Tawba - Die Stellung der Reue im Islam

Artikel 09.05.2022 Redaktionsteam

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Stellung von Reue (arab. tawba) im Islam. Nach einer kurzen Begriffserläuterung werden einige Konzepte von Reue vorgestellt sowie relevante Koranpassagen zu deren Untermauerung angeführt.


Reue (arab. tawba) ist ein zentrales Thema im Koran und findet über siebzig Mal darin Erwähnung.1 Sure 9 ist sogar nach ihr benannt. Das Wort tawba leitet sich aus dem Verbalsubstantiv tāba ab, was so viel wie „bereuen, zurückkehren“ bedeutet.2 Dabei wird unterschieden, ob man Gott oder einem Mitmenschen gegenüber Reue empfindet. Ist Letzteres der Fall, so ist die Reue mit einer Wiedergutmachung verbunden.3 Ist allerdings Gott die Instanz, der gegenüber man Reue verspürt, so lassen sich zwei Bedingungen für tawba feststellen. Einerseits die Bewusstheit, eine Sünde begangen zu haben, sowie zusätzlich fest entschlossen zu sein, diese nicht mehr zu wiederholen.4 Weiters kann tawba als das „sich selbst zur Verantwortung beziehungsweise zur Rechenschaft ziehen (muḥāsaba)“5 verstanden werden. Nach Cemal Tosun zählen das Empfinden von Reue und das Bitten um Vergebung zu den angeborenen menschlichen Eigenschaften.6

Konzepte der Reue im Islam

Der erste Fall von Reue im Islam begegnet uns bereits bei den ersten Menschen, Adam und Eva.7 Nachdem sie beide im Paradies eine Sünde begangen hatten, fühlten sie sich schuldig und bereuten ihre Tat. Gott nahm daraufhin ihre Reue an. Im Koran heißt es: „Daraufhin empfing Adam Worte (der Rechtleitung) von seinem Erhalter, und Er nahm seine Reue an: denn, wahrlich, Er allein ist der Reueannehmende, der Gnadenspender.“8

Genauso wie eine Sünde im Islam nicht übertragen werden kann, kann auch der Akt der Reue nicht übertragen werden. Es bedarf dabei keiner Vermittlungsperson zwischen den Bereuenden und den Reue-Annehmenden. Dies ist ein individueller Akt, der keine bestimmte, allgemeingültige Form aufweist. Somit ist auch die Vorstellung einer Erbsünde sowie der kirchlichen Beichte im islamischen Glauben nicht vorhanden.9 Im Koran heißt es: „[…] und kein Träger von Lasten wird die Last eines anderen tragen müssen. […]“10

Der bedeutende muslimische Denker und Theologe al-Ġazzālī (gest. 1111) widmete dieser Thematik ein eigenes und ausführliches Kapitel in seinem Hauptwerk Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn. Darin vertritt er die Meinung, dass drei Komponenten beim Prozess der Reue ausschlaggebend seien: Wissen, Zustand und Handlung. So muss sich die betroffene Person in erster Linie bewusst sein, dass sie eine Sünde begangen hat, und sich in weiterer Folge auch den Schaden dieser Sünde bewusst machen. Dadurch entwickelt sich bei dem/r Betroffenen ein seelischer Zustand, der mit Trauer, Schuldgefühlen und Bedauern verbunden ist. Dieser Zustand führt dazu, dass die Person ihre Tat bereut, sich von ihr abwendet und diese nicht wiederholt.11 Weiters war al-Ġazzālī der Meinung, dass Reue eine verpflichtende Handlung für jede/n Gläubige/n sei. Dies argumentiert er unter anderem mit den Koranversen 24:31, 66:8 und 2:222:12„[…] Und (immer), o ihr Gläubigen – alle von euch –, wendet euch in Reue zu Gott, auf daß ihr einen glückseligen Zustand erlangen möget!“13

Auch nach Tosun stellt der Akt der Reue einen Prozess dar, an dessen Beginn die Selbsterkenntnis steht, und zwar das Erkennen, dass eine Tat schädlich war, weshalb auch Trauer (nadāma) und Schuldgefühle verspürt werden, weil man sich durch die begangene Tat von Gott distanziert hat. Durch diese Trauer entwickelt sich bei der betroffenen Person eine feste Entschlossenheit, die jeweilige Handlung nicht zu wiederholen, sowie eine Bereitschaft sich zu bessern.

Die neunte Sure des Korans trägt den Titel „die Reue“ / „At-Tawba“. Diese medinensische Sure ist die einzige, die ohne Basmala („Im Namen Gottes, des Allergnädigsten, des Gnadenspenders“) beginnt. Hinsichtlich der Begründung dafür variieren die Meinungen von Gelehrten. Eine Ansicht ist, dass die Sure at-Tawba eine Fortsetzung der Sure al-Anfāl ist. Der Name dieser Sure leitet sich nach Seyyed Hossein Nasr aus dem dritten Vers derselben ab,14 in dem es heißt: „[…] Darum, wenn ihr bereut, wird es zu eurem eigenen Wohl sein; und wenn ihr euch abwendet, dann wißt, daß ihr Gott niemals entgehen könnt! […]“15

Wenn man von Reue im islamischen Sinne spricht, ist es unabdingbar, den Stellenwert der Hoffnung (raǧāʾ) auf Gottes Barmherzigkeit zu verdeutlichen. Dies betont unter anderem Koran 39:53. Darin heißt es: „[…] Verzweifelt nicht an Gottes Barmherzigkeit: siehe, Gott vergibt alle Sünden – denn wahrlich, Er allein ist vielvergebend, ein Gnadenspender!“16 Auch verspricht Gott in der bereits erwähnten Sure at-Tawba in Vers 118, dass Er sich seinem bereuenden Diener stets barmherzig zuwenden wird. Die Bezeichnung Allahs als „der Reueannehmende, der Gnadenspender“ (arab. tawwābu r-raḥīm) findet sich in diesem Zusammenhang häufig.

Nicht zuletzt kann der Akt der Reue eine positive Wirkung auf die geistige Gesundheit haben. So können regelmäßige tawba und die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit helfen, Angstzustände und Depressionen zu reduzieren.17

Wie den oben angeführten Schilderungen zu entnehmen ist, hat Reue im Islam einen besonderen Stellenwert. Zum einen, weil sie von einigen Gelehrten als verpflichtend angesehen wird, zum anderen aufgrund ihrer positiven Wirkung auf die mentale Gesundheit. Wichtig zu erwähnen ist, dass der Akt der Reue individuell und situationsabhängig ist. Nicht zuletzt spielen das Alter, der seelische Zustand und die soziale Lage einer Person eine Rolle. Dennoch lässt sich sagen, dass im islamischen Glauben der Gedanke vorherrscht, dass man nach einer Sünde immer Reue zeigen kann und diese von Gott angenommen wird.

1 Vgl. John L. Esposito: The Oxford Dictionary of Islam, Oxford: Oxford University Press 2003, S. 263 f.

2 Vgl. F. M. Denny: »Tawba«, in: Encyclopaedia of Islam, Second Edition Edited by P. Bearman, Th. Bianquis, C. E. Bosworth, E. van Donzel, W. P. Heinrichs, 2012, referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/tawba-SIM_7450, abgerufen am 29.04.2022.

3 Vgl. J. L. Esposito 2003, S. 263 f.

4 Vgl. Cemal Tosun: »Sünde, Reue und Vergebung«, in: Tarek Badawia/Gülbahar Erdem/Mahmoud Abdallah (Hg.), Grundlagen muslimischer Seelsorge, Wiesbaden: Springer 2020, S. 293-302, hier S. 297.

5 Tarek Badawia/Gülbahar Erdem/Mahmoud Abdallah (Hg.): Grundlagen muslimischer Seelsorge, Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden 2020, S. 147.

6 Vgl. C. Tosun 2020, S. 293.

7 Vgl. ebd.

8 Koran 2:37, nach Muhammad Asad: Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, Ostfildern: Patmos 2013.

9 Vgl. C. Tosun 2020, S. 297 f.; Vgl. J. L. Esposito 2003, S. 263 f.

10 Koran 17:15, nach M. Asad 2013.

11 Vgl. Al-Ġazzālī: Muḫtaṣar Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn. The Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn abridged by himself. Translated from the Arabic, and annotated by Marwan Khalaf, Nikosia: Spohr 2014, S. 354.

12 Vgl. ebd., S. 354 f.

13 Koran 24:31, nach M. Asad 2013.

14 Vgl. Seyyed H. Nasr: The Study Quran. A new translation and commentary, New York: HarperOne 2017, S. 503.

15 Koran 9:3, nach M. Asad 2013.

16 Koran 39:53, nach M. Asad 2013.

17 Vgl. Qurotul Uyun/Irwan N. Kurniawan/Nahdhata Jaufalaily: »Repentance and seeking forgiveness: the effects of spiritual therapy based on Islamic tenets to improve mental health«, in: Mental Health, Religion & Culture 22 (2019), S. 185-194, hier S. 187 f.

Atif Khalil: Repentance and the Return to God. Tawba in Early Sufism, Albany: State University of New York Press 2018.

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