Islamische Seelsorge in Österreichs Gefängnissen

Artikel 14.11.2022 Redaktionsteam

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Islamischen Seelsorge in Österreichs Gefängnissen. Nach einer kurzen Begriffserläuterung und rechtlichen Rahmenstellung wird auf das Tätigkeitsfeld der muslimischen SeelsorgerInnen in Österreich eingegangen. Anschließend werden der Ausbildungsweg sowie die Herausforderungen thematisiert. Grundlage dieses Beitrages bildet ein Interview mit dem Leiter der Islamischen Gefängnisseelsorge Džemal Šibljaković, welches die Verfasserin des Beitrages im Mai dieses Jahres geführt hat.


Begriffserläuterung und rechtliche Rahmenstellung

Auch wenn es zahlreiche Koranverse und Hadithe gibt, die Hinweise auf seelsorgerliche Handlungen geben, ist weder der Begriff Seelsorge noch ein vorgefertigtes Konzept in den Hauptquellen des Islams vorzufinden. Auch außerhalb des islamischen Kontextes kann nicht von einem allgemein gültigen Seelsorgekonzept die Rede sein, weil ein solches Konzept stark vom jeweiligen Bezugsrahmen abhängig ist.  Dennoch lassen sich sowohl aus dem Koran, als auch aus der Sunna Methoden und Konzepte entwickeln, die den Alltag eines/einer SeelsorgerIn prägen. Diese betreffen Themen wie Schuld, Vergebung, Reue, Leid, Barmherzigkeit, Geduld, Hoffnung und Ähnliches.1

Die seelsorgerliche Betreuung von MuslimInnen in Österreich obliegt ausschließlich der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ). Dass allen Gefängnisinsassen und -insassinnen in Österreich ein/e SeelsorgerIn zusteht, ist rechtlich festgelegt. So heißt es in Paragraph 85 des Strafvollzugsgesetzes folgendermaßen: „(1) Jeder Strafgefangene hat das Recht, in der Anstalt am gemeinschaftlichen Gottesdienst und an anderen gemeinsamen religiösen Veranstaltungen teilzunehmen und Heilsmittel sowie den Zuspruch eines an der Anstalt bestellten oder zugelassenen Seelsorgers zu empfangen. […] (2) Einem Strafgefangenen ist auf sein ernstliches Verlangen auch zu gestatten, in der Anstalt den Zuspruch eines nicht für die Anstalt bestellten oder zugelassenen Seelsorgers seines eigenen Bekenntnisses zu empfangen. Die Entscheidung hierüber steht dem Anstaltsleiter zu. (3) Ist in der Anstalt für ein Bekenntnis ein Seelsorger weder bestellt noch zugelassen, so ist dem Strafgefangenen auf sein Verlangen nach Möglichkeit ein Seelsorger namhaft zu machen, an den er sich wenden kann. Diesem ist der Besuch des Strafgefangenen zu dessen seelsorgerischer Betreuung zu gestatten. (4) Strafgefangenen ist zu gestatten, auch außerhalb der Besuchszeiten (§ 94 Abs. 1) während der Amtsstunden den Besuch eines Seelsorgers zu empfangen. Der Inhalt der zwischen dem Strafgefangenen und dem Seelsorger geführten Gespräche ist nicht zu überwachen. […]“2

Aufgabenfeld

Wie schon in der Einführung kurz erwähnt, gibt der Kontext stark vor, wie sich die seelsorgerliche Arbeit gestaltet. Der Leiter der Islamischen Gefängnisseelsorge in Österreich, Džemal Šibljaković, empfindet die islamische Gefängnisseelsorge als einen intersubjektiven Reflexionsraum, in dessen Rahmen man mit Hilfe der Religion den Insassen und Insassinnen die Möglichkeit zum Reflektieren bietet. Was den Erstkontakt zu den SeelsorgerInnen betrifft, so kann man im Allgemeinen von drei Arten sprechen. Die gängigste Art ist, dass die Inhaftierten selbst formell um eine/n SeelsorgerIn ansuchen. Die weiteren Treffen, falls vorhanden, können auch persönlich und ohne formales Ansuchen organisiert werden. Weitaus seltener ist der Fall, dass sich Angehörige der Betreffenden direkt bei den SeelsorgerInnen oder auch bei der Glaubensgemeinschaft melden und um eine Kontaktaufnahme mit den Häftlingen bitten. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass die SeelsorgerInnen keine Kommunikationsbrücke zwischen den Inhaftierten und den Angehörigen bilden, sondern lediglich dem Wunsch nachkommen, die betroffene Person seelsorgerlich zu unterstützen. Nicht zuletzt ist auch über andere Dienste eine Kontaktaufnahme möglich, so beispielsweise durch das Ansuchen von PsychologInnen, SozialarbeiterInnen oder BeamtInnen. Unabdingbar für islamische SeelsorgerInnen ist es, sich mit den Regeln und Strukturen der jeweiligen Einrichtung auszukennen, um eine fruchtbare Zusammenarbeit sowohl mit den Inhaftierten, als auch mit den jeweiligen Justizvollzugsanstalten zu ermöglichen.3

Nach der Kontaktaufnahme variiert das Aufgabenfeld der SeelsorgerInnen abhängig von der Situation der Häftlinge. So kann es durchaus vorkommen, dass diese im Kontext des veränderten Umfeldes und der Ohnmacht, welche sie durch die vollständige Fremdbestimmung ihres Alltags verspüren, zum ersten Mal mit der Religion in Kontakt kommen. In diesem Fall bedarf es einer allgemeinen und grundlegenden Einführung von Seiten der SeelsorgerInnen. Es kann aber durchaus auch vorkommen, dass es sich um den Islam praktizierende Häftlinge handelt, die sich in ihrer religiösen Ausübung eingeschränkt fühlen. Das betrifft beispielsweise die rituelle Waschung, das Gebet oder das Fasten. In diesem Fall sind die SeelsorgerInnen damit beauftragt, den Inhaftierten mögliche Konzepte für ihre Religionsausübung unter den veränderten Umständen anzubieten. Auch hier spielt der Kontext eine bedeutende Rolle; so macht es jeweils einen Unterschied, ob sich die betreffende Person erst in Untersuchungshaft befindet, mit wie vielen Personen sie sich die Zelle teilt und Ähnliches mehr. Häufig kommt es auch vor, dass die Betreffenden einen seelsorgerlichen Beistand in ganz konkreten Thematiken brauchen. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Person mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat, an Gottes Barmherzigkeit zweifelt oder es ihr schwerfällt, geduldig zu bleiben. In solchen Fällen sind SeelsorgerInnen dazu aufgefordert, ganz konkrete Methoden zu entwickeln, wie sie mit den Ratsuchenden umgehen.4

Abgesehen von solchen konkreten Fällen, wo die Arbeitsweise lösungsorientiert angelegt ist, kommt es durchaus auch vor, dass die Inhaftierten lediglich eine Person suchen, die ihnen zuhört oder sich beispielsweise nach einer Koranrezitation sehnen. Beides kann von dem/der SeelsorgerIn übernommen werden. Auch allgemeine Tätigkeiten, wie das Organisieren und Durchführen von Freitags- und Festgebeten, gehören zum Arbeitsfeld der muslimischen SeelsorgerInnen. Der Fastenmonat Ramadan erfordert ebenso besondere Vorgehensweisen. So ist unter anderem für das zeitgerechte Servieren des ifṭār und saḥūr, der Mahlzeiten zum Fastenbrechen bzw. vor Fastenbeginn, zu sorgen. Eine nicht zu unterschätzende Arbeit der SeelsorgerInnen ist zudem die Vorbereitung auf die Entlassung der Häftlinge. Abhängig von ihrer Aufenthaltsdauer im Gefängnis kann es einigen durchaus schwerfallen, sich wieder in das gesellschaftliche Leben einzubringen. Dies betrifft sowohl individuelle Aspekte, wie die Selbstverantwortung, aber auch zwischenmenschliche Aspekte, wie das Verhältnis zu Familienangehörigen und FreundInnen.5

Ausbildungsweg und Herausforderungen

Zu den größeren Herausforderungen der islamischen Gefängnisseelsorge in Österreich gehört unter anderem der Ausbildungsweg selbst. Dadurch, dass die islamische Gefängnisseelsorge im Vergleich zu anderen Seelsorgen erst seit relativ kurzer Zeit etabliert ist, bedarf es auch neuer Ausbildungskonzepte. Aktuell erfolgt die Ausbildung zum/zur islamischen SeelsorgerIn durch einen postgradualen Lehrgang in Form eines Zertifikatskurses, der in Kooperation mit der Universität Wien und dem Post Graduate Center organisiert wird. Dabei wird eine theologische bzw. psychosoziale Ausbildung vorausgesetzt, weil der Kurs lediglich eine Zusatzausbildung darstellt. Diese Tatsache führt zur nächsten Herausforderung, nämlich zu dem Mangel an Ressourcen. Um die strukturellen Komplexitäten in den einzelnen Bereichen der islamischen Gefängnisseelsorge zu bewältigen, bedarf es ausreichender Zeit und des Engagements der SeelsorgerInnen. Beides ist jedoch nur dann umfassend möglich, wenn es auch eine finanzielle Entlohnung für die Arbeit gibt. Gegenwärtig ist die einzige mit finanziellen Mitteln aufgewertete Stelle jene des Leiters der Islamischen Gefängnisseelsorge. Eine stabile finanzielle Basis würde hingegen die strukturelle Weiterentwicklung, langfristige Planung, internationale Vernetzung sowie auch den Ausbau der Ausbildung und eine Professionalisierung der Methodik ermöglichen.6

Abschließend kann gesagt werden, dass die islamische Seelsorge in Österreichs Gefängnissen eine neu etablierte Disziplin ist, die sich zwar noch im Aufbau befindet, jedoch insbesondere in den letzten Jahren bereits eine bemerkenswerte Zunahme an Professionalisierung erfahren hat.

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