Vom Umgang mit der Schöpfung. Islamische Aspekte zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit

Artikel 09.08.2016 Redaktionsteam

Dieser Beitrag beleuchtet die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit aus islamischer Perspektive. Nach einer allgemeinen Einleitung über die Aktualität dieser Themenbereiche wird der Frage nachgegangen, inwiefern eine islamische Lebensweise damit in Zusammenhang zu bringen ist. Der islamische Zugang zum Verhältnis Mensch - Schöpfung wird untersucht, so etwa im Hinblick auf die Bedeutung des Menschen als Statthalter Gottes auf Erden, ebenso werden Koranstellen mit Bezug zu Umweltthemen angeführt. Zum Abschluss wird nach konkreten muslimischen Aktivitäten im Umweltbereich geforscht.


Vor kurzem gedachte die Welt des katastrophalen Unfalls im Kernkraftwerk Tschernobyl, der Auswirkungen auf die gesamte nördliche Halbkugel hatte.1 Nur drei Jahre später ereignete sich durch den leckgeschlagenen Öltanker "Exxon Valdez" die bis dahin größte Umweltkatastrophe auf dem amerikanischen Kontinent.2 Beide Vorfälle wirken sich bis heute auf Mensch, Tier und Natur aus. Das Umweltbewusstsein der Menschen ist seither gestiegen. Wurden in den 1970er Jahren Umweltschützer und Vegetarier noch als "Körndlfresser mit Gesundheitslatschen" belächelt, die für "Jute statt Plastik"3 warben, so sind heute in unserer globalisierten Welt die Themen Natur- und Tierschutz, Ressourcenschonung, fairer Handel und ethisches Investment global aktuell geworden - gezwungenermaßen, da die Auswirkungen menschlichen Handelns und des Klimawandels unseren Planeten betreffend nicht mehr zu leugnen sind. Heute ist "Nachhaltigkeit" in aller Munde und "vegan" liegt im Trend. Hier hat sich nebenbei bemerkt ein lukratives Marktsegment entwickelt.4 Was hat dies alles nun mit dem Islam zu tun? Lässt sich aus den theoretischen Vorgaben und der empfohlenen Praxis des Islams eine islamische Umweltethik definieren?5

Nach muslimischem Verständnis bildet der Islam eine ganzheitliche Lebensweise, die das gesamte Handeln sowie den Tagesablauf durchdringt. Dabei spielt auch die Natur eine große Rolle, man denke an die Bedeutung von Sonne und Mond zur Bestimmung der Gebetszeiten oder für den Beginn des Fastenmonats Ramadan. Ein zentrales Element im muslimischen Leben bildet die Taqwā, das Gottesbewusstsein gepaart mit dem "Wunsch, das eigene Dasein im Licht dieses Gewahrseins" der göttlichen Allgegenwart zu gestalten.6

Im Koran wird häufig die Verbindung von wahrem Glauben und guten Taten angesprochen, Glaube allein ist zu wenig: "Allah lässt diejenigen, die glauben und gute Werke tun in Gärten eingehen, in denen Bäche fließen [...]."7 Auf die Frage, was Religion sei, antwortete der Prophet Muhammad: "Gutes Verhalten."8 Die Gläubigen streben nach dem Wohlgefallen ihres Schöpfers, indem sie seine Gebote befolgen und sich rechtschaffen verhalten. Sie erhoffen sich am Ende das Paradies als Belohnung, das stets mit Gärten, in denen Flüsse fließen, beschrieben wird. Auch hier also eine Verbindung zur Natur. Dieses gute Verhalten nicht nur auf zwischenmenschliche Beziehungen anzuwenden, sondern daraus eine Umweltethik zu entwickeln, muss angesichts der aktuellen Lage unseres Planeten das Ziel sein. Dazu bedarf es eines Prozesses der Bewusstseinsveränderung, der notwendig und wichtig ist angesichts der Verantwortung für die Wahrung der Erde, die die Menschheit trägt.9

Die gesamte Schöpfung ist laut Koran nach einer perfekten Ordnung gestaltet, die sich im Gleichgewicht befindet. Gott ist der Schöpfer und Erhalter des gesamten Universums und "[e]r liebt nicht jene, welche die Grenzen dessen überschreiten, was recht ist: verbreitet darum keine Verderbnis auf Erden, nachdem sie so gut geordnet worden ist." (Koran Sure 7:55f.)10 Wir Menschen sind Geschöpfe Gottes ebenso wie die Tiere11, jedoch wurden wir mit Intelligenz, Vernunft und einem freien Willen ausgestattet, was mit großer Verantwortung einhergeht. Die Menschen wurden von Allah als ḫalāʾifa al-ʾarḍ eingesetzt, ḫalīfa wird oft als Statthalter bzw. Nachfolger übersetzt, was problematisch ist, weil der Mensch nicht mit Gott zu vergleichen ist und nicht an Gottes Stelle treten kann. Jedoch wurde den Menschen die Erde anvertraut, sie tragen die Verantwortung, dieses anvertraute Gut (amāna) zu wahren und zu schützen und werden sich am Jüngsten Tag dafür auch rechtfertigen müssen.12 Nicht "sich die Erde untertan machen" lautet die Devise im Islam, sondern in bester Weise Nutzen aus ihr zu ziehen und Gott dafür dankbar zu sein, was den Menschen zur Demut anstatt zur Überheblichkeit aufruft.13

Es gibt eine Reihe von islamischen Verhaltensvorgaben aus Koran und Sunna, die hinsichtlich einer Umweltethik nennenswert sind. Dazu gehören Sparsamkeit im Umgang mit den Ressourcen14, Sauberkeit15, keine absichtliche Zerstörung der Natur, das von Gott gegebene Gleichgewicht nicht zu stören, was auch das ökologische Gleichgewicht miteinbezieht, sowie die Barmherzigkeit gegenüber allen Geschöpfen16, relevant in Bezug auf das Thema Tierschutz, Tierhaltung und halalkonforme Schlachtung. Es gilt nun in unserer Zeit, MuslimInnen spirituell begründet zum verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung und aktivem Engagement gegen Umweltzerstörung anzuregen. Dieses Ziel wurde auch in der Schlusserklärung der 3. Konferenz europäischer Imame und SeelsorgerInnen 2010 in Wien eindeutig formuliert. Für die Umsetzung dieses Ziels werden u. a. die Verantwortung der Imame und islamischen Einrichtungen sowie die Wichtigkeit der Thematisierung im Religionsunterricht und in der islamischen Bildungsarbeit unterstrichen. Aktionstage (autofreie Tage, Umwelttage in den Moscheen) sowie die Vernetzung mit NGOs im Umweltschutzbereich werden angeregt.17

Dass sich die Imamekonferenz mit dem Thema Umweltschutz beschäftigt hat, ist lobenswert, allerdings sind in Österreich noch kaum diesbezüglich begonnene Aktivitäten zu spüren. In Großbritannien beispielsweise ist das anders. Schon vor 25 Jahren hat Fazlun Khalid die Umweltorganisation Ifees gegründet. Ifees organisiert unterschiedliche Projekte weltweit und hat u. a. einen muslimischen Leitfaden zum Klimaschutz herausgegeben.18 "Unser Vorbild ist der Prophet des Islam", so Khalid. "Er war ein Umweltschützer. Er war ein Bewahrer, lange bevor es diese Idee überhaupt gab."19 Auch Prinz Charles tritt als Schirmherr des Oxford Centre for Islamic Studies für den grünen Islam ein und fordert dazu auf, "die Natur unter den spirituellen Prinzipien des Koran zu begreifen."20 Am 22. April 2016 wurde in New York das Paris‐Abkommen zum Klimaschutz unterzeichnet. Eine kleine Delegation von religiösen Vertretern übergab dort dem Präsidenten der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Islamische Deklaration zum Klimawandel.21 Islamische Wissenschaftler aus 20 Ländern haben diese im Rahmen des Internationalen Islamischen Klimawandelsymposiums22 im August 2015 in Istanbul verabschiedet.23

Noch ist die muslimische Umweltbewegung eine Nischenbewegung, doch durch Websites, Blogs und soziale Netzwerke nehmen die Aktivitäten zu, meint die Islamwissenschaftlerin Monika Zbidi.24 Das Bemühen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit muss jedoch alle religiösen Grenzen überschreiten. "Die von allen Religionsgemeinschaften wahrgenommene gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung bietet eine fruchtbare Basis zu einem gemeinsamen, konstruktiven interreligiösen Handeln in gegenseitiger Wertschätzung und der Erkenntnis, dass wir alle Menschen, egal welcher Konfession, im gleichen Boot sitzen und mit Allahs Hilfe nur gemeinsam der Verantwortung die Schöpfung zu bewahren gerecht werden können."25

1 Anm.: Der Unfall ereignete sich am 26. April 1986. Österreich gehörte damals zu den von der nuklearen Wolke am stärksten betroffenen Ländern. Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Nuklearkatastrophe_von_Tschernobyl, abgerufen am 01.05.2016.

2 Anm.: Der Öltanker "Exxon Valdez" verlor am 24. März 1989 vor der Küste Alaskas fast 40 Millionen Liter Rohöl und verursachte einen Ölteppich, der der dreifachen Fläche des Bodensees entsprach. Über 2000 Kilometer Küste und Hunderttausende tote Tiere waren die Folge. Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Exxon_Valdez, abgerufen am 02.05.2016 sowie Ahmad v. Denffer: Islam und Umwelt (= Schriftenreihe des Islamischen Zentrums München, Band 8), München: Islamisches Zentrum 1999, S. 25.

3 Vgl. leben-ohne-plastik.blogspot.co.at/2013/02/jute-statt-plastik.html, abgerufen am 02.05.2016.

4 Anm.: Übrigens bieten große Fleischkonzerne zunehmend vegane Produkte an und drängen dadurch kleine, rein vegan produzierende Anbieter vom Markt. Es ist sicher nicht im Sinn der veganen Klientel, diese Konzerne zu unterstützen. Vgl. www.ariwa.org/aktivitaeten/931-vegan-produkte-aus-der-fleischindustrie.html, abgerufen am 02.05.2016.

5 Vgl. Ursula Kowanda-Yassin: Mensch und Naturverständnis im sunnitischen Islam. Ein Beitrag zum aktuellen Umweltdiskurs (= Bibliotheca academica Reihe Orientalistik, Band 17), Würzburg: Ergon-Verl. 2011, S. 18.

6 Muhammad Asad: Die Botschaft des Koran, Ostfildern: Patmos-Verl. 2013, Anm. 2, S. 28.

7 Koran Sure 47:12 oder Sure 45:30, vgl. U. Kowanda-Yassin 2011, S. 145.

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. ebd.

10 M. Asad: 2013, S. 280. Vgl. u.a. auch Sure 7:85, Sure 2:205.

11 Vgl. Koran Sure 6:38.

12 Vgl. U. Kowanda-Yassin 2011, S. 57.

13 Vgl. u.a. Koran Sure 14:32f. und Sure 45:12f.

14 Vgl. u.a. Koran Sure 7:31 sowie den sparsamen Lebenswandel des Propheten Muhammad.

15 Vgl. den Ausspruch des Propheten: "Reinheit ist die Hälfte des Glaubens.", überliefert bei an-Nawawī und al-Buḫārī, sowie die Reinheitsvorschriften bzgl. Gebet, Essen etc.

16 Vgl. U. Kowanda-Yassin 2011, S. 146.

17 Vgl. Schlusserklärung der 3. Konferenz europäischer Imame und SeelsorgerInnen vom 14. bis 16. Mai in Wien, www.derislam.at, abgerufen am 04.05.2016.

18 Muslim Green Guide to Reducing Climate Change, abrufbar unter www.ifees.org.uk/wp-content/uploads/2015/04/1375186536.pdf, abgerufen am 29.08.2016.

19 Fazlun Khalid, zit. nach 3sat online: Grüner Islam – Religion und der Umgang mit dem Umweltschutz. 3sat.online 2011, www.3sat.de/page/, abgerufen am 01.05.2016.

20 Ebd.

21 Vgl. Übergabe der Islamischen Deklaration zum Klimawandel in New York 2016, www.islamicrelief.de/nachrichten/artikel/uebergabe-der-islamischen-deklaration-zum-klimawandel-in-new-york/, abgerufen am 30.04.2016.

22 islamicclimatedeclaration.org, abgerufen am 04.05.2016.

23 Vgl. www.klimaretter.info/politik/nachricht/19409-islamische-klimaerklaerung-verabschiedet, abgerufen am 04.05.2016.

24 Vgl. www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2013/aug/PM_Islamische_Umweltbewegung.html, abgerufen am 01.05.2016.

25 Schlusserklärung der 3. Europäischen Imamekonferenz, www.derislam.at, abgerufen am 04.05.2016.

Kowanda-Yassin, Ursula: Mensch und Naturverständnis im sunnitischen Islam. Ein Beitrag zum aktuellen Umweltdiskurs (= Bibliotheca academica Reihe Orientalistik, Band 17), Würzburg: Ergon-Verl. 2011.

Denffer, Ahmad v.: Islam und Umwelt (= Schriftenreihe des Islamischen Zentrums München, Band 8), München: Islamisches Zentrum 1999.

Internetseiten:

Schlusserklärung der 3. Konferenz europäischer Imame und SeelsorgerInnen vom 14. bis 16. Mai in Wien, www.derislam.at, abgerufen am 03.05.2016.

Islamische Klimadeklaration, islamicclimatedeclaration.org/islamic-declaration-on-global-climate-change/, abgerufen am 03.05.2016.

www.ifees.org.uk, abgerufen am 01.05.2016.

Bumi Langit Institut (Indonesien), bumilangit.org, abgerufen am 04.05.2016.

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