Abraham - Grundlage eines interreligiösen Trialogs?

Artikel 25.10.2023 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit Abraham als Stammvater der drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Dabei soll seine Figur in den einzelnen Religionen mit dem Ziel untersucht werden, herauszufinden, ob sich Abraham als Ausgangspunkt eines interreligiösen Trialogs eignet oder die Unterschiede in den einzelnen Religionen dies nicht erlauben.


Einleitung

Im Kontext der drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam gibt es zahlreiche Versuche, auf Grundlage der Figur Abrahams einen interreligiösen Trialog anzustoßen – nicht ohne Grund, denn in den Heiligen Schriften der sogenannten abrahamitischen Religionen lassen sich durchaus Überlappungen feststellen. Koranische Berichte über Abraham weisen Ähnlichkeiten mit jenen in der hebräischen Bibel auf. Es wird angenommen, dass die koranischen Erzählungen über Abraham jüdischen Ursprungs seien beziehungsweise jüdische Quellen als Grundlage haben. Auch das Neue Testament greift einige jüdischen Perspektiven auf, die im Laufe dieses Beitrages dargelegt werden. Hierbei gilt es zu erläutern, in welcher Beziehung die jüdischen, christlichen und islamischen Erzählungen über Abraham zueinanderstehen. Weiters soll untersucht werden, inwiefern interreligiöser Trialog auf Grundlage der Figur Abrahams aufgebaut werden kann oder ob diese vermeintliche Verbindungsfigur nicht doch (zu) signifikante Unterschiede innerhalb der einzelnen Religionen aufweist.1

Abraham im Judentum

Der hebräischen Bibel nach habe Abraham aramäische oder amoritische Wurzeln. Sein Vater soll nach Harran in der heutigen türkischen Provinz Şanlıurfa ausgewandert sein und dementsprechend solle dies Abrahams Geburtsort darstellen.2

Nach jüdischer Auffassung ist Abraham von Gott zum Stammvater eines großen Volkes, nämlich des israelitischen, bestimmt worden. Dieses ist außerdem von Gott auserwählt und stellt somit ein besonderes Volk dar.3 So heißt es im Buch Genesis:

„Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.“4

Nach jüdischer Auffassung verlangt Gott von Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern. Abraham ist bereit zu gehorchen, Gott verhindert allerdings die Opfergabe.5

Es ist umstritten, ob sowohl die mündlichen als auch die schriftlichen Berichte über Abraham in der hebräischen Bibel als authentisch einzustufen sind. Der deutsche Bibelwissenschaftler Julius Wellhausen (gest. 1918), bekannt für seinen historisch-kritischen Zugang, führt drei Quellen an, auf welchen die Berichte über Abraham in der hebräischen Bibel beruhen sollen, nämlich die jahwistische Schrift, die elohistische Schrift und der Bericht der Priester.6

​​​​​​​Abraham im Christentum

Im Neuen Testament findet Abraham 72-mal Erwähnung. Aufgrund seiner Auswanderung in ein fremdes, unbekanntes Gebiet sowie der Bereitschaft, seinen Sohn auf Gottes Befehl zu opfern, was sein bedingungsloses Vertrauen in Gottes Willen zeigt, wird Abrahams Glaube als der „beste Glaube“ bezeichnet.7 Im Brief des Jakobus heißt es folgendermaßen:

„Willst du also einsehen, du unvernünftiger Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist? Wurde unser Vater Abraham nicht aufgrund seiner Werke als gerecht anerkannt? Denn er hat seinen Sohn Isaak als Opfer auf den Altar gelegt. Du siehst, dass bei ihm der Glaube und die Werke zusammenwirkten und dass erst durch die Werke der Glaube vollendet wurde. So hat sich das Wort der Schrift erfüllt: Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet, und er wurde Freund Gottes genannt. Ihr seht, dass der Mensch aufgrund seiner Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein.“8

Im Römerbrief wird die Rolle Abrahams so gedeutet, dass er als ein Vorbild für alle Christ*innen zu verstehen sei und nicht nur für das israelitische Volk.9 Im Galaterbrief wird die Verheißung des auserwählten Volkes endgültig und ausschließlich aufgehoben:

„Denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, habt Christus angezogen. Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Weib; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. Wenn ihr aber Christus angehört, seid ihr ja Abrahams Nachkommenschaft, Erben gemäß der Verheißung.“10

Somit wurde die Nachkommenschaft Abrahams von der Zugehörigkeit zum israelitischen Volk entkoppelt und an den Glauben an Jesus und die Taufe verknüpft. Auch im Hebräerbrief11 wird der starke Glaube und das Gottvertrauen Abrahams, aber auch jene seiner Frau Sarah, hervorgehoben. Somit kann als grundlegende Unterscheidung bezüglich der Sichtweise auf Abraham im Judentum und Christentum behauptet werden, dass letzteres die Relevanz des auserwählen Volkes bestreitet.12

​​​​​​​Abraham im Islam

Abraham findet im Koran in 25 unterschiedlichen Suren insgesamt 69-mal Erwähnung. Die 14. Sure des Korans ist sogar nach ihm benannt. Im islamischen Kontext wird sein Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und gegen den Polytheismus hervorgehoben: „Und, siehe, (also) sprach Abraham zu seinem Vater Azar: » Nimmst du Götzenbilder als Götter? Wahrlich, ich sehe, daß du und dein Volk offensichtlich irregegangen sind!«“13 Auch sein Monotheismus wird an zahlreichen koranischen Stellen betont, so beispielsweise in Koran 19:41 – 49 und 21:51 – 73.

Die Geschichte Abrahams wird im Koran nicht eigenständig aufgegriffen, sondern beruht auf den Berichten der sog. Leute der Schrift (ahl al-kitāb), auch wenn diese teilweise abgewandelt ist.14 Es finden sich auch keinerlei chronologische biographische Angaben zu seiner Person.15

Von besonderer Relevanz in den koranischen Texten über Abraham ist der Bau der Kaaba. An zahlreichen Stellen wird er gemeinsam mit seinem Sohn Ismael erwähnt: „Und als Abraham und Ismael die Grundmauern des Tempels errichteten, (beteten sie:) »O unser Erhalter! Nimm Du dies von uns an: denn, wahrlich, Du allein bist allhörend, allwissend!“16

Im Gegensatz zum Judentum und Christentum, wonach Abrahams Sohn Isaak geopfert werden sollte, betrifft dies nach islamischer Auffassung den Sohn Ismael. Dazu heißt es im Koran:

„Und (eines Tages,) als (das Kind) alt genug geworden war, an seines (Vaters) Bemühungen teilzuhaben, sagte letzterer: »O mein lieber Sohn! Ich habe in einem Traum gesehen, daß ich dich opfern sollte: betrachte denn, was deine Ansicht sein würde!« (Ismael) antwortete: »O mein Vater! Tu, wie dir geboten ist: du wirst mich, wenn Gott es so will, unter jenen finden, die geduldig in Widrigkeit sind!«“​​​​​​​17

Auch wenn Abraham in allen drei abrahamitischen Religionen eine wichtige Rolle spielt, so ist doch festzustellen, dass er in jeder Religion eine besondere Rolle einnimmt und jeweils andere Aspekte stärker betont werden. Im Judentum wird die Bedeutung seiner Gestalt für das auserwählte israelitische Volk betont, im Christentum seine Vorbildfunktion für alle Gläubigen unabhängig von ihrer Nation und im Islam sein Kampf gegen den Götzendienst und seine Hinwendung zum Monotheismus. Dennoch gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten, auf deren Grundlage interreligiöser Trialog geführt werden kann.

Im Judentum schafft der Fokus auf die Rolle Abrahams eine starke Identität für das jüdische Volk, kann aber auch zu Spannungen mit anderen Ethnien führen. Im Christentum fördert die Betonung Abrahams als Vorbild für alle Gläubigen die Idee der universellen Brüderlichkeit, kann aber kulturelle Unterschiede vernachlässigen. Im Islam unterstreicht die Hervorhebung von Abrahams Kampf gegen den Götzendienst die Bedeutung des Monotheismus, kann aber zu einer Abgrenzung gegenüber anderen, nichtmonotheistischen Weltreligionen führen.

Trotz dieser Unterschiede finden sich viele Gemeinsamkeiten in der gemeinsamen abrahamitischen Tradition, wie den Glauben an einen einzigen Gott, die Verehrung Abrahams als Prophet und Vorbild sowie die Anerkennung seiner moralischen Integrität und seines Gehorsams gegenüber Gott. Diese Gemeinsamkeiten können als Ausgangspunkt für den interreligiösen Dialog bzw. Trialog dienen, indem sie Verständnis und Respekt zwischen den Religionen fördern. Sie sind auch deshalb wichtig, weil sie uns zeigen, dass ein und dieselbe Geschichte auf unterschiedliche Weise erzählt werden kann und dass es zum Dialog gehört, diese Unterschiede nicht nur anzuerkennen, sondern sie als Quelle der Inspiration zu betrachten. 

(Vgl.Sajjadi, Sadeq: Abraham. In: Encyclopaedia Islamica, S. 1)

2 (Vgl.Sajjadi, S. 9-12)

3 (Vgl.Nordheim 2016, S. 5 f.)

4 Das Buch Genesis 12,1-3

(Vgl.Nordheim, Eckhard von (2016): »Abrahamitische Religionen«? „Abrahamitische Religionen“? Monotheismus und Trinität im Dialog von Judentum, Christentum und Islam. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 26 (1), S. 5 f.)

6 (Vgl.Sajjadi, S. 5 - 7)

7 (Vgl.Sajjadi, S. 5)

8 Der Brief des Jakobus 2,20-24

9 Der Brief an die Römer 4,1-3

10 Der Brief an die Galater 3,26–29

11 Vgl. 11,8–11

12 (Vgl.Nordheim 2016, S. 6-8)

13 Koran 6:74

14 (Vgl.Nordheim 2016, S. 8 ff.)

15 (Vgl.Sajjadi, S. 5)

16 Koran 2:127

17 Koran 37:102

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