Islam in Österreich

Artikel 08.08.2016 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel behandelt das Thema "Islam in Österreich". Schon vor vielen Jahrhunderten kam Österreich mit dem Islam in Berührung und heute ist er ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Bevor im weiteren Verlauf des Artikels die Organisation und Struktur der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich skizziert wird, erfolgt eine kurze Darstellung der Geschichte des Islams in Österreich. Abschließend wird auf das neue Islamgesetz von 2015 eingegangen.


Geschichte

Aufgrund der fehlenden offiziellen Statistiken über die religiöse Zugehörigkeit der Österreicherinnen und Österreicher variieren auch die Angaben über die Anzahl der Musliminnen und Muslime in Österreich. Dem Österreichischen Integrationsfonds zufolge sind es 2015 rund 6 % der Bevölkerung gewesen.1 Eines steht jedoch fest; diese Zahl wächst und wird auch weiterhin kontinuierlich wachsen. Österreich ist aber schon lange vor dem Arabischen Frühling mit Musliminnen und Muslimen in Berührung gekommen. Schon im neunten Jahrhundert lebten nomadisierende Musliminnen und Muslime innerasiatischer Herkunft als Handelsleute im Donauraum. Zwischen 1050 und 1280 entstanden dann unter ungarischen Königen die ersten muslimischen Gemeinden in Form von kleinen Dörfern, die Beziehungen zu ihren Stammländern pflegten. Als es ab dem 15. Jahrhundert zu Streitigkeiten mit der muslimischen Bevölkerung kam, fand erstmals eine intensive Auseinandersetzung in Österreich mit dem Islam statt. Im Jahr 1638 endete die Macht des Osmanischen Reichs nach der zweiten Türkenbelagerung Wiens und der darauffolgenden Niederlage der Osmanen. Der Gegenangriff Österreichs dauerte über 200 Jahre. Nichtsdestotrotz wurden die kulturellen Handelsbeziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und Österreich nie eingestellt. Seitdem die Türken nach Mitteleuropa gekommen waren, hatte es immer mehr muslimische Kaufleute, Reisende und Diplomaten gegeben, die durch ihre Lebensweise und Kleidung die Aufmerksamkeit der österreichischen Bevölkerung erregten, sodass die Studien islamischer Philosophie und orientalischer Dichtung im 18. Jahrhundert zur Mode wurden. Zeitgleich wurden die Handelsbeziehungen zum Osmanischen Reich kontinuierlich verbessert und eine Kolonie türkischer Kaufleute ließ sich in Wien nieder. Während der Zeit von Kaiserin Maria Theresia wurde die Orientalische Akademie in Wien gegründet, die kaiserlich-königliche Dolmetscher ausbildete. Zwar hatte es bereits orientalische Sprachen an der Universität Wien gegeben, jedoch brachte die Stadt Wien durch die Akademie nicht nur Orientalisten hervor, sondern sie wurde zum Zentrum für Übersetzungen aus dem Persischen, Arabischen und Türkischen. Die Okkupation Bosnien-Herzegowinas, das zuvor osmanisch gewesen war, durch Österreich-Ungarn führte dann zu einem engeren Kontakt mit der Religionsgemeinschaft, da etwa eine halbe Million Musliminnen und Muslime unter österreichisch-ungarische Herrschaft fielen. Neben der Errichtung islamischer Institutionen kam es durch das Eingreifen Österreich-Ungarns zu einem "Europäisierungsprozess", der viele bosnische Musliminnen und Muslime ein "neues" Islamverständnis entwickeln ließ.2

Im Jahr 1912 wurde das Islamgesetz "betreffend der Anerkennung der Anhänger des Islam nach hanafitischem Ritus als Religionsgemeinschaft innerhalb der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder von Zisleithanien, also der österreichischen Reichshälfte" verkündet.3 Durch das Islamgesetz standen der muslimischen Religionsgemeinde derselbe Schutz und diejenigen Rechte zu, die auch anderen Religionsgemeinschaften und Kirchen gewährt wurden. In ganz Europa war das Islamgesetz von 1912 das "erste [...], das den Status des Islam gesetzlich verankerte und versuchte den Islam in einen multikonfessionellen Rechtsstaat zu integrieren".4 Später verboten die Nationalsozialisten 1939 den sogenannten "Islamischen Kulturbund", da er als regimefeindlich galt. Mit offizieller politischer Unterstützung des NS-Regimes wurde vier Jahre später der Verein "Islamische Gemeinschaft zu Wien" gegründet, zu dessen Auflösung es jedoch schon 1948 kam. Nach einigen Jahren der Überbrückung wurde der "Moslemische Sozialdienst" gegründet. Die Initiative bosnischer Intellektueller betreute nicht nur die Muslime in Österreich auf sozialer, kultureller und religiöser Ebene, sondern trieb auch die Errichtung einer muslimischen Organisation gemäß dem Islamgesetz von 1912 voran.5

IGGiÖ

Durch den Zustrom vieler Musliminnen und Muslime ab Mitte der 1960er Jahre bestand vor allem in Wien das Bestreben nach der Anerkennung der Religionsgemeinschaft, die wie bei anderen Religionen institutionell festgehalten werden sollte. Daraufhin stellten 1971 Vertreter des "Moslemischen Sozialdienstes" einen Antrag zur schriftlichen Fixierung, der einige Jahre später erfolgreich angenommen wurde. Im Mai 1979 kam es dann zur Errichtung der ersten Kultusgemeinde und zu einer Verfassung der "Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich."6 Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) ist eine gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft mit der Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die sie der Erfüllung der Voraussetzung, den demokratischen Rechtsstaat anzuerkennen, zu verdanken hat. Der Staat bietet der Glaubensgemeinschaft die Kooperation an, während die Glaubensgemeinschaft im Gegenzug die Verfassungserwartungen des Staates erfüllt und bei ethischen Problemen, die in der Gesellschaft aufkommen, Unterstützung und Zusammenarbeit im Bildungs- und Erziehungsbereich, bei karitativen Aufgaben und im Bereich der Seelsorge und Betreuung leistet.

Die IGGiÖ ist in regionale und bundesweite Organe unterteilt. Die Besetzung der Positionen ist ehrenamtlich. Auf regionaler Ebene gibt es verschiedene Religionsgemeinden, die jeweils Gemeindeversammlungen, einen Gemeindeausschuss, einen ersten Imam sowie islamische Seelsorge beinhalten. An den Gemeindeversammlungen kann prinzipiell jedes Mitglied der Gemeinde teilnehmen und den Gemeindeausschuss für eine Laufzeit von sechs Jahren nach Wahllisten wählen. Jedoch muss der Oberste Rat die Ergebnisse der Wahl, zu welcher verschiedene muslimische Verbände gegeneinander antreten, zunächst anerkennen. Der Ausschuss ist dann für die Verwaltung, Organisation, die Finanzen und die Vertretung nach außen zuständig. Ein weiteres Organ ist der Schurarat als legislatives Organ. Er fällt wichtige Entscheidungen über die Organisation und Tätigkeiten, ernennt Imame und Mufti, legt Vorschriften für Moscheen und den Religionsunterricht fest und kann Verfassungsabänderungen beschließen sowie andere Organe oder Personen abwählen. Der Oberste Rat ist das Präsidentschaftsamt der IGGiÖ und somit das Exekutivorgan. Dieser hat die Aufsicht über die Gemeinschaftsorgane sowie die Aufgabe der Verwaltung von religiösen, religiös-kulturellen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten. Andere Organe sind z. B. der Beirat, der Mufti, das Schiedsgericht sowie viele institutionalisierte Organe, wie das Öffentlichkeitsreferat oder das Frauenreferat. Seit 1982 sieht die IGGiÖ den Religionsunterricht als eine ihrer zentralen Aufgaben an und versucht das bisherige Problem mangelnder Deutsch- und Fachkompetenzen durch die Einrichtung von Studiengängen und Institutionen zur Weiterbildung zu lösen.7

Die Stimmen der Kritiker

Insgesamt betrachtet war das Islamgesetz von 1912 und somit die offizielle Anerkennung des Islams als Religionsgemeinschaft die Grundlage für einen weitgehend konfliktarmen Umgang der zweiten Republik Österreich mit den Musliminnen und Muslimen und wurde sogar europaweit als vorbildlich erachtet, jedoch gab es in der Monarchie noch keine richtige Gemeinschaft. Eine wirklich fassbare Gemeinschaft entstand erst mit der Errichtung der IGGiÖ, die einerseits als repräsentativ für alle österreichischen Musliminnen und Muslime sei und ihre Interessen vertrete, der jedoch andererseits auch viel Kritik zukomme.8 Aziza Abdelkarim, Saya Ahmad, Mona El Khalaf sowie Sana Shah fassen in Zwischen Gottesstaat und Demokratie bei Schmidinger und Larise ihre Kritikpunkte zusammen und beziehen sich dabei hauptsächlich auf den Anspruch der IGGiÖ, alle Musliminnen und Muslime in Österreich zu vertreten, sodass die österreichische Öffentlichkeit den Islam als eine homogene Masse wahrnimmt. Zwar habe die IGGiÖ das "Potenzial" zum Dialog und zu nachhaltiger Integrationsarbeit, sei aber nicht transparent genug, da umstrittene Beschlüsse sowie das aktive Wahlrecht in Relation zur Mitgliederzahl diskutiert werden. Hinzu kommen die Darstellung in der Öffentlichkeit und das scheinbare Vertreten von demokratischen, säkularen und weltoffenen Interessen, die in der Realität jedoch weder in der Organisation noch in der Postenbesetzung oder den Wahlen durchgesetzt würden. Als weiteres Problem stellen die Kritiker die Frage, wie denn Persönlichkeiten mit fragwürdiger Ideologie - mit Ähnlichkeiten zur Ideologie der Muslimbruderschaft oder Festhalten am Schariagesetz - in Positionen kommen, die sie dazu berechtigen, Lehrerinnen und Lehrer auszubilden und einzustellen oder gar selbst ihr Gedankengut an unsere Kinder weiterzugeben.9 Diese und andere Fragen erschweren nicht nur das Vertrauen in solche Glaubensgemeinschaften, sondern stellen auch ihre Glaubwürdigkeit in Frage. Dennoch vertritt die IGGiÖ die Interessen vieler Musliminnen und Muslime in Österreich und engagiert sich soweit es möglich ist für die religiöse Bildung der österreichischen Jugend. Die Entwicklung in Österreich zeigt, dass die Anerkennung der islamischen Glaubensgemeinschaften durchaus möglich ist und funktionieren kann. Jedoch wird sie in vielen anderen Ländern so weder durchgesetzt noch nachvollzogen.10

Das neue Islamgesetz

Da eine Reform für notwendig empfunden wurde und das Islamgesetz von 1912 bereits über ein Jahrhundert alt und folglich nicht mehr zeitgemäß war, wurde Ende Februar 2015 im Nationalrat das Neue Islamgesetz beschlossen. Auch um dieses drehten sich viele Diskussionen. Mit dem Gesetz werden muslimische Organisationen als Körperschaften öffentlichen Rechts behandelt und weitere Religionsgemeinschaften neben der IGGiÖ und den Aleviten anerkannt. Somit soll denjenigen Muslimen, die sich z. B. nicht von der IGGiÖ vertreten fühlen, entgegengekommen werden; wobei das "Problem" des nicht eindeutigen Ansprechpartners vorhanden bleibt. Durch die Änderungen haben Musliminnen und Muslime nun mehr Rechte und Freiheiten. Die islamischen Feiertage stehen seit Februar unter staatlichem Schutz und die Planung des islamisch-theologischen Studiums an der Universität Wien wurde angekündigt. Andererseits entstehen jedoch auch mehr Pflichten und Ansprüche. So müssen u. a. allgemeine staatliche Normen als vorrangig gelten und Finanzierungen aus dem Ausland dürfen nicht weiterhin bestehen. Letzteres soll zwar verhindern, dass eventuell radikale Prediger aus dem Ausland ihre Ideologie verbreiten, aber versetzt viele Vereine gleichzeitig in eine finanziell heikle Lage. Dieser Änderung kamen dementsprechend viele kritische Stimmen entgegen, die das Gesetz als einen Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip und gegen die Religionsfreiheit sowie als einen Misstrauensbeweis gegenüber der Muslime ansehen.11

1 Vgl. Islam als Teil der Gemeinde, Wien: Österreichischer Integrationsfonds 2015, S. 22f.

2 Vgl. Thomas Schmidinger und Dunja Larise: Zwischen Gottesstaat und Demokratie, Wien: Deuticke 2008, S. 47-49.

3 Vgl. T. Schmidinger und D. Larise, S. 50.

4 Vgl. ebd.

5 Susanne Heine, Rüdiger Lohlker und Richard Potz: Muslime in Österreich, Innsbruck: Tyrolia-Verlag 2012, S. 53f.

6 Vgl. S. Heine, R. Lohlker und R. Potz, S. 55f.

7 Vgl. T. Schmidinger und D. Larise, S. 259-261.

8 Vgl. Rüdiger Lohlker: Islam, Wien: Facultas.wuv. 2008, S. 226.

9 Vgl. T. Schmidinger und D. Larise, S. 287f.

10 Vgl. R. Lohlker, S. 226.

11 Vgl. Werner T. Bauer: Der Islam in Österreich. Ein Überblick, Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung 2016 S. 39-41.

X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern.