Tiere aus islamischer Sicht

Artikel 20.03.2017 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel behandelt das Thema Tiere aus muslimischer Sichtweise. Dabei wird zum einen auf Tiere eingegangen, die im Koran erwähnt werden, auf Hadithe, in denen Tiere vorkommen, aber auch auf kulturelle und soziale Eigenheiten der Musliminnen und Muslime. Auf das Thema Hund wird im Besonderen eingegangen, da er in Europa in vielen Familien bereits zu einem Familienmitglied geworden ist, während Muslime in der Regel ein völlig anderes Verständnis haben.


Im Koran werden Tiere in verschiedenen Zusammenhängen erwähnt. Es wird ihr Nutzen für den Menschen angesprochen, sie sind ein Zeichen für die Allmacht Gottes, sie treten häufig als Helfer der Propheten oder Beschützer heiliger Orte auf und sie finden Erwähnung in den Speisevorschriften.1 Einige Suren sind nach Tieren benannt, wie die Suren: Die Kuh, Das Vieh, Die Bienen, Die Spinnen, Die Ameisen und Der Elefant. In den jeweiligen Suren finden wir Erzählungen über diese Tiere. Die Vollkommenheit der Schöpfung Allahs spiegelt sich in den Tieren, in der Schönheit der Kamele, im Instinkt der Bienen, der Weisheit der Ameisen und der Treue der Vögel.2 Im Koran (Sure 6:38) steht:

"Obwohl es kein Tier gibt, das auf der Erde wandelt, und keinen Vogel, der mit seinen zwei Flügeln fliegt, die nicht (Gottes) Geschöpf sind wie ihr selbst: keine einzige Sache haben Wir in Unserer Bestimmung ausgelassen. Und noch einmal: zu ihrem Erhalter werden sie (alle) versammelt werden."3

In diesem Vers bezeichnet der Koran die Tierarten als umam (die Mehrzahl von umma). Dieses Wort wird gewöhnlich für eine große Gemeinschaft von Menschen verwendet. In vielen Versen im Koran wird auch auf die große Bedeutung der Nutztiere für den Menschen hingewiesen. Der Mensch hat eine Sonderstellung inne, er ist die vollkommenste Schöpfung Gottes und er wurde zum Sachwalter Allahs auf Erden. Eigenschaften wie Würde finden wir nur beim Menschen: "Nun haben wir fürwahr den Kindern Adams Würde verliehen." (Sure 17:70) Der Mensch ist also den Tieren überlegen, aber damit auch für sie verantwortlich. Diese Verantwortung beinhaltet, für das Wohl der Tiere zu sorgen. Dafür ist es dem Menschen erlaubt, Nutztiere für sein Wohl zu halten, sie zum Transport zu nutzen oder manche Arten zu verzehren.4 Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass der Mensch die Tiere nicht besitzt.

In den Überlieferungen des Propheten, den sogenannten Hadithen, finden wir sowohl Hinweise auf die richtige Haltung von Haus- und Nutztieren als auch Reinheits- und Ernährungsbestimmungen. Sie beinhalten aber auch Warnungen vor gefährlichen Tieren und in einigen Fällen auch die Anweisung, diese zu töten. Viele Hadithe sprechen aber davon, Tiere gut zu behandeln, sie zu versorgen und ihnen keine Schmerzen zuzufügen. Forderungen, die für die damalige Zeit erstaunlich fortschrittlich waren.5 Leider gibt es aber auch einige Hadithe, die problematisch sind, wenn sie nicht in ihrem ursprünglichen Kontext verstanden werden.

So zum Beispiel kann behauptet werden, dass die Mehrheit der Muslime eine andere Einstellung zu Hunden hat als der Koran selbst. Der Hund spielt nämlich in der Erzählung der "Siebenschläfer" im Koran (Sure 18:17ff) eine große Rolle. Es handelt sich dabei um die Erzählung von ein paar jungen Männern, die sich aufgrund ihres Glaubens in eine Höhle zurückgezogen hatten und dann in einen Schlaf fielen, der mehrere hundert Jahre andauerte. Der Hund bewacht während dieser Zeit den Schlaf der Sieben und wird für seine Treue hochgeschätzt.6

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Ursachen zur fehlenden Wertschätzung gegenüber Hunden innerhalb der "muslimischen Welt" geführt haben könnten. Obwohl die Ursachen komplex sind und Verallgemeinerungen meist unzutreffend, kann davon ausgegangen werden, dass sie aus diesen Gründen entstanden sein könnten:

Ein Grund für diese Abneigung Hunden gegenüber könnten Hadithe sein, die ohne Hintergrundwissen oft missverstanden werden. So finden wir einen Hadith: "Tötet alle schwarzen Hunde!"7 Den meisten Muslimen ist dieser Ausspruch bekannt, die wenigsten wissen aber, warum der Prophet dies möglicherweise angeordnet hat. Es wird angenommen, dass zu jener Zeit eine Krankheit grassierte und Muhammad bemüht war, eine weitere Ansteckung durch Hundebisse zu verhindern. Der oben genannte Hadith wurde später auch abrogiert (aufgehoben) und durch einen anderen "Tötet alle bissigen Hunde" ersetzt.8 Ein weiterer Grund für die Abneigung Hunden gegenüber mag auch darin liegen, dass besitzerlose Hunde damals wie heute in islamischen Ländern oft als Bedrohung empfunden werden. Verwilderte Hunde sind oft bissig und können Krankheiten übertragen. In den meisten muslimischen Ländern werden herrenlose Hunde nämlich nicht wie in Europa in einem Tierheim aufgenommen. Ein weiterer Grund ist auch in der Gesellschaft zu finden. Jede Kultur hat ein eigenes Verhältnis zu bestimmten Tierarten. So werden zum Beispiel Tauben in Europa als Krankheitsüberträger angesehen, während sie in arabischen Ländern wie Hühner gehalten und gegessen werden. Ein weiterer Punkt ist sicherlich auch die Armut in vielen muslimischen Ländern, aber auch eine andere Strukturierung des Familienlebens. Oft leben mehrere Generationen unter einem Dach und somit entsteht nicht das Bedürfnis, zusätzlich noch Haustiere zu halten.9 Es ist aus diesem Grund sehr wichtig, zwischen dem kulturellen Verhalten der Muslime Tieren gegenüber und den tatsächlichen religiösen Vorschriften zu differenzieren.
Auch wenn aus den genannten Gründen die erforderliche Achtung gegenüber Hunden meist fehlt, gibt es genügend islamische Quellen, die wertschätzend über Hunde berichten und diese daher vom Menschen mit Respekt behandelt werden müssen.10 So wird in mehreren Hadithen von dem durstigen Hund erzählt:

"Während ein Mann unterwegs war, spürte er starken Durst. Er kletterte in einen Brunnen hinab und trank daraus. Als er wieder draussen war, sah er einen Hund, dessen Zunge heraushing und vor starkem Durst den Sand fraß. Der Mann sagte zu sich: 'Der Hund wurde vom starken Durst genauso befallen wie ich.'
Er füllte dann seinen Schuh mit Wasser, hielt diesen mit seinem Mund fest, kletterte hinauf und tränkte den Hund damit; da dankte ihm Allah dafür und vergab ihm (seine Sünden). Die Leute sagten: 'O Gesandter Allāhs, erhalten wir auch einen Lohn (von Allāh) wegen der Tiere?' Der Prophet erwiderte: 'Wegen jedem Lebewesen gibt es Lohn!'"11

Buchārī (gest. 870), ein berühmter Hadith-Gelehrter, hat eine Erzählung über Muhammad nicht in seine Hadith-Sammlung aufgenommen, da der Überlieferer einer Ziege vormachte, er hätte Futter in seiner Hand, obwohl diese leer war. Dieses Verhalten ließ ihn an der Glaubwürdigkeit des Mannes zweifeln. Ein rechtschaffener Mensch behandelt sowohl Tiere als auch Menschen nach ähnlichen ethischen Maßstäben. In der islamischen Theologie zählt jedes schlechte Verhalten Tieren gegenüber gleich, als würde man die Verfehlung am Schöpfer selbst begehen.12
Islamische Vorstellungen zum Thema Tierschutz sind in der europäischen Öffentlichkeit kaum bekannt. Ein mangelndes Bewusstsein Tieren gegenüber, wie wir es in islamischen Ländern oft finden, resultiert in vielen Fällen aus der Lebensweise der Menschen. Armut und ein schnell steigendes Bevölkerungswachstum auf der einen und Konsumorientierung und Industrialisierung auf der anderen Seite führen zu einem Traditions- und Werteverlust, der häufig die sozial schwächer Gestellten betrifft. Abschließend kann man aber feststellen, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit der ganzen Schöpfung, einschließlich der Tiere, im Islam einen sehr hohen Stellenwert besitzt. Und eine artgerechte Tierhaltung prinzipiell wichtiger ist als rein wirtschaftliche Interessen.
Außerdem muss ein Verständnis der Barmherzigkeit gegenüber Tieren entwickelt werden.13 Denn der aktuelle Umgang mit Tieren in der islamischen Welt entspricht leider nicht den Richtlinien, die im Koran und einigen Hadithen zu finden sind. Da in den islamischen Quellen genug Vorgaben zu finden sind, mit deren Hilfe sich eine moderne Tierschutzethik begründen ließe, lässt uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.14

1 Vgl. Ursula Kowanda-Yassin: Mensch und Naturverständnis im sunnitischen Islam. Ein Beitrag zum aktuellen Umweltdiskurs. Univ., Diss.-Wien, 2010 (= Bibliotheca academica Reihe Orientalistik, Band 17), Würzburg: Ergon-Verl. 2011, S. 168.

2 Vgl. Tarafa Baghajati: "Mensch-Tier-Beziehung und Tierschutz im Islam", in: Edith Riether (Hg.), Tier - Mensch - Ethik, Berlin: Lit-Verl. 2012, S. 190.

3 Muhammad Asad [Übers.]: Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, Ostfildern: Patmos-Verl. 2013, 6:38.

4 Vgl. T. Baghajati, S. 190.

5 Vgl. U. Kowanda-Yassin, S. 170.

6 Vgl. Renate Beyer: ""Tut dem Kamel nichts Böses an". Geliebte und andere Tiere im Islam", in: Wolf-Rüdiger Schmidt (Hg.), Geliebte und andere Tiere im Judentum, Christentum und Islam. Vom Elend der Kreatur in unserer Zivilisation, Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus 1996, S. 129-152, hier S. 140.

7 U. Kowanda-Yassin, S. 180.

8 Vgl. ebd., S. 180f.

9 Vgl. ebd., S. 185.

10 Vgl. R. Beyer, S. 141.

11 Muḥammad I.-I. a. Buḫārī/Muhammad Rassoul: Auszüge aus dem Ṣaḥīḥ al-Buḫāryy, Düsseldorf: Islamische Bibliothek 2012, S. 288.

12 Vgl. T. Baghajati, S. 191.

13 Vgl. R. Beyer, S. 152.

14 Vgl. U. Kowanda-Yassin, S. 165.

Asad, Muhammad [Übers.]: Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, Ostfildern: Patmos-Verl. 2013.

Baghajati, Tarafa: "Mensch-Tier-Beziehung und Tierschutz im Islam", in: Edith Riether (Hg.), Tier - Mensch - Ethik, Berlin: Lit-Verl. 2012.

Beyer, Renate: ""Tut dem Kamel nichts Böses an". Geliebte und andere Tiere im Islam", in: Wolf-Rüdiger Schmidt (Hg.), Geliebte und andere Tiere im Judentum, Christentum und Islam. Vom Elend der Kreatur in unserer Zivilisation, Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus 1996, S. 129-152.

Buḫārī, Muḥammad I.-I. a./Rassoul, Muhammad: Auszüge aus dem Ṣaḥīḥ al-Buḫāryy, Düsseldorf: Islamische Bibliothek 2012.

Kowanda-Yassin, Ursula: Mensch und Naturverständnis im sunnitischen Islam. Ein Beitrag zum aktuellen Umweltdiskurs (= Bibliotheca academica Reihe Orientalistik, Band 17), Würzburg: Ergon-Verl. 2011.

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