Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich

Artikel 06.06.2017 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Nach einem geschichtlichen Überblick werden die Strukturen und Hauptaufgaben der IGGÖ erörtert und zum Schluss wird auf die Kritik gegenüber der IGGÖ eingegangen.


Geschichtlicher Überblick

Die Anerkennung des Islams in Österreich begann mit der Besetzung von Bosnien und Herzegowina im Jahre 1878 und der Annexion des Landes 1908. Um die 600 000 neuen muslimischen MitbürgerInnen im Reich besser eingliedern zu können, wurde 1912 das Islamgesetz, welches durch das Anerkennungsgesetz vom Jahre 1874 ermöglicht wurde, verabschiedet.1 Von nun an dienten bosnische Elitesoldaten als Leibgarde des Kaisers und es wurde ihnen ein Imam zur Verfügung gestellt. Auch der Bau einer großen Moschee in Wien war geplant, wurde aber durch den ersten Weltkrieg verhindert.2 Dieser stoppte auch die begonnene Institutionalisierung des Islam in Österreich für die nächsten Jahrzehnte.

Erst in den 60er Jahren mit dem Zuzug von GastarbeiterInnen begann man neue Vereine zu gründen, deren Hauptaufgabe es war, das muslimische Leben zu organisieren. 1962 wurde der Verein "Moslemischer Sozialdienst" auf Initiative des bosnischen Intellektuellen Smail Balić gegründet.3 Er forderte die Errichtung einer staatlich anerkannten islamischen Kultusgemeinde und brachte 1971 den Antrag des Vereines "Moslemischer Sozialdienst" zur Errichtung einer Kultusgemeinde auf Basis des Islamgesetzes von 1912. Dieser Antrag wurde 1979 genehmigt und die Islamische Religionsgemeinde Wien gegründet. Danach folgte auch die Konstituierung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) als Körperschaft öffentlichen Rechts.4

1987 wurde durch den Verfassungsgerichtshof die Beschränkung der hanafitischen Rechtsschule aufgehoben und die Anerkennung auf alle sunnitischen und schiitischen Rechtsschulen erweitert.5 Die IGGiÖ ist der offizielle Ansprechpartner des Staates und für die Belange aller in Österreich lebenden MuslimInnen verantwortlich. Dieser Alleinvertretungsanspruch der IGGiÖ führte zu vielen Diskussionen, denn verschiedene Gruppierungen, vor allem Schiiten und Aleviten, fühlten sich in der Glaubensgemeinschaft nicht ausreichend vertreten. Aus diesem Grund stellte der "Kulturverein der Aleviten in Wien" am 23. März 2009 beim Kultusamt einen Antrag auf Anerkennung als "Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI)". 2010 wurde er als eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft anerkannt. 2013 folgte der Status einer staatlich anerkannten Religionsgesellschaft. Seit 5. November 2015 wurde der Name auf "Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (kurz: ALEVI)" geändert.6

Das Islamgesetz von 2015 umfasst sowohl die "Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ)" als auch die "Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft (ALEVI)".

Struktur der IGGÖ

Das neue Gesetz brachte eine neue Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft (neues Kürzel "IGGÖ" wurde festgelegt) mit sich und im Zuge dessen wurde auch die islamische Lehre festgelegt. Es fand eine Neustrukturierung der IGGÖ statt. Sie besteht aktuell aus den acht regionalen Vertretungen (Islamische Religionsgemeinden) in den Bundesländern, außer dem Burgenland, und die muslimischen Organisationen sind als Kultusgemeinden, Moscheeeinrichtungen oder Fachvereine in die neuen Strukturen eingegliedert worden. Im Folgenden wird ein Überblick über die, in der Verfassung verankerten, Strukturen der IGGÖ7 gegeben:

  • Der Schurarat ist das Legislativorgan.
  • Der Oberste Rat ist das oberste Verwaltungsorgan - die Exekutive, der Vorsitzende des Obersten Rates ist gleichzeitig Präsident der IGGÖ.
  • Der Präsident hat die Leitung der Geschäftsführung des Obersten Rates nach innen und nach außen.
  • Der Mufti entscheidet gemeinsam mit dem Beratungsrat über religiöse Fragen in der IGGÖ, Kontrolle der Tätigkeit der Imame betreffend die Einhaltung der Lehre der IGGÖ.
  • Der Beratungsrat ist das Fachorgan für Glaubenslehre und religiöse Angelegenheiten.
  • Der Imame-Rat ist das Fachorgan für Gottesdienstlehre und Morallehre.
  • Das Schiedsgericht ist das Verfassungskontrollorgan.
  • Die Rechnungsprüfer sind das Rechnungsprüfungsorgan.

Schwerpunkte

Eine der Hauptaufgaben der IGGÖ ist die Durchführung des islamischen Religionsunterrichtes (IRU) in den Schulen, der seit dem Schuljahr 1982/83 eingeführt wurde. In Zusammenarbeit mit den verschiedenen staatlichen Institutionen bereitet die IGGÖ, samt ihren Bildungseinrichtungen, den Lehrplan und die Schulbücher für den Religionsunterricht vor. Außerdem bestellt sie die Lehrpersonen an den Schulen und ist für die Aus- und Weiterbildung der islamischen ReligionslehrerInnen zuständig. Im Schuljahr 2014/15 besuchten 69.000 SchülerInnen den islamischen Religionsunterricht, die von rund 550 LehrerInnen betreut wurden.8

Nach den Angaben der IGGÖ auf ihrer Webseite9 verwaltet sie den Islamischen Friedhof in Wien, stellt Bescheinigungen (Namensgebung, Militärdienst, Todesfall ...) aus und organisiert und betreut die "Islamische Seelsorge" in Spitälern, Gefängnissen und im Militär. Zu den wichtigsten Abteilungen der IGGÖ gehören die Medien- und Öffentlichkeitsarbeiten, die Frauenabteilung und die Jugendabteilung. Weiters pflegt sie den interreligiösen Dialog mit anderen Religionen und dient als Anlaufstelle bei der Vermittlung von Informationen rund um den Islam.

Kritik

Jenseits der Struktur und den Aufgabenbereichen der IGGÖ wurde ihr in der Vergangenheit einiges vorgeworfen und ihre Repräsentativität in Frage gestellt.10 Die IGGÖ wurde kritisiert, Lehrpersonen in den eigenen Reihen beschäftigt zu haben, die offen einen politischen Islam vertreten würden.11 Auch fehlende demokratische Strukturen und mangelnde Transparenz, hier vor allem die konkreten Mitgliederzahlen und die Finanzierung, gehörten zu den Hauptkritikpunkten an der IGGÖ.12

In der jüngsten Zeit wird der IGGÖ außerdem vorgeworfen, durch ausländische Einrichtungen beeinflusst zu werden. Besonders wird dabei die Rolle des Dachverbandes ATIB und die Kontrolle durch den türkischen Staat thematisiert.13 Das neue Islamgesetz sollte in dieser Hinsicht die Unabhängigkeit der IGGÖ wahren und einen "Islam europäischer Prägung" befürworten. Aufgrund des Widerstandes der IGGÖ und verschiedener muslimischer Verbände gegen das neue Islamgesetz14, aber auch das zuletzt verfasste Gutachten zum Thema Kopftuch15, das heftige Diskussionen16 auslöste, bleibt offen, ob die Intention des neuen Gesetzes verwirklicht werden kann.

Ein Blick auf die derzeitigen Mitglieder der Strukturen der IGGÖ zeigt, dass dort mehrheitlich Vertreter großer muslimischer Verbände sitzen und die Mehrheit der Muslime, die nicht in einem Dachverband organisiert ist, nicht vertreten wird. In diesem Zusammenhang wird der IGGÖ und den Vertretern der Dachverbände vorgeworfen, an ihren eher traditionellen und konservativen theologischen Positionen festzuhalten und dass liberalere Positionen, die von der muslimischen Zivilgesellschaft vertreten werden, kein Gehör finden. Seit 2016 hat die IGGÖ eine neue Führung. Es bleibt abzuwarten, ob die Aktivitäten der neuen Führung die Vorwürfe bestätigen oder hoffnungsvolle Schritte setzen werden.

1 Vgl. Johann Bair: Das Islamgesetz. An den Schnittstellen zwischen österreichischer Rechtsgeschichte und österreichischem Staatsrecht, Wien: Springer 2002, S. 11-12.

2 Vgl. Maja Sticker: Sondermodell Österreich? Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) (= Drava-Diskurs, Band 11), Klagenfurt: Drava-Verl. 2008, S. 34-35.

3 Vgl. Ednan Aslan (Hg.): Islamische Theologie in Österreich. Institutionalisierung der Ausbildung von Imamen, SeelsorgerInnen und TheologInnen (= Wiener Islamstudien, Band 2), Frankfurt am Main: Peter Lang Edition 2013, S. 108-109.

4 Vgl. M. Sticker: Sondermodell Österreich?, S. 48-49.

5 Vgl. Alexander Janda/Mathias Vogl (Hg.): Islam in Österreich, Wien: Österr. Integrationsfonds 2010, S. 53.

6 Vgl. Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich: Chronologie: Alevitischer Islam in Österreich, www.aleviten.at/de/, abgerufen am 24.04.2017.

7 Vgl. Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich: Verfassung der IGGÖ. Genehmigt am 26.02.2016, www.derislam.at/deradmin/news/Verfassung%20der%20IGG%C3%96%20-%20Genehmigt%20am%2026.6.2016.pdf, abgerufen am 13.03.2017.

8 Vgl. Schulamt der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich: www.derislam.at/schulamt/, abgerufen am 13.03.2017.

9 Vgl. Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich: Entstehung, derislam.at, abgerufen am 13.03.2017.

10 Vgl. Thomas Schmidinger/Dunja Larise (Hg.): Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Handbuch des politischen Islam, Wien: Deuticke 2008, S. 264-270.

11 Vgl. ebd., S. 276.

12 Vgl. ebd., S. 287-288.

13 Vgl. Hans Rauscher: "Die bedenkliche Rolle der türkischen Atib", in: derStandard.at vom 14.02.2017, derstandard.at/2000052615853/Die-bedenkliche-Rolle-der-tuerkischen-Atib, abgerufen am 13.03.2017.

14 Vgl. Margaretha Kopeinig: "Aufstand gegen das Islamgesetz", in: kurier.at vom 05.11.2014, kurier.at/politik/inland/islamische-glaubensgemeinschaft-aufstand-gegen-das-islamgesetz/95.210.862, abgerufen am 13.03.2017.

15 Vgl. Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich: Stellung der Verhüllung im Islam 2017, derislam.at, abgerufen am 25.04.2017.

16 Vgl. derStandard.at: "Kopftuch: Islamische Glaubensgemeinschaft rät Frauen zur Verhüllung", derstandard.at/2000053650450/Kopftuch-Islamische-Glaubensgemeinschaft-raet-Frauen-zur-Verhuellung, abgerufen am 13.03.2017.

Die offizielle Homepage der IGGÖ lautet: <link www.derislam.at - external-link-new-window "Opens internal link in current window">www.derislam.at</link>

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