"Ich spüre keine Islam-Feindlichkeit"

Zeitungsinterview 10.08.2016 Denise Neher

Zekirija Sejdini lehrt Islamische Religionspädagogik an der Universität Innsbruck. 6020 hat ihn nach den Terrorattentaten von Paris zum Interview gebeten. Mit ihm sprach Denise Neher.


6020: Wie viele Studenten der Islamischen Religionspädagogik gibt es derzeit in Innsbruck - und sind sie alle muslimisch?

Zekirija Sejdini: Zurzeit haben wir etwa 50 Studierende, unter denen auch einige nicht-muslimisch sind. Diese sind für uns eine enorme Bereicherung, da sie eine Außenperspektive einbringen.

Was fragen Sie Ihre Studenten angesichts der brutalen Gewalt, die Islamisten verüben?

Sejdini: Wir analysieren die Ereignisse gemeinsam und versuchen zu ergründen, auf welche Weise und mit welchen religiösen Texten diese Taten legitimiert werden. Unser Ziel ist es, uns mit diesen Textstellen kritisch auseinanderzusetzen.

Was hat sich für Sie persönlich durch die Terrorattentate von Paris verändert?

Sejdini: Und hat sich an Ihrer Arbeit als Professor etwas verändert? Diesmal habe ich mich auch persönlich angegriffen gefühlt, weil die Meinungsfreiheit, auf die wir alle in Europa großen Wert legen, auf brutale Art und Weise angegriffen wurde. Als Professor der Islamischen Religionspädagogik wird man von den Medien gefragt und man versucht, auf die Anfragen zu antworten. Es ist mein Anliegen, über die Medien klarzumachen, dass diese terroristischen Angriffe auch seitens der Muslime entschieden verurteilt werden.

Spüren Sie eine Islam-Feindlichkeit in Innsbruck?

Sejdini: Ich spüre überhaupt keine islamfeindliche Atmosphäre in Innsbruck und bin auch sehr froh darüber. Haben Sie von radikalen Islamisten in Innsbruck gehört?

Sejdini: Gehört habe ich, dass die radikalen Tendenzen in Innsbruck viel geringer seien als in manch anderen Bundesländern. Genauere Informationen fehlen mir jedoch.

Ist der Islam eine gewalttätige Religion?

Sejdini: Ich glaube, dass der Islam und auch die anderen Weltreligionen nicht auf Gewalt, sondern auf Frieden setzen. Jedoch kann ein unreflektierter Zugang zur Religion auch zu Gewalt führen.

"Kämpft gegen die Ungläubigen und tötet sie." Was sagen Sie zu dieser angeblichen Koranstelle?

Sejdini: Eine deckungsgleiche Aussage ist mir im Koran nicht bekannt. Einige Stellen im Koran, die der erwähnten Aussage ähnlich sind, sind im Kontext zu verstehen und beziehen sich auf eine bestehende kriegerische Auseinandersetzung im siebten Jahrhundert zwischen den mekkanischen Götzendienern und den durch diese vertriebenen Muslimen. Diese dürfen nicht aus dem Kontext gerissen werden und besitzen keinen allgemeingültigen Charakter. In diesen Versen wird klar angedeutet, dass es sich um eine konkrete historische Situation handelt, in der es den Muslimen, die von Mekka vertrieben worden sind, erlaubt wird, gegen jene zu kämpfen, die sie von ihrer Heimat aufgrund ihres Glaubens vertrieben haben.

Sagt der Islam eindeutig, dass niemand getötet werden darf?

Sejdini: Es gibt einige Koranverse, die das Töten verbieten bzw. für den Erhalt des menschlichen Lebens plädieren. Die berühmteste Stelle ist jener Koranvers, in dem sinngemäß die Tötung eines Menschen mit der Tötung der ganzen Menschheit und der Erhalt eines Menschenlebens mit dem Erhalt der ganzen Menschheit verglichen werden.

Ist Allah so klein, dass ihn Karikaturen bedrohen können?

Sejdini: Die Taten, die im Namen Gottes durchgeführt werden, sagen nichts über Allah bzw. Gott aus, sondern eher über diejenigen, die diese Taten vollbringen. Sich bedroht zu fühlen, ist keine Eigenschaft, die dem allmächtigen Gott zugeschrieben werden kann, wohl aber dem Menschen. Wichtig ist: Auch gläubige Menschen sollten verstehen, dass es ihnen nicht zusteht, über die Beziehung anderer Menschen zu Gott zu urteilen.

Sollte sich der Islam neu erfinden?

Sejdini: Die Muslime sollen den Islam aus seiner eigenen Tradition heraus im gegenwärtigen Kontext neu prägen und sich mit allen jenen Stellen kritisch auseinandersetzen, die zur Legitimation der Gewalt missbraucht werden können.

Was muss die Antwort des Islams auf die Attentate von Paris sein?

Sejdini: Langfristig besteht die Notwendigkeit, eine zukunftsorientierte, an Gewaltfreiheit interessierte kontextbezogene Theologie zu entwickeln. Als unmittelbare Antwort wäre es wichtig, zu zeigen, dass wir Muslime - so schmerzhaft es auch sein mag - für die Meinungsfreiheit sind und uns im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit bewegen können. Und, dass wir es nicht zulassen, dass unsere Religion durch Terroristen missbraucht wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Denise Neher

© 6020 Stadtmagazin: 14. Jahrgang / Ausgabe 184 (2015).

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