nasenoperationen-Land der Welt angesehen.19
Fazit
Die plastische Chirurgie unterteilt sich in kosmetische (ästhetische) und rekonstruktive Chirurgie. Aus islamischer Sicht wird die Praxis der rekonstruktiven Chirurgie akzeptiert, welche generell zum medizinischen Wohle der PatientInnen durchgeführt wird, wohingegen hinter der ästhetischen Chirurgie lediglich die körperliche Verschönerung des Menschen als Motiv steht. Dementsprechend wird diese Art von plastischer Chirurgie kritisch gesehen: Zahlreiche Koranverse und Hadithe zeigen auf, dass das Verändern eines Körperteils ohne triftigen Grund im Islam verboten ist. Betont wird generell die perfekte Erschaffung des Menschen durch Gott, woraus abgeleitet wird, dass der Mensch mit der Art und Weise zufrieden sein solle, wie Gott ihn geschaffen hat. Nichtsdestotrotz ist das islamische Recht gegenüber der ästhetischen Chirurgie nicht absolut ablehnend. Es erhebt vielmehr Einwand gegen Übertreibung und extreme Formen. Wann immer eine Notwendigkeit für plastisch-chirurgische Eingriffe besteht, gesteht auch das islamische Recht eine Ausnahme zu.