Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch. Ein offener Brief muslimischer Gelehrter als Anstoß zum christlich-muslimischen Dialog?

Artikel 10.04.2017 Redaktionsteam

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Ursache und Analyse des offenen Briefes mit dem Titel Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch, den 138 muslimische Gelehrte im Jahr 2007 an Papst Benedikt XVI. sowie hohe christliche Würdenträger verfasst haben. Die zentrale Aussage des Briefes besteht im Aufruf zum gemeinsamen Dialog von Christentum und Islam mit dem Ziel, den Weltfrieden zu sichern. Abschließend wird in diesem Text kurz der Blick auf den interreligiösen Dialog in Österreich gerichtet.


Am 12. September 2006 hielt der damalige Papst Benedikt XVI. (im Amt 2005 - 2013) an der Universität Regensburg eine Ansprache mit dem Titel Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen. Der Papst zitierte darin im Zusammenhang mit dem Thema Religion und Gewalt den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos (gest. 1425) in einem Religionsdialog mit einem Muslim.1 Diese Ansprache wurde vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen zur Rede des Jahres 2006 erklärt aufgrund des errungenen "ungewohnten Maßes an weltweiter Aufmerksamkeit" sowie der "jenseits tagespolitischer Meinungen und Rücksichten" formulierten Antwort auf die "Frage nach dem richtigen Umgang mit religiösen Fundamentalismen".2 Die Jury bewertete die Rede als "eine höchst engagierte, argumentativ präzise und historisch gesättigte Ortsbestimmung christlichen Glaubens aus griechischem Geist"3 und lobte den Papst für das mutige Vortragen seiner Thesen, "ohne die oft als Dialog getarnte Bereitschaft zu Beschwichtigung und Anpassung".4 Die Rede sei jedoch gezielt missverstanden worden, so die Jury weiter.5 Tatsächlich kam es zu heftigen, auch gewalttätigen Reaktionen auf diese als "Regensburger Papstrede" in die Geschichte eingegangene Vorlesung. Die inhaltliche Kritik bezog sich auf Einseitigkeit und Unkenntnis bei der Zitatwahl.6 Allerdings hatte diese Ansprache Papst Benedikts langfristig gesehen positive Folgen, die er selbst wohl weder erwartet noch beabsichtigt hatte.

Zunächst reagierten am 12. Oktober 2006 38 muslimische Gelehrte7, Teilnehmer an der jährlichen Konferenz des königlichen Aal-al-Bayt-Instituts für Islamisches Denken in Jordanien, mit einem offenen Brief an den Papst.8 Anlass war dessen "Darstellung des Islam als Kontrapunkt einer korrekten Anwendung menschlicher Vernunft"9, die jedoch einige Fehler enthielte, mittels derer Papst Benedikt seine Behauptung gestützt habe.10

Als weitere Reaktion fand ein Jahr später in Amman ein Treffen zum Thema "Liebe im Koran" statt. Dort wurde zum ersten Jahrestag des offenen Briefes von 2006 ein Text erarbeitet, der die Grundlage für die "A Common Word"-Initiative11 bildete und von 138 Gelehrten unterzeichnet wurde. Adressiert ist dieser zweite offene Brief nicht allein an Papst Benedikt XVI., sondern auch an den Patriarchen der Orthodoxen Kirche von Konstantinopel, den Erzbischof von Canterbury und die Häupter der lutherischen, methodistischen, baptistischen und reformierten Kirchen.12 Im Unterschied zum offenen Brief des Jahres 2006 war das Echo diesmal überaus groß, bereits einen Monat später hatten führende christliche Theologen über 300 Stellungnahmen abgegeben.13

Im Oktober 2008 wurde den drei maßgeblichen Mitwirkenden14 an der "A Common Word"-Erklärung der Preis der Eugen-Biser-Stiftung verliehen. Dieser Preis wird unter anderem für interreligiösen und interkulturellen Dialog mit der Zielsetzung von Freiheit, Toleranz und Frieden vergeben. Die Preisträger wurden für ihren "außerordentlichen Beitrag zum muslimisch-christlichen Dialog und ihre konsequenten und segensreichen Bemühungen um den Frieden"15 ausgezeichnet. Die Liebe zu Gott, konkret ausgedrückt in der Liebe zum Nächsten, sei unverzichtbare Basis christlicher Existenz. "Eine größere Übereinstimmung in Ursprung und Zielsetzung mit dem epochalen offenen Brief 'A Common Word Between Us and You' ist kaum denkbar."16

Dieser Text – Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch. Ein offener Brief und Aufruf von muslimischen religiösen Führern – ist online abrufbar.17 Er umfasst – ohne die lange Liste der Unterzeichner – etwa zwanzig Seiten. Der Titel bezieht sich auf den Koran Sure 3:64:

Sprich: "O Volk der Schrift, kommt herbei zu einem gleichen Wort zwischen uns und euch, dass wir nämlich Gott allein dienen und nichts neben Ihn stellen und dass nicht die einen von uns die anderen zu Herren nehmen außer Gott." Und wenn sie sich abwenden, so sprecht: "Bezeugt, dass wir (Ihm) ergeben sind."18

Der Gesamttext ist in drei Abschnitte unterteilt. Teil eins zum Thema Gottesliebe geht zunächst auf die Gottesliebe im Islam und dann im biblischen Kontext ein. Teil zwei handelt von der Liebe zum Nachbarn bzw. der Nächstenliebe, ebenfalls sowohl aus islamischer als auch aus biblischer Sicht. Der dritte Teil trägt den Titel "Kommt auf ein gemeinsames Wort zwischen uns und euch" und befasst sich mit den gemeinsamen Grundlagen von Christentum und Islam sowie der Wichtigkeit eines respektvollen und ehrlichen Umgangs der Religionen für den Weltfrieden.19

"Die Zukunft dieser Welt hängt vom Frieden zwischen Muslimen und Christen ab",20 so heißt es zu Beginn der Erklärung, da die beiden Weltreligionen Christentum und Islam gemeinsam mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen. Sodann schließen die Gelehrten aus dem Vergleich von Koran- und Bibelstellen, dass beide Religionen die umfassende Liebe und Hingabe gegenüber Gott sowie die Nächstenliebe betonen.21 Zum Schluss rufen sie dazu auf, anstatt aufgrund der Verschiedenheiten Hass und Unfrieden zuzulassen, "nur in Rechtschaffenheit und guten Werken"22 wettzustreiten. "Lasset uns einander respektieren, fair, gerecht und freundlich miteinander umgehen und miteinander in ehrlichem Frieden, Harmonie und gegenseitigem Wohlwollen leben."23 Der Text endet mit dem Zitat der Sure 5:48, wo es heißt: "[...] Für jeden von euch haben Wir Richtlinien und eine Laufbahn bestimmt. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. [...] Darum sollt ihr um die guten Dinge wetteifern. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren. [...]"24

Bei allem Wohlwollen und aller Zustimmung, die dieser Brief zur Folge hatte, kann man über offenbleibende, kritische Punkte nicht hinwegsehen. Es stellt sich die Frage nach der konkreten Umsetzung dieses Kerngebots der Gottes- und Nächstenliebe, auf das die Verfasser so massiv hinweisen, in den "Lebenswelten pluraler Gesellschaften im Hier und Jetzt"25. Und dieses Gebot allein wird "ein gerechtes und friedliches Zusammenleben in Verschiedenheit"26 kaum garantieren können. Themen wie Religionsfreiheit, Menschenrechte und das Verhältnis Staat - Religion bleiben "die wahren Herausforderungen für das Leben in einer auch religiös globalisierten Welt".27

Als konkrete Reaktion des Vatikans auf "A Common Word" wurde das Katholisch-Muslimische Forum eingerichtet, das im November 2008 erstmals in Rom tagte.28 Auch fanden seit dem Jahr 2007 weltweit zahlreiche Konferenzen zu "A Common Word" statt, u. a. in Yale, Cambridge und Georgetown. Ende 2012 veranstalteten die Eugen-Biser-Stiftung und der Lehrstuhl für Praktische Philosophie mit dem Schwerpunkt Völkerverständigung der Hochschule für Philosophie München eine vierteilige Dialogreihe. Vertreter aus Islam, Christentum und Judentum erörterten die zentralen Themen des "A Common Word"-Dokuments sowie Chancen und Schwierigkeiten des interreligiösen Dialogs. Auf dieser Veranstaltung wurde die Wichtigkeit betont, "auch die säkulare Gesellschaft mit an den Tisch zu holen, um den Dialog zu erweitern und damit auf eine breitere und wirksamere Basis stellen zu können."29

Abschließend sei noch kurz der Blick auf den interreligiösen Dialog in Österreich gerichtet. Die bereits seit dem Jahr 2006 bestehende Initiative Plattform Christen und Muslime wurde 2014 als Verein neugegründet, mit dem Ziel, u. a. "Begegnung, Verständigung und eine Kultur gegenseitiger Rücksichtnahme zu fördern und sich am interreligiösen Dialog zu beteiligen".30 Dies im Wissen "um die Verantwortung aller vor Gott und den Menschen".31 Der Verein lädt alle Menschen in Österreich zu dieser Initiative ein, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft. Die Unterstützerliste der Plattform ist lang und beinhaltet bekannte österreichische Namen aus Politik, Kunst und Kultur.32 Der Verein organisiert Veranstaltungen und Kurse und bietet auf seiner Homepage u. a. Informationen zu den Themen Dialog der Religionen und Kulturen.33

Obwohl positive Initiativen dieser Art meist wenig mediale Präsenz erlangen, ist das Entscheidende doch, dass auch hierzulande Dialog stattfindet und Aktivitäten gesetzt werden, die ein Stück weit zu einem friedlichen Miteinander beitragen.

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