"Dazu gehört, Frauen Hand zu geben"

Zeitungsbeitrag 10.08.2016 Klaus Hämmerle

Religionsprofessor Zekirija Sejdini vertritt einen europäisch-liberalen Islam. Vorarlberger Nachrichten hat ihn zum Interview gebeten. Mit ihm sprach Klaus Hämmerle.


Innsbruck. In Österreich anerkannte islamische Religionslehrer werden künftig an der Universität Innsbruck am Institut für islamische Religionspädagogik ausgebildet. Was dort gelehrt und vertreten wird, hat mit der gesellschaftlichen Wertewelt des in Vorarlberg vom Dienst zurückgezogenen Islamlehrer Ömer Kutlucan (34) wenig zu tun. Institutsvorstand Prof. Zekirija Sejdini macht im VN-Interview klar: Lehrinhalte müssen mit den hier geltenden Sitten und Gebräuchen kompatibel sein. Sejdini fordert die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich auf, klar Position zu beziehen.

Sie haben vom Fall des islamischen Religionslehrers gehört, der Frauen den Handschlag verweigert. Was halten Sie davon?

Sejdini: Ja, ich habe davon aus den Medien erfahren. Man kann diesen Fall sicher nicht auf einen verweigerten Handschlag reduzieren. Hier geht es um den Ausdruck einer Haltung. Konkret: Welche Menschen- und speziell Frauenbilder werden vertreten? Ganz sicher liegt hier ein theologisches Verständnis vor, das nicht kompatibel mit dem ist, was wir in Europa vertreten.

Wie kommentieren Sie die getroffene Lösung? Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich sagt, dem Lehrer sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen. Trotzdem wurde er einvernehmlich vom Unterricht abgezogen.

Sejdini: Die getroffene Lösung ist für den Einzelfall akzeptabel. Es ist dies allerdings keine Gesamtlösung. Das heißt: Die islamische Glaubensgemeinschaft müsste grundsätzlich Position beziehen. Es braucht Klarstellung darüber, welche Verhaltensweisen generell anzuwenden sind, beziehungsweise welche nicht. Die islamische Glaubensgemeinschaft braucht als Dienstgeber Richtlinien, an die man sich halten muss. Diese Richtlinien fehlen.

Welche Richtlinien sollten denn das sein? Solche, die eine Handschlagsverweigerung gestatten oder verbieten?

Sejdini: Das muss die IGGiÖ für sich entscheiden und bekannt geben. Ich persönlich bin dafür, dass man sich als Religionslehrer an die geltenden Werte, an die vorherrschenden Sitten und Gebräuche des Landes hält. Dazu gehört, Frauen die Hand zu geben. Zumal das Verbot ja auch nicht eindeutig theologisch begründbar ist. Es gibt diesbezüglich verschiedene Auslegungen unter den Muslimen.

Sie waren einmal stellvertretender Schulamtsleiter bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft und auch Fachinspektor für islamischen Religionsunterricht. Wie hätten Sie in diesem Fall gehandelt?

Sejdini: Ich bin nicht mehr im Schulamt. Aber hätte ich mit diesem Fall agieren müssen, hätte ich mit dem Kollegen die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Trennung besprochen - so er bei seiner Haltung bleibt. Ich hätte versucht, nüchtern und sachlich den Fall zu behandeln, auf die Vertragssituation hingewiesen und geholfen, eine gute Lösung zu erzielen. Wichtig ist: Man muss in solchen Situationen sensibel wie gleichwohl schnell handeln. Solche Ereignisse schaden nicht nur dem islamischen Religionsunterricht.

Werden Sie bei solchen Fällen nicht gerne als Berater herangezogen?

Sejdini: Hin und wieder.

Wie denken Sie über die Studie zu den islamischen Kindergärten in Wien, in der die fragwürdigen Ausrichtungen mehrerer dieser Betreuungsstellen kritisiert werden?

Sejdini: Ich habe die Studie nicht zur Gänze gelesen. Wer die Szene kennt, muss sie auch nicht gelesen haben, um zu wissen, dass in einigen dieser Kindergärten nicht alles gut läuft. Es gibt einige Unachtsamkeiten seitens der Behörden, die dazu geführt haben, dass in Wien einige Kindergärten entstanden sind, die als problematisch betrachtet werden können. Es gibt sicherlich welche, die von bestimmten Vereinen errichtet wurden, um durch Abschottung bestimmten Gruppen einen isolierten Raum anzubieten, und andere die nur zum Zwecke der Fördergeldbeschaffung ins Leben gerufen wurden. Gut, dass jetzt eine Kommission eingerichtet wurde, welche alle diese Kindergärten prüft. Das begrüße ich. Eine solche Situation finden wir jedoch nur in Wien vor.

Wohin tendiert der Islam in Österreich und in Europa?

Sejdini: Es gibt liberale, aber auch radikale Tendenzen. Letztere sind jedoch klar in der Minderheit. Sie treten nur immer besonders ins Rampenlicht, weil sie schrill und laut sind. Und wer so auftritt, erscheint stets größer, als er tatsächlich ist. Aber parallel zu dem findet in Europa auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Theologie des Islam an den Universitäten statt. Das ist ein wichtiger und verspäteter Schritt, denn früher wurde einfach das übernommen, was aus dem Ausland kam.

Und Sie glauben, dass Sie sich als moderater Moslem in der Mehrheitsgruppe der Moslems befinden?

Sejdini: Ja, davon bin ich überzeugt.

Viele meinen, dass der Islam in Österreich nicht nur türkisch dominiert ist, sondern auch vom Staat Türkei.

Sejdini: Natürlich dominiert die türkische Ausrichtung des Islam in Österreich. Es gibt ja auch viele türkisch-stämmige Menschen, die hier leben. Aber der türkische Zugang zum Islam ist eine eher gemäßigte Auslegung des Islams. Ein Problem ist der Einfluss des türkischen Staates auf die Religion - das ist nicht erwünscht. Wir müssen in Europa eine eigene Prägung des Islam erreichen. Auch in Bezug auf Sprache. Denn dieser erschwert die Entstehung einer eigenen Prägung und hebt einigermaßen die Trennung zwischen Religion und Staat auf. Das kann weder im Sinne der Religion noch des Staates sein. Außerdem muss es uns gelingen, die Predigten in den Moscheen neben der Sprache des Herkunftslandes auch in Deutsch abzuhalten. Dies ist ein wichtiger Schritt im Beheimatungsprozess in Österreich. Nach mehr als 100 Jahren Anerkennung des Islam in Österreich sind wir dies den österreichischen Muslimen, aber auch der Gesellschaft schuldig.

Wie entwickelt sich das Institut für islamische Religionspädagogik in Innsbruck?

Sejdini: Es gibt uns jetzt zwei Jahre, und wir haben nun 100 Studenten. Seit dem letzten Jahr bieten wir als einzige österreichische Universität zusätzlich auch das Unterrichtsfach Islam im Lehramtsstudium, als Kombinationsmöglichkeit mit anderen Fächern an. Das ist gut für die Integration und erweitert die Möglichkeiten der zukünftigen Lehrer.

 

Zur Person

Prof. Zekirija Sejdini

Der 43-jährige, aus Mazedonien stammende zweifache Familienvater hat an der Marmara-Universität Istanbul islamische Theologie und islamische Philosophie studiert.

© Vorarlberger Nachrichten vom 21.05.2016

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