Feministische Ansätze bei MuslimInnen - Eine Einführung

Artikel 09.08.2016 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit dem Thema Feminismus im Islam. Beginnend mit einer Definition des Begriffes werden einige beachtliche Frauenbewegungen des 20. Jahrhunderts angeführt, die sich auf diese Thematik sensibilisiert und dabei große Fortschritte erreicht haben.


Die Stellung der Frau ist eine der aktuellsten Fragen der modernen Gesellschaft. Speziell die Religionen, unter diesen besonders der Islam, stehen unter Verdacht, eine frauenfeindliche Theologie zu vertreten, gestärkt durch die jüngsten weltpolitischen Ereignisse. So durften beispielsweise die Frauen in Saudi-Arabien erstmals 2015 an Wahlen teilnehmen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie sehr diese Positionen in der Religion selbst verankert und welche Bewegungen innerhalb des Islam vorzufinden sind, die einem patriarchalen Verständnis entgegenwirken. Der vorliegende Artikel soll in diesem Zusammenhang einen kurzen Einblick in einige islamische Frauenbewegungen und deren Vertreterinnen und Vertreter geben, die trotz anfänglichen Schwierigkeiten weltweit große Wirkung erzielten. Zunächst ist es jedoch wichtig, den Begriff Feminismus zu klären.

Die Ursprünge des Begriffes Feminismus reichen bis in die 1880er Jahre, in welchen er erstmals von Hubertine Auclert (gest. 1914), einer französischen Frauenrechtlerin, verwendet wurde. Im deutschsprachigen Raum verbreitete sich der Begriff erst in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und hat erst durch die Frauenbewegungen einen wichtigen Platz in der Gesellschaft erhalten. So wird heute darunter eine politische Theorie verstanden, die einen gesamtgesellschaftlichen Blick auf die soziale Ordnung von Mann und Frau anstrebt, mit dem Ziel einer Geschlechtergleichbehandlung in allen Lebensbereichen. Außerdem ist es wichtig anzumerken, dass es nicht nur den einen Feminismus gibt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich unterschiedliche Ansätze entwickelt, die in historische, soziale sowie politische Kontexte eingebunden sind,1 daneben auch in religiöse Kontexte, weshalb die göttliche Botschaft auf ihre Geschlechtergerechtigkeit hin analysiert werden sollte. Kann tatsächlich der Koran die Ursache für die Unterdrückung der Frau sein oder sind es vielmehr die MuslimInnen, die den ursprünglichen Geist der islamischen Lehre strikt vernachlässigt haben? Die neuesten Erkenntnisse der Moderne heben nämlich hervor, dass die Frauenverachtung auf patriarchalisch geprägte Interpretationen des Korans zurückzuführen sind.2 Diese vielfältige Deutungsmöglichkeit des Korans, die heute noch von Fundamentalisten missbraucht wird, brachte jedoch für manche Frauenrechtlerinnen eine Chance für Geschlechtergerechtigkeit, die im Folgenden durch ausgewählte Vertreter und Vertreterinnen vorgestellt werden.
Eine aus dem Iran stammende Feministin, Ziba Mir-Hosseini, die trotz aller Umstände ihre Scheidung nach langen Bemühungen durchsetzen konnte, nutzte das islamische Recht zu ihrem eigenen Vorteil, obwohl diese Scheidung durch ebendieses Recht ihr anfangs verweigert wurde. Seither beschäftigt sie sich mit der Thematik auf wissenschaftlicher Ebene, führt umfangreiche Feldstudien durch und hat neben vielen Aufsätzen und Werken auch einen Dokumentarfilm über die Situation der Frauen im Iran veröffentlicht. Auch Nawal El Saadawi, eine ägyptische Ärztin und Schriftstellerin, die sich für Frauenrechte einsetzt und mit ihren Büchern großen Einfluss auf viele junge Frauen hat, ist hier nennenswert. Ihren Beitrag zum islamischen Feminismus leistet sie durch Berichte über die frühislamische Situation und geht dabei unter anderem auf die Beziehung des Propheten Muhammad zu seinen Frauen ein.3 Für sie ist die Frauenunterdrückung auf die Zeit vor dem Islam zurückzuführen – begründet durch die Stellung von Eva im Alten Testament, welche die späteren Religionen übernommen haben. Für Saadawi kann jedenfalls die Auslegung einer Religion helfen, benachteiligte Menschen und Frauen zu unterstützen.4 So appelliert auch Amina Wadud, eine der wichtigsten Kämpferinnen für Frauenrechte, an die Frauen, den Koran als Text der Befreiung selbst zu lesen und versucht damit dem männlichen Monopol der Koranauslegung entgegenzuwirken.5 Diese Bemühungen alleine sind für sie jedoch nicht ausreichend. Sie vergleicht die Situation mit jener der Abschaffung der Sklaverei und betont die Notwendigkeit einer noch größeren kollektiven Bewegung. Bekannt wurde sie vor allem durch die Leitung eines Freitagsgebets in den USA im Jahre 2005.6 Asma Barlas, die eine ähnliche Interpretation des Korans verfolgt, hält fest, dass dem Text ein Sinn gegeben werden muss. Dabei ist ihre Herangehensweise von zwei Perspektiven geprägt, nämlich jene der männlichen und ihrer eigenen (anti-patriarchalischen). Sie begründet ihre These bei einer Islam-Konferenz in Toronto damit, dass die koranische Epistemologie auf einer bestimmten Sichtweise basiert, wonach Gott weder ein Geschlecht besitzt noch erschaffen wurde. Daraus zieht Barlas die Schlussfolgerung, dass dieser "Gott weder eine Affinität zu Männern noch einen Hass auf Frauen" haben kann.7 Die hier genannten und weitere Frauenbewegungen finden ihre Unterstützung auch bei Männern, wie beispielsweise bei Farid Esack. Der südafrikanische Theologe, der sich ebenso wie Saadawi auf die vorislamische Zeit bezieht, betont, dass archaische Bräuche mangels gesellschaftlicher Unterstützung nicht sofort verändert werden konnten, obwohl der Koran Verbesserungen für Frauen gebracht hat. Hierbei sieht Esack den Koran als "historisches Dokument" und vertritt die Meinung, den Koran kontextbezogen zu lesen und zu analysieren. Der Wille Gottes ist nach ihm die Erkennung der Grundprinzipien wie Emanzipation, Befreiung und Gleichheit in der göttlichen Offenbarung. Durch seine Thesen gehört Esack ebenso zu den renommiertesten islamischen Denkern des 20. Jahrhunderts. Ein weiterer Unterstützer der Frauenbewegung ist Ebrahim Moosa. Der ebenso aus Südafrika stammende Professor für Islamische Studien kritisiert vielmehr den Textfundamentalismus, wie der Koran gelesen wird. Ihm zufolge liefert der Koran keine Normen, welche von uns entdeckt werden sollen, sondern die Normen werden im Gespräch mit dem offenbarten Text geschaffen.8 Außerdem betont er, dass man im Koran, einem Text aus dem 7. Jahrhundert, nicht nach modernen Werten wie Gleichberechtigung suchen darf. Nach ihm sollte die göttliche Offenbarung vielmehr in seiner Geschichte und seiner "performativen" Rolle betrachtet werden.9

Zusammenfassend sei angemerkt, dass bei genauer Betrachtung der Geschichte ersichtlich wird, dass der Koran die ersten Schritte zu einer Verbesserung aufzeigt und sowohl Mann als auch Frau gleichberechtigt.10 Durch die fortlaufende Veränderung der Gesellschaftsformen bedarf es, um den anfänglichen progressiven Geist des Islam lebendig zu erhalten und in geeigneter Form im heutigen Kontext fortsetzen zu können, eines kontextuellen Verständnisses der islamischen Quellen und nicht einer worttreuen Nachahmung. Dies stellt unserer Meinung nach eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für jeden Menschen dar, der sich an der gottgegebenen Würde des Menschen orientiert.

1 Vgl. Gerhard, Ute: Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789 (= Beck'sche Reihe C.-H.-Beck-Wissen, Band 2463), München: Verlag C.H.Beck 2009, S. 7-9.

2 Vgl. Katajun Amirpur: Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte (= Beck'sche Reihe, Band 6075), München: Verlag C.H.Beck 2013, S. 37.

3 Vgl. ebd., S. 36.

4 Vgl. ebd., S. 37.

5 Vgl. ebd., S. 132.

6 Vgl. ebd., S. 128.

7 Vgl. Asma Barlas: Un-reading Patriarchal Interpretations of the Qur'an. Beyond the binaries of tradition and modernity, Toronto, Canada 2006, S. 4.

8 Ebrahim Moosa: "The debts and burdens of critical Islam", in: Omid Safi (Hg.), Progressive Muslims. On Justice, Gender and Pluralism, Oxford: Oneworld Publications 2003, S. 111-127.

9 Vgl. K. Amirpur, S. 40-42.

10 Vgl. Ein einziges Wort und seine große Wirkung. Eine hermeneutische Betrachtungsweise zu Qurʾan Sūra 4, Vers 34, mit Blick auf das Geschlechterverhältnis im Islam, Köln: ZIF – Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung 2005, S. 19-22.

Amirpur, Katajun: Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte (= Beck'sche Reihe, Band 6075), München: Verlag C.H.Beck 2013.

Barlas, Asma: Un-reading Patriarchal Interpretations of the Qur'an. Beyond the binaries of tradition and modernity, Toronto, Canada 2006.

Gerhard, Ute: Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789 (= Beck'sche Reihe C.-H.-Beck-Wissen, Band 2463), München: Verlag C.H.Beck 2009.

Hübsch, Khola M.: "Frauen im Islam. Die Religion ist nicht das Problem", in: Frankfurter Allgemeine Feuilleton vom 12.04.2011, <link www.faz.net/-gqz-yu50,&gt;http://www.faz.net/-gqz-yu50</link>, abgerufen am 03.03.2016.

Karram, Azza M.: Women, Islamisms and the state. Contemporary Feminisms in Egypt, London [u.a.]: Macmillan Press Ltd [u.a.] 1998.

Moosa, Ebrahim: "The debts and burdens of critical Islam", in: Omid Safi (Hg.), Progressive Muslims. On Justice, Gender and Pluralism, Oxford: Oneworld Publications 2003, S. 111-127.

Saadawi, Nawal El: Fundamentalismus gegen Frauen. Die "Löwin vom Nil" und ihr Kampf für die Menschenrechte der Frau (= Diederichs), Kreuzlingen, München: Heinrich Hugendubel 2002.

Schneider, Irene: Der Islam und die Frauen (= Beck'sche Reihe, Band 6011), München: Beck 2011.

Wadud, Amina: Qurʾan and woman. Rereading the sacred text from a woman's perspective, New York, Oxford: Oxford University Press 1999.

Ein einziges Wort und seine große Wirkung. Eine hermeneutische Betrachtungsweise zu Qurʾan Sūra 4, Vers 34, mit Blick auf das Geschlechterverhältnis im Islam, Köln: ZIF – Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung 2005.

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