"Gott ist schön und liebt die Schönheit". Ein Blick auf die Kunst im islamischen Kontext
"Gott ist schön und liebt die Schönheit." Dieser Ausspruch wird dem Propheten Mohammed (gest. 632) zugeschrieben1 und bietet sich geradezu an, wenn es um das Thema Kunst und Islam geht. Der Begriff "Islamische Kunst" ruft gewiss unterschiedliche Assoziationen hervor. MuslimInnen werden die zentrale Stellung der Kalligraphie als "Königin der Künste" erwähnen, "die zugleich Form und Inhalt verkörpert."2 Oder sie verweisen auf die vielfältige Schönheit in der Architektur der islamischen Welt, deren Gebiet sich von Marokko im Westen bis Südostasien erstreckt und unterschiedlichste Kulturen und Sprachen birgt.3
NichtmuslimInnen werden im Zusammenhang mit islamischer Kunst häufig negativen Gedankengängen folgen, verbunden mit dem Begriff des Bilderverbots, der Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan4 sowie dem "Karikaturenstreit"5 oder auch dem millionenschweren Raubhandel mit Antiquitäten durch den IS.6 Was aber macht islamische Kunst eigentlich aus? Lassen sich Prinzipien festlegen, mit denen man islamische Kunst definieren kann?
Die umayyadische7 Kunst, die seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts in Syrien und im Irak entstand, kann als Grundlage für die islamische Kunst angesehen werden. Sie stützt sich auf die hellenistische Kultur der Mittelmeerprovinzen des Byzantinischen Reiches und die sassanidisch-persische im Irak und im Iran.8 Die islamische Welt stand in ihrer Geschichte in regem Austausch mit anderen Zivilisationen und der Handel sowie die Eroberung neuer Gebiete brachten immer wieder die "Aufnahme neuer lokaler Themen und Ideen in den Hauptstrom der islamischen Kunst"9 mit sich. So entstanden etwa auch in der Architektur unterschiedliche regionale Stile wie der andalusische, osmanische, iranische oder der Mogulstil.10
In der europäischen Kunstgeschichte war islamische Kunst lange kein eigenständiges Thema. Erst im Jahr 1910 begann mit der bis dahin weltweit bedeutendsten Ausstellung "Meisterwerke muhammedanischer Kunst" in München die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung Europas mit islamischer Kunst.11
Auf der Suche nach einem islamischen Kunstverständnis findet man bei Oleg Grabar (gest. 2011) zwei sich widersprechende Aspekte: Einerseits "soll ein Kunstwerk Staunen oder Bewunderung hervorrufen", andererseits "gelten Kunstwerke als Illusion, als Lüge, da sie etwas Anderes vortäuschen, als sie sind."12 Worauf gründet sich diese ambivalente Haltung?
Der Koran enthält einige Standpunkte, aus denen gewisse, nicht immer einheitliche Einstellungen zur Kunst entwickelt wurden. Zentral ist im Zusammenhang mit islamischer Kunst immer die Frage nach einem Bilderverbot, bezogen auf das Abbilden von Lebewesen. Laut Koran ist Allah alleiniger Schöpfer (al-ḫāliq) und Gestalter (al-muṣawwir) und dem Menschen steht es nicht zu, mit Gott in seiner Schöpfung zu "konkurrieren".13 Ein explizites Bilderverbot enthält der Koran nicht, vielmehr spielt hier die negative Haltung des Propheten gegenüber Bildern die Hauptrolle.14 Die Ablehnung von Götzendienst (širk) ist zentrales Thema im streng monotheistischen Islam und in der Darstellung von Lebewesen wurde ein solcher potentiell vermutet. Obwohl es also kein ausdrückliches Verbot gibt, wurden Abbildungen aus der Angst vor Götzendienst heraus theologisch verurteilt und aus den Moscheen verbannt. Auch in Koranhandschriften ist die Darstellung von Lebewesen undenkbar. Im weltlichen Bereich wurde das Bilderverbot regional unterschiedlich und lockerer gehandhabt, man denke etwa an die Buchillustrationen in literarischen und wissenschaftlichen Werken oder die persische Miniaturmalerei.15 Dennoch kann man den Einfluss der Ablehnung von Bildern auf die islamische Kunst in unterschiedlicher Weise feststellen.16
In dieser Kunst, die Abbildungen vermeiden wollte, wurde die Geometrie zur bedeutenden Norm. Ab dem 10. Jahrhundert entstand ein Ornamenttypus – in der westlichen Welt als "Arabeske" bekannt geworden – in dem man Ranken, Blumen und Früchte zunehmend in stilisierter, abstrakter und geometrischer Form darstellte. Ausgehend vom damaligen kulturellen Zentrum Bagdad eroberte diese neue Form des Ornaments rasch die Kunst in der gesamten islamischen Welt. Die ornamentalen Einzelelemente fügte man zu flächenfüllenden Mustern zusammen,17 die sich über den gesamten Raum vom Fußboden bis zur Decke verteilten. Grabar bezeichnet diesen "horror vacui, die ,Angst vor dem Leeren'"18 als einen "Wesenszug eines großen Teils der abstrakten Kunst der islamischen Welt.''19
Auch auf die Kunst der Schönschrift, die Kalligraphie, hatte das Vermeiden von Bildern Einfluss. Als visueller Ausdruck von Frömmigkeit kann sie als eigentliche religiöse Kunstform des Islam betrachtet werden.20 Dies geschieht in neuerer Zeit sogar im Übermaß. Jürgen Wasim Frembgen ortet in reformistischen und fundamentalistischen Kreisen des sunnitischen Islam eine übermäßige Verehrung nicht-bildlicher Zeichen,21 so "als müsste die Schrift das Bild geradezu überwinden." Die Schriftkunst sei "zur Konstruktion einer islamisierten kulturellen Identität missbraucht" worden.22
Doch von Beginn an hatte die arabische Schrift eine zentrale Stellung inne. Die arabischen Buchstaben wurden für die Sprachen der islamisierten Völker verwendet und so geradezu zum Symbol für den Islam. Durch den Bezug zur göttlichen Offenbarung ist "Schrift Ausdruck der Schönheit des Gotteswortes."23 Die Kalligraphie von Koranversen "lässt Gott im schön geschriebenen Wort gegenwärtig werden, ermöglicht einen Anblick Allahs."24 In der Sufi-Kunst "spiegeln Kalligramme auf faszinierende Weise menschliche, tierische und gegenständliche Formen [...]. Kalligraphie schafft so visuelle Begegnungen mit spiritueller Realität."25
Die hohe Stellung der Kalligraphie und die von ihr ausgehende Faszination nicht nur in der islamischen Welt werden in folgenden Aussagen aus älterer und jüngerer Zeit deutlich:
"Die Reinheit der Schrift ist die Reinheit der Seele." (altarabische Redensart)
"Wenn ich gewusst hätte, dass es so etwas wie die islamische Kalligraphie gibt, hätte ich nie zu malen begonnen." (Pablo Picasso, gest. 1973)26
Im Hinblick auf die Gegenwart lässt sich zum Thema Kunst im Zusammenhang mit dem Islam Folgendes festhalten: Sowohl die Bedeutung der Ästhetik als auch das Nichtvorhandensein eines expliziten Bilderverbotes, aber auch die 1400-jährige generelle Praxis der MuslimInnen zeigen, dass keine islamische Legitimation für die Zerstörung von Kulturgut anderer Völker vorhanden ist. Im Gegenteil haben sich die MuslimInnen in ihrer Geschichte stets für Kunst und Kultur eingesetzt und diese, wie etwa im Spanien des 8.–15. Jahrhunderts, gefördert.