Beiträge der Muslime in der Wissenschaft (Teil II)

Artikel 04.12.2017 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel ist der zweite Teil einer Reihe, die sich mit den Beiträgen der Muslime in der Wissenschaft beschäftigt. In diesem Beitrag werden die Bereiche Philosophie, Optik, Physik, Astronomie und Geographie kurz dargestellt.


Im ersten Teil dieser Artikelreihe wurden die Übersetzungsbewegung, die Bereiche Mathematik, Medizin, Chemie und Alchemie erörtert. Im vorliegenden Artikel werden weitere Bereiche wie Philosophie, Optik und Physik, Astronomie und Geographie behandelt. Es wird versucht, zu jedem Bereich die wichtigsten Vertreter zu nennen und einen Einblick in ihre Werke zu bieten.

Philosophie

Abū Yaʿqūb bin Isḥāq al-Kindī (gest. 873), latinisiert Alkindus, zählt zu den ersten islamischen Philosophen. Er beschäftigte sich viel mit den griechischen Texten, insbesondere die Werke von Aristoteles übertrug er mit Hilfe vieler Übersetzer ins Arabische und trug dadurch maßgeblich bei, die griechische Philosophie in der islamischen Welt bekannt zu machen. Dabei entwickelte al-Kindī (gest. 873) auch eigene philosophische Ideen und Interessen.1Von seinen Zeitgenossen bekam er den Ehrentitel "Der Philosoph der Araber". Als Anhänger der mutazilistischen Schule war er rationalistisch ausgerichtet und versuchte, eine Synthese zwischen Philosophie und Theologie herzustellen. Sein Hauptwerk trägt den Titel Über die Erste Philosophie. In seinem Werk Über den Intellekt unterteilt er die menschliche Erkenntnis in mehrere Stufen. Der aktive Intellekt ist nach al-Kindī (gest. 873) die Ursache allen Denkens. Der passive Intellekt ist unterteilt in den potentiellen Intellekt ("das Vermögen, überhaupt zu denken"2), den erworbenen Intellekt ("das Vermögen, etwas durch Erfahrung zu gestalten"3) und den sichtbaren Intellekt ("die sichtbargewordenen Werke als Ergebnis des potentiellen und erworbenen Intellektes"4). Diese Theorie wird später von vielen anderen Philosophen übernommen.5 Zu den weiteren wichtigen Philosophen dieser Zeit gehören unter anderem al-Fārābī (gest. 850) und Ibn Sīnā (gest. 1037), die in diesem Beitrag nicht näher behandelt werden können, jedoch eine große Bedeutung für die Entwicklung der Philosophie haben, da ihre Lehren noch heute als richtungsweisend eingeschätzt werden.

Ein weiterer bekannter Philosoph ist Abū l-Walīd Muḥammad b. Aḥmad b. Muḥammad b. Rušd (gest. 1198), latinisiert Averroës. Er beschäftigte sich mit den Werken von Aristoteles und schrieb 38 Kommentare dazu. Aus diesem Grunde wird er oft als "Der Kommentator" bezeichnet. Ibn Rušd (gest. 1198), der unter anderem auch ein Oberrichter (Qādī al-qudāt) war, legte besonderen Wert auf die Versöhnung zwischen der Offenbarung und der Philosophie. Nach ihm konnte es keinen Widerspruch zwischen der Offenbarung und der Philosophie geben, wenn beide richtig verstanden würden. Damit wollte er unter anderem der wachsenden Ablehnung gegenüber der Philosophie zu seiner Zeit entgegenwirken. Er gilt als letzter großer muslimischer Philosoph, dessen Ansichten großen Einfluss auf christliche und jüdische Denker im Mittelalter gehabt haben.6 

Optik und Physik

Unter die Wissenschaften, die eine besondere Aufmerksamkeit unter den Muslimen genossen, fallen auch die Optik und die Physik.

Zu den ersten muslimischen Gelehrten, die sich mit Optik beschäftigten, gehört Abū Saʿd al-ʿAlāʾ Ibn Sahl (gest. 1000). Er schrieb eine Abhandlung mit dem Titel Über die Brenninstrumente, der im Originaltext im Jahre 1990 von Roshdi Rashed rekonstruiert werden konnte. In diesem Manuskript stellt Ibn Sahl zum ersten Mal in der Geschichte das Prinzip des Brechungsgesetzes korrekt dar. Heute wird diese Errungenschaft Snell oder Descartes zugeschrieben und ist als Snelliussches Brechungsgesetz bekannt.7

Als weitere wichtige Gestalt in den Bereichen Optik und Physik begegnet uns Abū ʿAlī al-Ḥasan ibn al-Haiṯam (gest. 1040), latinisiert Alhazen genannt. Sein Hauptwerk ist das Buch der Optik (Kitāb al-Manāẓir), das im Lateinischen unter dem Titel De aspectibus erschienen ist.8 Es beeinflusste sehr viele spätere Physiker wie Roger Bacon (gest. 1294) oder Witelo (gest. 1280/909) und galt bis Kepler als das wichtigste Lehrbuch im Bereich der Optik. Al-Haiṯam (gest. 1040) studierte den Aufbau des Auges und erkannte, "dass das Sehen nur durch die Lichtbrechung in der Augenlinse möglich wird".10 Er erklärte den optischen Effekt der Mondtäuschung und gilt als Erfinder der Lupe. Weiters wurde ein mathematisches Problem, das Alhazensche Problem, nach ihm benannt. Für viele gilt al-Haiṯam (gest. 1040) als erster echter Naturwissenschaftler, da er in seiner Forschung sehr genaue Experimente durchführte, die ausgewertet und aufgezeichnet wurden und somit die Grundlage vieler Theorien bildeten.11

Astronomie

Die Astronomie hat im Islam ein hohes Ansehen, was dazu geführt hat, dass sich viele Gelehrte damit beschäftigt haben. Dazu gehören: al-Ḫwārizmī (gest. 850), Ibn Sīnā (gest. 1037) oder al-Bīrūnī (gest. 1048), die in anderen Bereichen schon genannt wurden, aber auch bedeutende Werke im Bereich Astronomie verfasst haben.

Zu den weiteren wichtigen Gelehrten im Bereich der Astronomie gehört Abū ʿAbdullāh Muḥammad ibn Ǧābir ibn Sinān al-Ḥarrānī aṣ-Ṣābī al-Battānī (gest. 929), latinisiert Albatanius. Er berechnete bis auf zwei Minuten die Länge eines Sonnenjahrs. Weiterhin berechnete al-Battānī (gest. 929) die Bewegung der Planeten, bestimmte die wahre Umlaufbahn der Sonne und hinterließ mit seinen astronomischen Tafeln (az-Zīdj) ein Werk, das großen Einfluss auf die Entwicklung der Astronomie in Europa hatte.12

Abū Saʿd ʿAbd ar-Raḥmān b. Yūnus aṣ-Ṣadafī al-Miṣrī (gest. 1009), kurz Ibn Yunus genannt, gehört zu den prominentesten muslimischen Astronomen. Sein Hauptwerk stellen die al-Zīdj al-kabīr al-ḥākimi (Die Großen Hakimitischen Planetentafeln) dar. Darin zitiert er die astronomischen Beobachtungen seiner Vorgänger und führt seine eigenen Beobachtungen an. Seine Tafeln bilden die umfangreichste Sammlung der mittelalterlichen astronomischen Beobachtungen, die uns bis heute bekannt sind.13

Muḥammad Ṭarag̱ẖāy bin S̱ẖākruḵẖ bin Tīmūr (gest. 1449), unter dem Titel Ulugh Beg (Großer Herrscher) bekannt, errichtete im Jahre 142014 unter Mitarbeit von al-Kāšī (gest.1429) ein Observatorium in Samarkand. Nach dem Tod seiner Mitarbeiter beendete er ihre Beobachtungen, fasste die neu gewonnenen mathematischen und astronomischen Erkenntnisse zusammen und veröffentlichte sie. Diese astronomischen Tafeln, als Zīḏj̱-i Ulug̱ẖ Beg oder Zīḏj̱ al-Sulṭānaʾī bekannt, hatten als Grundlage weitestgehend neue Beobachtungen und wurden sehr schnell zu Standard-Tafeln in der islamischen Welt sowie ins Lateinische übersetzt.15

Geographie

Als letzte Wissenschaft, die in diesem Beitrag behandelt wird und mit der sich zwei namhafte muslimische Gelehrte beschäftigt haben, ist die Geographie bzw. Kartographie zu nennen.

Abū ʿAbd Allāh Muḥammad b. Muḥammad b. ʿAbd Allāh b. Idrīs al-Idrīsī (gest. 1166), latinisiert Dreses, reiste viel nach Spanien, Nordafrika und Vorderasien und sammelte dabei wichtige geographische Informationen über die verschiedenen Regionen. Sein Hauptwerk Kitāb Nuzhat al-muštāq fī-ʾḫtirāq al-āfāq (Reise des Sehnsüchtigen, um die Horizonte zu durchqueren) beinhaltet genaue Karten und Beschreibungen der jeweiligen Regionen und deren Besonderheiten.16 Al-Idrīsī (gest. 1166) teilte die Welt in sieben Klimazonen ein und erstellte im Auftrag vom Roger II. (gest. 1154), dem König von Sizilien, eine silberne Erdtafel, die die gesamte damals bekannte Welt umfasste. Die Weltkarte al-Idrīsīs (gest. 1166) ist heute im Original nicht mehr erhalten, sie konnte jedoch rekonstruiert werden und blieb gemeinsam mit seinem Kitāb Nuzhat über Jahrhunderte hinweg ein Standardwerk der Kartographie.

Abū 'r-Raiḥān Muḥammad b. Aḥmad al-Bīrūnī (gest. 1048) beschäftigte sich mit Kartographie, Astronomie und Mathematik und gilt als Universalgelehrter. Er konnte genauer als all seine Vorgänger den Radius der Erde bestimmen und hinterließ über 180 Werke in den verschiedensten Bereichen.17 Seine wichtigsten Werke sind Kitāb al-Qanūn al-Mas'ūdī (Handbuch der Astronomie), Kitāb Tarich al-Hind (Geschichte Indiens) und Kitāb al-Āṯār al-bāqiya an al-qurūn al-chāliya (Die Hinterlassenschaften früherer Jahrhunderte).18 

Zusammenfassung

Aus diesen beiden Artikeln geht klar hervor, dass Muslime einen wichtigen Beitrag in der Entwicklung verschiedener Wissenschaften geleistet haben. Die gegenwärtige Diskussion über den Beitrag der muslimischen Gelehrten in der Wissenschaft wird leider von zwei gegensätzlichen Positionen beherrscht, die realitätsfremd sind. Einerseits versuchen einige Muslime, die Grundlagen aller wissenschaftlichen Errungenschaften schon bei den mittelalterlichen muslimischen Gelehrten oder in der Offenbarung zu finden, andererseits bestreiten andere Personen, aus ideologischen Gründen, den Beitrag der Muslime zu der Entwicklung der Wissenschaft im Allgemeinen und reduzieren die Leistungen der muslimischen Gelehrten im Mittelalter auf die Übertragung der griechischen Wissenschaften. Trotz dieser beiden Positionen darf es in diesem Diskurs nicht darum gehen, was Muslime in der Vergangenheit geleistet haben, sondern wie dieser Geist, der die Muslime in der Vergangenheit dazu geführt hat, einen erheblichen Beitrag zur wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Menschheit zu leisten, auch heute wiederhergestellt werden kann.

1 Vgl. Jim Al-Khalili: Im Haus der Weisheit. Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel, Frankfurt am Main: S. Fischer 2011, S. 210-212.

2 Hamid R. Yousefi: Einführung in die islamische Philosophie. Eine Geschichte des Denkens von den Anfängen bis zur Gegenwart, Paderborn, Stuttgart: Fink; UTB 2014, S. 54.

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Vgl. ebd., S. 52-54.

6 Vgl. ebd., S. 107-112.

7 Vgl. J. Al-Khalili: Im Haus der Weisheit, S. 250-253.

8 Vgl. ebd., S. 250.

9 Es ist kein genaues Sterbejahr bekannt.

10 Ebd., S. 257.

11 Vgl. ebd., S. 254-270.

12 Vgl. Hamilton A. R. Gibb/Johannes H. Kramers/Evariste Lévi-Provençal et al. (Hg.): A-B (= The Encyclopaedia of Islam, Band 1), Leiden: Brill 1986, S. 1104-1105.

13 Vgl. Bernard Lewis/Victor L. Ménage/Charles Pellat et al. (Hg.): H-Iram (= The Encyclopaedia of Islam, Band 3), Leiden: Brill 1986, S. 969-970.

14 Diese Zeitangabe wird in The Encyclopaedia of Islam genannt. Andere Quellen sagen, dass das in den Jahren 1424-1428 errichtet wurde. Es gibt auch Quellen, die besagen, dass es 1428-1429 erbaut wurde.

15 Vgl. Peri J. Bearman/Thierry Bianquis/Clifford E. Bosworth et al. (Hg.): T-U (= The Encyclopaedia of Islam, Band 10), Leiden: Brill 2000, S. 812-814.

16 Vgl. ebd., S. 1032-1034.

17 Vgl. H. A. R. Gibb/J. H. Kramers/E. Lévi-Provençal et al. (Hg.): A-B, S. 1236-1237.

18 Vgl. J. Al-Khalili: Im Haus der Weisheit, S. 412. 

X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern.