Üble Nachrede anhand des Vorfalls von ʿĀʾiša

Artikel 22.08.2022 Redaktionsteam

Üble Nachrede, auch unter den Begriffen Diffamierung, Verleumdung und Backbiting bekannt, ist nicht nur aus religiöser Hinsicht eine verwerfliche Handlung, sondern auch staatsrechtlich strafbar. Der folgende Beitrag soll zum einen eine Begriffsdefinition sowie einen rechtlichen Rahmen bieten. Zum anderen wird die Thematik aus der Sicht der zwei islamischen Hauptquellen, Koran und Sunna, betrachtet. Abschließend wird die Thematik nochmals anhand eines Vorfalls mit der Ehefrau des Propheten Muhammad, ʿĀʾiša, aufgegriffen.


Auf der Website der österreichischen Bundesverwaltung wird „Üble Nachrede“ wie folgt definiert: „Üble Nachrede ist der Vorwurf einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung oder eines unehrenhaften Verhaltens (z. B. Faschist, Rechtsextremist, …) oder eines Verhaltens gegen die guten Sitten.“1

Allerdings gibt es Voraussetzungen dafür, die eine solche Tat strafbar machen. So muss zum einen eine Drittperson diese wahrnehmen. Eine private Konversation, bei der einer der drei oben genannten Vorwürfe fällt, und die von keiner Drittperson wahrgenommen wurde, kann somit nicht sanktioniert werden. Zum anderen darf der Vorwurf nicht der Wahrheit entsprechen. Stellt sich somit heraus, dass der getätigte Vorwurf richtig ist, so ist nicht mehr von übler Nachrede zu sprechen.2 Dadurch, dass es sich um ein Privatanklagedelikt handelt, muss die betroffene Person selbst bei der Polizei eine Anzeige erstatten. Wird ein strafrechtliches Vergehen festgestellt, so kann der/die TäterIn mit einer „Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen“3 rechnen.

In der Enzyklopädie „The Qur'an: an Encyclopedia“ wird Backbiting folgendermaßen definiert: „Verleumdung, üble Nachrede oder Verunglimpfung ist das Kritisieren oder Verspotten anderer in deren Abwesenheit. Normalerweise besteht die Absicht der Verleumdung darin jemanden herabzusetzen, indem man eine negative Eigenschaft dieser Person kommentiert.“4

Darunter fallen Handlungen wie das Nennen von Fehlern einer abwesenden Person, das Auslachen einer Person aufgrund äußerer oder innerer Merkmale, falsche Anschuldigungen gegenüber einer Person, ja sogar das direkte oder indirekte Unterstützen einer anderen Person dabei, beispielsweise indem man lacht.

Koran und Sunna

Dass üble Nachrede eine verwerfliche Tat ist, in manchen Fällen sogar eine Sünde darstellt, finden wir im Koran. So heißt es in  Koran 49:12 wie folgt: „O ihr, die ihr Glauben erlangt habt! Vermeidet die meiste Vermutung (übereinander) – denn, siehe, manche (solcher) Vermutung ist (an sich) eine Sünde; und spioniert einander nicht nach, und erlaubt euch selbst auch nicht, schlecht übereinander hinter euren Rücken zu reden. Würde irgendeiner von euch das Fleisch seines toten Bruders essen mögen? Nein, ihr würdet es verabscheuen! Und seid euch Gottes bewußt. Wahrlich, Gott ist ein Reueannehmender, ein Gnadenspender!“5

Dieser gravierende Vergleich mit dem Kannibalismus hat zweierlei Gründe. Das Ausmaß der Verwerflichkeit von Verleumdung soll in erster Linie damit verdeutlich werden, indem man diese Tat mit einer religionsrechtlich verbotenen Tat vergleicht. Hierbei spielt nicht nur das religiöse Verbot eine Rolle, sondern auch das „widerliche Bild des Verzehrs einer Leiche“6. Weiters wird die Verleumdung mit dem Verletzen der Würde des toten menschlichen Körpers verglichen.7

In einem weiteren Koranvers geht es um ein konkretes Beispiel der Diffamierung, nämlich um die Schuldzuweisung. Hierbei heißt es: „Aber wer einen Fehler oder eine Sünde begeht und dann die Schuld daran auf eine unschuldige Person schiebt, der belastet sich selbst mit der Schuld der Verleumdung und (noch einer anderen) schändlichen Sünde.“8

Auch in den Überlieferungen des Propheten Muhammad lässt sich das Thema oftmals finden. So soll der Prophet Folgendes gesagt haben: „Die am weitesten verbreitete Art von Wucher [ribā] ist es, die Ehre eines Muslims mit Unrecht zu verletzen.“9

Hierbei wird die Verleumdung als eine Form des Wucherwesens bezeichnet.

Weiters wird von Abū Huraira berichtet: „Wisst ihr, was Verleumdung ist? Sie (die Gefährten) sagten: Allah und Sein Gesandter wissen es am besten. Daraufhin sagte er (der Heilige Prophet): Verleumdung bedeutet, dass du über deinen Bruder in einer Weise sprichst, die ihm nicht gefällt. Es wurde zu ihm gesagt: "Was denkst du darüber, wenn ich bei meinem Bruder tatsächlich den Fehler finde, den ich erwähnt habe? Er sagte: Wenn (dieser Mangel) tatsächlich bei ihm zu finden ist, was du behauptest, dann hast du tatsächlich über ihn übel nachgeredet, und wenn das nicht bei ihm der Fall ist, dann ist es eine Verleumdung."“10

Im englischen Text wird hierbei zuerst das Wort backbited verwendet, was in dieser Übersetzung als „übel nachgeredet“ bezeichnet wird, und anschließend das Wort slander, das hier mit „Verleumdung“ übersetzt wurde. Diesem Hadith zufolge gilt eine Aussage auch dann als Verleumdung, wenn sie stimmt, allerdings in Abwesenheit der betroffenen Person getätigt wurde.

Vorfall mit ʿĀʾiša

ʿĀʾiša war gemeinsam mit dem Propheten Muhammad und einigen Begleitern auf der Rückreise nach Medina, als die Gruppe eine Rast machte.  Die Ehefrau des Propheten, die den Erzählungen nach relativ zierlich war, wurde aufgrund ihres geringen Gewichtes von den Männern, die ihre Sänfte trugen, kaum wahrgenommen. Während der Pause verließ sie ihre Sänfte mit dem Wunsch nach ein wenig Privatsphäre. Als sie wieder zurück zur Karawane wollte, merkte sie, dass sie ihre Kette verloren hatte, weswegen sie sich auf die Suche danach machte. In der Zwischenzeit endete die Rast der Karawane und sie setzte sich wieder in Bewegung auf dem Weg nach Medina. Die Männer, die ʿĀʾišas Sänfte trugen, hatten ihr Fehlen nicht bemerkt und schlossen sich der Gruppe an. Als ʿĀʾiša wieder zum Rastplatz ging, merkte sie, dass die Karawane schon fort war; sie war nun in der Wüste auf sich alleine gestellt, mit der Hoffnung, dass jemand ihre Abwesenheit bemerken und sie abholen würde. Dort eingeschlafen, wurde sie von einem Gefährten des Propheten, Ṣafwān, gefunden. Dieser hatte ebenfalls den Anschluss an die Karawane verpasst, nachdem er eigenständig eine Pause gemacht hatte. Ṣafwān erkannte ʿĀʾiša und bat sie auf sein Kamel. Am nächsten Morgen konnten die beiden die Karawane einholen. Allerdings haben sich schnell Gerüchte über Ṣafwān und ʿĀʾiša verbreitet, da sie ja gemeinsam und erst eine Nacht später die Karawane erreichten. Die Gerüchte breiteten sich rasant unter den Stadtbewohnern aus, was sich rufschädigend auf ʿĀʾiša, die durch den Koran den Beinamen „Mutter der Gläubigen“11 erhalten hatte, auswirkte. Die beiden verteidigten sich und wiesen jegliche Vorwürfe zurück. Kurz darauf bekam der Prophet Muhammad allerdings eine Offenbarung, welche die Unschuld ʿĀʾišas bestätigte. Es wurden die Koranverse 11-19 der 24. Sura offenbart:12 „Wahrlich, zahlreich unter euch sind jene, die andere fälschlich der Unkeuschheit beschuldigen würden: (aber, o ihr, denen derart Unschuld geschieht,) erachtet es nicht für eine schlechte Tat für euch: nein, es ist gut für euch! (Was die Verleumder angeht,) jedem von ihnen (wird) alles (angerechnet werden), was er sich durch (derartiges) Sündigen erworben hat; und schreckliches Leiden erwartet jeden von ihnen, der es auf sich nimmt, diese (Sünde) zu vergrößern!“13

Die Tatsache, dass Koranverse explizit zu diesem Vorfall herabgesandt wurden, verdeutlicht das Verbot von übler Nachrede und Verleumdung sowie das Gebot gerecht zu sein.

An den oben angeführten Koranversen und Hadithen sowie der Geschichte über die Ehefrau des Propheten, ʿĀʾiša, wird die Relevanz dieser Thematik deutlich. Wie sich gezeigt hat, stellt üble Nachrede eine ungerechte Tat dar und gilt somit als Sünde. Ausgenommen von jenem Material, welches explizit die Verleumdung beziehungsweise üble Nachrede verbietet, ist auf die zahlreichen Koranverse und Hadithe hinzuweisen, die Gebote zur Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Ähnlichem beinhalten.

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