Konversion im Islam

Artikel 11.09.2018 Redaktionsteam

Dieser Beitrag befasst sich mit dem Thema Konversion zum Islam. In diesem Zusammenhang werden die Definition religiöser Konversion, Motive und Rituale thematisiert sowie die Tatsache, dass Konversion als fortlaufender Entwicklungsprozess zu sehen ist. „Neue MuslimInnen“ stehen vor der Herausforderung, einen individuellen Zugang zum Islam, der damit verbundenen Religionspraxis sowie zum muslimischen wie nichtmuslimischen Umfeld zu finden.


EINLEITUNG

Menschen, die den Islam angenommen haben, werden im Allgemeinen (und im Folgenden auch in diesem Text) als Konvertiten bzw. Konvertitinnen bezeichnet, seltener auch als „neue MuslimInnen“ – dies wohl aus dem Wunsch heraus, jenes technisch klingende Wort „Konvertit“ zu vermeiden. KonvertitInnen also sind eigentlich erst seit dem 11. September 2001 in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Dies allerdings im negativen Sinn – sei es im Zusammenhang mit Terroranschlägen oder aufgrund, im Vergleich dazu, harmloserer, wenn auch äußerst fragwürdiger und schlussendlich verbotener Aktionen, wie jener der öffentlichen Verteilung von Koranübersetzungen im deutschsprachigen Raum vor einigen Jahren. Bis zu jenem Datum 9/11 rief die Tatsache einer Konversion zum Islam nur im direkten Umfeld von Familie, Freunden und Kollegenschaft der AkteurInnen Reaktionen hervor, die von Interesse über verständnisloses Kopfschütteln bis hin zur Ablehnung oder gar zum Abbruch jeglicher Beziehung reichen konnten, je nach individuellem Kontext.

DEFINITION RELIGIÖSER KONVERSION

Will man religiöse Konversion definieren, bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten an in Abhängigkeit davon, ob es sich um einen anthropologischen, religionswissenschaftlichen, psychologischen oder anderen Zugang handelt. In zahlreichen psychoanalytischen Werken wird religiöse Konversion oft als „pathologisches Phänomen mit dem Konvertit als passivem Agenten“1 definiert. Bei sozialwissenschaftlichen Ansätzen besteht die Gefahr des Fokus auf Theorie und Analyse, wodurch in der Folge „der Wunsch nach Transzendenz […] als motivierender Faktor“2 im Zusammenhang mit einer Konversion ignoriert wird, welcher aber in der subjektiven Wahrnehmung der KonvertitInnen selbst häufig die zentrale Rolle spielt.3

Eine mögliche allgemeine Definition sieht religiöse Konversion als „[e]ine Änderung der Zugehörigkeit von einer Religion zu einer anderen oder de[n] Übergang von der Nicht-Beteiligung zum Glauben an eine Religion. Es bezeichnet auch eine Veränderung, die eine Transformation und Neuorientierung beinhaltet, die jeden Aspekt des Lebens einer Person beeinflusst, der [!] plötzlich oder allmählich auftritt.“4

MOTIVE

Ungeachtet eines möglicherweise vorhandenen oder nicht vorhandenen Zusammenhangs mit 9/11 wird seit einigen Jahren eine Zunahme von Konversionen zum Islam in Westeuropa vermutet. Dies wird häufig mit der Suche und dem Wunsch der Menschen nach Sinn, Halt und Werten im Leben begründet, was wiederum im Kontext einer sich stetig verändernden, globalisierten und an materiellen Werten orientierten Welt stehen kann.5 Oftmals werden hinter der Entscheidung, MuslimIn zu werden, muslimische Ehepartner vermutet. Auch wenn ein Zusammenhang diesbezüglich bestehen kann, so kann man doch primär von einer religiösen Motivation ausgehen, den Islam anzunehmen.6 Der Islam wird von vielen sowohl als „Religion der Vernunft und Rationalität“7 als auch Religion „eines moralischen und ethischen Wegs“8 definiert. Viele Menschen im Westen fanden und finden ihren Zugang zum Islam auch über den Sufismus, der nach Martin Lings jene Rolle im Islam innehat, welche das Herz in unserem Körper spielt.9

RITUAL

Um formell ein Muslim bzw. eine Muslimin zu werden, gilt es nach mehrheitlicher muslimischer Ansicht, einen bestimmten formalen Ablauf einzuhalten. Zunächst vollzieht das künftige Mitglied der islamischen Gemeinde eine rituelle Ganzkörperwaschung (ġusl). Dann rezitiert er oder sie vor Zeugen das islamische Glaubensbekenntnis (šahāda), womit er oder sie das Bekenntnis zum einen einzigen Gott und dessen Gesandten Muhammad ablegt. Dies erfolgt je nach Rechtsschule ein oder drei Mal, um nach Möglichkeit sicherzustellen, dass es sich dabei um eine bewusste Entscheidung handelt. Viele KonvertitInnen wählen aus Anlass ihres Übertritts zum Islam einen neuen (je nach Kontext meist arabischen oder auch türkischen) Namen. Dies stellt keine Verpflichtung dar, wird aber oft als ein symbolischer Neubeginn empfunden bzw. soll damit die Zugehörigkeit zum neuen Glauben explizit sichtbar werden. Zusätzlich ist für erwachsene Männer die muslimische Tradition der Beschneidung anlässlich der Konversion zwar nicht obligatorisch, wird aber dennoch oft vorgenommen.10

An dieser Stelle sei erwähnt, dass manche MuslimInnen aus dem sogenannten fiṭra-Konzept, wonach einer bestimmten Interpretation zufolge alle Menschen als MuslimInnen geboren werden, ableiten, dass eine formale Konversion zum Islam eigentlich nicht nötig bzw. möglich sei. Vielmehr kehre ein/e KonvertitIn nur zum wahren Glauben des Islams zurück.11 Diese Ansicht stellt allerdings eine begrenzte und theologisch nicht haltbare Interpretation dar, die den Begriff Islam einzig auf eine formale Religionsgemeinschaft bezieht. Hingegen meint fiṭra die natürliche Veranlagung des autonomen Wesens Mensch, mit Gott in eine Beziehung treten zu wollen und zu können und darüber hinaus zur Erkenntnis von recht und unrecht fähig zu sein. Muslim-Sein wird nach diesem Verständnis als bewusste Gottergebenheit verstanden, die nicht mithilfe des Konzepts offizieller Religionsgemeinschaften limitiert werden sollte.

ENTWICKLUNGSPROZESS IM GLAUBEN UND IDENTITÄTSFINDUNG

Der formalen Annahme des Islams mit dem Aussprechen der šahāda folgt die (allmähliche) Übernahme der islamischen Praktiken wie Gebet, Fasten im Ramadan etc. Basierend auf prophetischen Überlieferungen werden folgende Intensitätsstufen des Glaubens unterschieden: islām, imān und ihsān, wobei islām mit den ersten Schritten des Bezeugens und der Praxis erreicht ist, woraufhin imān als „Glaube aus dem Herzen“12 ein höheres Niveau beschreibt, bevor ihsān als Verinnerlichung des Glaubens, der sich bestmöglich im gesamten Wesen und Leben des/der Gläubigen als „schöne Moral“ ausdrückt, schließlich die höchste Stufe darstellt.13 Diese Stufen machen deutlich, dass sich jede/r Gläubige in einem steten Entwicklungsprozess seines Glaubens befindet bzw. befinden sollte, wenn man davon ausgeht, dass nur ein sich weiter entwickelnder Glaube ein lebendiger ist. Man könnte sagen, dass KonvertitInnen in doppelter Hinsicht einem solchen Entwicklungsprozess unterworfen sind. Einmal im Rahmen der soeben erwähnten Glaubensstufen, zunächst jedoch in der Transformation von einem wie auch immer gearteten „Leben vor dem Islam“ hin zur Konversionsentscheidung und einem daraufhin beginnenden „Leben im Islam“. In dieses muss erst hineingefunden werden, im Sinne des Erreichens einer der eigenen Person entsprechenden Religiosität, was viel Zeit, auch Jahre, in Anspruch nehmen kann.

Viele KonvertitInnen scheinen jedoch im Überschwang des als Beginn ihres neuen Lebens empfundenen Konversionserlebnisses nicht zu realisieren, dass der Übertritt zum Islam eben nicht den Endpunkt, sondern erst den Beginn eines Entwicklungsprozesses darstellt. Dieser Prozess erfordert zuallererst Mut, zur eigenen Entscheidung zu stehen und damit verbundene Konsequenzen zu tragen. Er kann von Zweifeln und Unsicherheit, auch Brüchen und weiteren, zukünftigen Transformationen geprägt sein und dauert möglicherweise ein Leben lang an.14

Vorsichtig sollte man gegenüber Ansichten sein, die eine Konversion als „Wechsel von einem verlorenen und gottlosen Zustand des Geistes zu einer Gott-erfüllten und friedlichen Gesinnung“15 erachten, als den Übergang von einem „Leben in Unordnung und Sünde einerseits, und Frieden und Stabilität andererseits.“16 Ein solches Schwarz-Weiß-Denken kann der Lebensrealität kaum entsprechen. Denn Glaube bzw. Gottesbewusstsein können natürlich bereits vor einer „Bekehrung“ zum Islam vorhanden sein, ebenso wie auch das Leben nach der Konversion nicht notwendigerweise nur von Frieden und Stabilität geprägt sein wird.

PRAXIS

Oftmals kann beobachtet werden, dass „neue MuslimInnen“ in der Anfangsphase ihrer islamischen Lebenspraxis dazu tendieren, gewissermaßen über das Ziel hinaus zu schießen und „islamischer“ zu werden als ihre „alteingesessenen“ Glaubensgeschwister. Dies äußert sich oft in einer besonders radikalen, plötzlichen Veränderung in äußerlicher Hinsicht, wie bezüglich Kleidung, Kopftuch bei Frauen oder Barttragen bei Männern, oder auch in der rigiden Befolgung von Speisevorschriften und der Einhaltung der täglichen Gebetszeiten.17 Solche an Äußerlichkeiten und Formalitäten orientierte Verhaltensweisen lassen sich als Ausdruck der Unsicherheit in einer Situation des Umbruchs interpretieren. Vielleicht aus der emotionalen Erfahrung heraus, dass sich die ersehnte hohe Glaubensstufe nicht sofort wie per Knopfdruck mit der formellen Konversion einstellt, suchen KonvertitInnen in besonderer Weise Halt in äußeren, formalen Aspekten. Dies kann wiederum sowohl im nichtmuslimischen als auch muslimischen Umfeld zu Irritationen führen.

Nach der angesprochenen Anfangsphase gelangen viele KonvertitInnen im Lauf der Zeit zu einer gelasseneren und individuellen Haltung in Bezug auf den Umgang mit islamisch-religiösen Normen, indem sie diese „respektieren, aber eine umfangreichere Interpretation und Auslegung zulassen.“18 Ihr Ziel ist, für „sich eine akzeptable Lösung für ihre individuellen Umstände [zu] entwickeln, die gleichzeitig mit der Religion vereinbar sind und mit ihrem persönlichen Verständnis übereinstimmen.“19

KONVERSION UND UMFELD

In den letzten Jahren kann man in der Gesellschaft, Konversion zum Islam betreffend, vermehrt die Tendenz zu Stereotypisierungen beobachten. KonvertitInnen werden mit Radikalisierung und salafistischen bzw. dschihadistischen Strömungen in Verbindung gebracht. Und obwohl jene, die sich tatsächlich radikalisieren, die Ausnahme bilden, wirkt diese Assoziation auf die Wahrnehmung von und den Umgang mit KonvertitInnen im Alltag ein.20 Diese geraten dadurch unter ständigen Rechtfertigungsdruck, sei er latent oder manifest. Insbesondere trifft dies aufgrund ihrer Sichtbarkeit auf kopftuchtragende Frauen zu (dies unabhängig davon, ob sie Konvertitinnen sind oder nicht).21 Wie sich dies aus psychologischer Sicht auswirkt, ist eine interessante Frage, die an dieser Stelle aber nicht weiter verfolgt werden kann.

Seitens der KonvertitInnen besteht oft eine gewissermaßen idealisierte Vorstellung von ihrer „neuen“ Glaubensgemeinschaft, wonach sie einfach aufgrund der Tatsache, muslimisch geworden zu sein, von ihren „Geschwistern im Islam“ umgehend als eine/r der Ihren aufgenommen würden. Im Einzelfall mag dies durchaus der Fall sein. Häufig ist es aber für die „Neuen“ zunächst nicht einfach, mehr als oberflächlichen Anschluss innerhalb der Gemeinde zu finden. Dies liegt keineswegs am Islam selbst, der (theoretisch) über allen sozialen und ethnischen Grenzen anzusiedeln ist, sondern an der häufig zu beobachtenden, an eben jenen Grenzen orientierten Abgeschlossenheit der betreffenden Moscheegemeinden.22 Es könnte sich hierbei aber auch einfach um einen natürlichen Aspekt zwischenmenschlicher Beziehungen handeln, wenn die Aufnahme der „Neuen“ in die Gemeinde nicht automatisch anlässlich der Konversion erfolgt.

KonvertitInnen nehmen gewissermaßen „die eigene religiöse Biographie bewusst selbst in die Hand.“23 Mit ihrer persönlichen, individuellen Konversionserfahrung bringen sie gleichzeitig „Unruhe in festgefügte Strukturen und fragen Traditionen kritisch an, sowohl im Blick auf die Religionsgemeinschaft, aus der sie herkommen, als auch in der neuen Religionsgemeinschaft.“24 Die Religionsgemeinschaften stehen vor der Aufgabe, sich dem Thema Konversion hinsichtlich Seelsorge, Bildungsarbeit und interreligiösem Dialog zu widmen. Tatsache ist, dass in Folge einer Konversion „Beziehungen aufgebrochen und teilweise abgebrochen, neue Beziehungen eröffnet und vertieft [werden]. Damit fordert ein Glaubenswechsel zu vertiefter Beziehungsarbeit heraus.“25 Werden KonvertitInnen nicht isoliert, weder von muslimischer noch nichtmuslimischer Seite, bzw. isolieren sie sich auch nicht selbst, so haben sie aufgrund ihrer muslimischen wie „westlichen“ Sensibilität die Möglichkeit, „zu effektiven, kulturellen und religiösen Mediatoren“26 zu werden, was dem interreligiösen Dialog und der gesamten Gesellschaft zu Gute kommt.27

1 L. Rambo, zit. nach Caroline A. Neumüller: Konversion zum Islam im 21. Jahrhundert. Deutschland und Großbritannien im Vergleich, Frankfurt am Main: Peter Lang 2014, S. 25.

2 Ebd.

3 Vgl. ebd., S. 24f.

4 Goring, zit. nach ebd., S. 39.

5 Vgl. ebd., S. 49, 26.

6 Vgl. ebd., S. 298.

7 Ebd., S. 51.

8 Ebd.

9 Vgl. ebd., S. 74.

10 Vgl. ebd., S. 44f.

11 Vgl. ebd., S. 45.

12 Ebd.

13 Vgl. ebd.

14 Vgl. ebd., S. 38.

15 Ebd., S. 38.

16 Ebd.

17 Vgl. ebd., S. 44f.

18 Ebd., S. 175.

19 Ebd.

20 Vgl. ebd., S. 48; Susanne Kaiser: Die neuen Muslime. Warum junge Menschen zum Islam konvertieren, Wien: Promedia Verlag 2018, S. 187.

21 Anm.: Die Psychologin und Comic-Künstlerin Soufeina Hamed schildert diesbezüglich ihre eigene Sicht, vgl. Soufeina Hamed: »Warum ich viele bin und warum wir alle eins sind«, in: Amani Abuzahra (Hg.), Mehr Kopf als Tuch. Muslimische Frauen am Wort, Innsbruck, Wien: Tyrolia-Verlag 2017, S. 61-67.

22 Vgl. C. A. Neumüller 2014, S. 45f.; S. Kaiser 2018, S. 188.

23 Simone Sinn: »Konversionen als Anlass für gemeinsame Lernprozesse von Christen und Muslimen. Empirische und theologische Aspekte eines kontroversen Phänomens«, in: Hansjörg Schmid (Hg.), Zeugnis, Einladung, Bekehrung. Mission in Christentum und Islam; [sechste Gemeinsame Christlich-Muslimische Tagung des Theologischen Forums Christentum - Islam vom 5. bis 7. März 2010], Regensburg: Pustet 2011, S. 215-227, hier S. 215.

24 Ebd., S. 221.

25 Ebd., S. 227.

26 C. A. Neumüller 2014, S. 310.

27 Vgl. ebd.

Hamed, Soufeina: »Warum ich viele bin und warum wir alle eins sind«, in: Amani Abuzahra (Hg.), Mehr Kopf als Tuch. Muslimische Frauen am Wort, Innsbruck, Wien: Tyrolia-Verlag 2017, S. 61-67.

Kaiser, Susanne: Die neuen Muslime. Warum junge Menschen zum Islam konvertieren, Wien: Promedia Verlag 2018.

Neumüller, Caroline A.: Konversion zum Islam im 21. Jahrhundert. Deutschland und Großbritannien im Vergleich, Frankfurt am Main: Peter Lang 2014.

Sinn, Simone: »Konversionen als Anlass für gemeinsame Lernprozesse von Christen und Muslimen. Empirische und theologische Aspekte eines kontroversen Phänomens«, in: Hansjörg Schmid (Hg.), Zeugnis, Einladung, Bekehrung. Mission in Christentum und Islam; [sechste Gemeinsame Christlich-Muslimische Tagung des Theologischen Forums Christentum - Islam vom 5. bis 7. März 2010], Regensburg: Pustet 2011, S. 215-227.

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