Die Hauptquellen des Islam
Der Koran (al-qurʾān)
Der Koran ist die erste Quelle des Islam. Er ist das Wort Gottes, hinabgesandt an den Propheten Mohammed durch den Erzengel Gabriel (Ǧibrīl) in arabischer Sprache, das authentisch (tawatūr) überliefert und in den Muṣḥaf (koranischer Textkorpus) niedergeschrieben worden ist, dessen Rezitation einen Gottesdienst darstellt und nicht durch Menschen nachgeahmt werden kann.1
Der Koran ist ein Wegweiser und beinhaltet Prinzipien, die in verschiedenen Epochen verstanden und in ihrem Kontext umgesetzt werden können. Der göttliche Ursprung des Koran ist weder ein Hindernis für seine Übersetzung noch für seinen Kommentar und seine Interpretation. Die Universalität des Koran besteht gerade in der Möglichkeit, ihn in seinem historischen Kontext zu verstehen und daraus Prinzipien für die Gegenwart abzuleiten. Die göttliche Offenbarung ist eine einheitliche Botschaft. Sie begann mit der Menschwerdung und wurde mit der Sendung des Propheten Mohammed vollendet und abgeschlossen.2
Die Tradition des Propheten Mohammed (sunna)
Die Sunna ist die zweite Quelle des Islam. Um seine Botschaft den Menschen angemessen verkünden zu können, ernannte Gott aus der Mitte der Menschen einen Propheten, damit er als lebendiges Beispiel und Vorbild dienen kann. Unter den vielen Propheten ist Prophet Mohammed der letzte und daher auch derjenige, der mit der Fähigkeit ausgestattet worden ist, die letzte Botschaft Gottes zu übermitteln, zu erläutern, vorzuleben und sie zu interpretieren. Daher umfasst die Sunna die Lehraussagen, die vorbildhaften Taten und die Billigungen des Propheten Mohammed im Bereich der religiösen Lehre. Die Überlieferungen (ḥadīṯ) des Gesandten Gottes müssen nach dem koranischen Gesamtbild und aus ihrem historischen Kontext heraus verstanden werden, um in der Gegenwart angewandt werden zu können. Da eine wortwörtliche Übernahme sehr oft dem eigentlichen Sinn der Überlieferung widerspricht, sollte diese keine Anwendung finden.3
Übereinstimmung der islamischen Rechtsgelehrten (al-iǧmāʿ)
Der Begriff al-iǧmāʿ steht für Übereinkunft bzw. Konsens der muslimischen Rechtsgelehrten im Urteil zu einem bestimmten Thema. Es gibt zwei Arten von Übereinstimmungen: Die offene, bei der alle Rechtsgelehrten die gleiche Meinung vertreten oder den Schweigekonsens, bei dem auf die Ansicht eines Rechtsgelehrten kein Einspruch durch die anderen Religionsgelehrten erhoben wird.4
Der Analogieschluss (al-qiyās)
Der Analogieschluss ist ein essentielles Mittel zur Normfindung, wenn zu einer bestimmten Gegebenheit weder eine Aussage im Koran oder der Sunna existiert, noch ein Gelehrtenkonsens (iǧmāʿ) vorhanden ist. Demzufolge können sich die gläubigen MuslimInnen, wenn es um Antworten der Religion in Bezug auf neue und aktuelle Fragestellungen geht, an den Meinungen der Gelehrtenkollegien in den traditionsreichen Gelehrtenstätten der islamischen Welt orientieren. Allerdings bleibt das eigene Gewissen die oberste Instanz des volljährigen und zurechnungsfähigen gläubigen Menschen, der die Verantwortung für seine eigene Entscheidung vor Gott zu tragen hat.5
Bei der islamischen Normfindung existieren neben diesen primären Quellen, die hierarchisch geordnet sind, noch weitere sekundäre Rechtsquellen, auf die bei weiteren Beiträgen eingegangen werden soll. Demzufolge gibt es beispielsweise das Gemeinwohl (al-maṣlaḥa al-mursala), das Fürgutbefinden (al-istiḥsān), auch rechtliche Präferenz genannt, sowie das Gewohnheitsrecht (al-ʿurf), über dessen Anwendung und Legitimität allerdings kontroverse Meinungen herrschen.6