Gelehrte Frauen im Islam

Artikel 30.08.2021 Redaktionsteam

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit einigen namhaften weiblichen islamischen Gelehrten der Geschichte. Im Kontrast zu den männlichen Gelehrten scheinen jene Frauen und ihre Leistungen oft in den Hintergrund zu rücken, was wahrscheinlich damit zu begründen ist, dass Geschichte über Jahrhunderte hinweg aus einer männlichen Perspektive erzählt wurde. In der Folge standen letztlich auch oft die Geschichten über Männer im Fokus. Dieser Beitrag hat das Ziel, die Leistungen einiger weiblicher muslimischer Persönlichkeiten hervorzuheben.


Umm Huḏayl Ḥafṣah bint Sirīn (gest. 719 n. Chr.)

Zu den größten muslimischen Gelehrten des siebten und achten Jahrhunderts n. Chr. gehört die muḥaddiṯah1 und Rechtsgelehrte Umm Huḏayl Ḥafṣah bint Sirīn. Sie war eine Schülerin des Prophetengefährten Anas ibn Mālik2 (gest. zwischen 708 und 714 n. Chr.) und die Schwester von Muḥammad ibn Sirīn (gest. 729 n. Chr.), welcher ebenfalls ein bekannter Gelehrter war. Bereits in jungen Jahren setzte sich Ḥafṣah bint Sirīn mit den islamischen Quellen auseinander, sodass sie bereits im Alter von zwölf Jahren den Koran auswendig konnte. Einigen ihrer Zeitgenossen zufolge überstieg ihr Wissen bezüglich der islamischen Quellen das Wissen ihres Bruders und sogar jenes des namhaften Gelehrten Ḥasan al-Baṣrī (gest. 728 n. Chr.). Ihr umfassender Einfluss und ihre weitreichende Anerkennung ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass sie als Sklavin geboren worden war. Ḥafṣah bint Sirīn tradierte Hadithe, welche sie von ihrem Lehrer Anas ibn Mālik erhalten hatte. Diese finden sich unter anderem auch in al-Buḫārīs (gest. 870 n. Chr.) Hadithsammlung al-Ǧāmiʿu ʾṣ-ṣaḥīḥ.3

Umm al-Dardāʾ al-Ṣuġrā

Eine weitere berühmte und respektierte Gelehrte des siebten Jahrhunderts war Umm al-Dardāʾ al-Ṣuġrā. Ihr Todesjahr ist nicht bekannt, allerdings wird das Todesjahr ihres Ehemannes, des Prophetengefährten Abū al-Dardāʾ auf das Jahr 652 n. Chr. datiert, wodurch man ein etwas genaueres Bild ihres Wirkungszeitraums erhält.4 Zu ihren prominenten Zuhörern gehörte der Umayyaden-Kalif ʿAbd al-Malik ibn Marwān (gest. 705 n. Chr.), der höchstpersönlich ihren Unterricht in Damaskus besuchte, um von ihr in der Disziplin des fiqh (Islamische Jurisprudenz) unterwiesen zu werden.5 Die beiden scheinen einigen Überlieferungen zufolge eine recht enge Schülerin-Lehrer- Beziehung gehabt zu haben. Am Eingang des Felsendoms in Jerusalem soll der Kalif ihrem Unterricht jeweils bis zum Gebetsruf gefolgt sein. Daraufhin soll ʿAbd al-Malik ibn Marwān seine Lehrerin zur Moschee begleitet haben, während sie sich an seinen Arm lehnte, den er ihr leicht hingestreckt haben soll. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits ein hohes Alter erreicht hatte.6 Engen Kontakt pflegte sie allerdings nicht nur mit dem Kalifen. So berichtet ʿUṯmān ibn Ḥayyān (gest. 105 n. Chr.):

„Wir aßen mit Umm al-Dardāʾ und versäumten aber zugleich die Lobpreisung Gottes. Daraufhin sagte sie: 'Oh meine Kinder, versäumt nicht Gott zu gedenken, während ihr euer Essen würzt. Zu essen und Gott zu geloben ist besser als zu essen und still zu sein.'“7

Ein weiterer Ausspruch von ihr lautet: „Strebe im jungen Alter nach Wissen, sodass du es anwenden kannst, wenn du älter wirst.“8 Zweifelsohne war sie für viele ihrer ZeitgenossInnen eine Inspiration. Sie unterrichtete in den Moscheen von Damaskus und Jerusalem. Sowohl Frauen als auch Männer besuchten ihre Lehrstunden.9 Umm al-Dardāʾ bildete viele große islamische Gelehrte ihrer Zeit aus und wurde unter anderem für ihr Wissen in den Rechtswissenschaften und aufgrund ihrer Gotteshingabe verehrt und respektiert.10 Nichts schien die Gelehrte mehr auszufüllen als zu unterrichten und ihre Gedanken mit ihrem Gegenüber auszutauschen. So berichtet ʿAwn ibn ʿAbdillāh, dass er Umm al-Dardāʾ einst gefragt hatte: „Haben wir dich ermüdet?“, woraufhin sie geantwortet haben soll, dass sie auf der Suche nach jeglicher Form der Anbetung war, doch nichts sei für sie befreiender, als zusammen mit Gelehrten zu sitzen und Wissen mit ihnen auszutauschen.11

Zaynab bint al-Kamāl (gest. 1339 n. Chr.)

Zaynab bint al-Kamāl war eine herausragende Persönlichkeit, die vor allem aufgrund ihrer ungewöhnlich großen Anzahl erlangter iǧāzat12 auf sich aufmerksam machte. Die erste iǧāza erhielt sie bereits im Alter von nur einem Jahr von ʿAbd al-Ḫāliq al-Nishtibrī (gest. 1252 n. Chr.), welcher ein berühmter Rechts- und Hadithgelehrter der šāfiʿītischen Rechtsschule war.13 Ebenfalls im ersten Lebensjahr empfing sie zwei weitere iǧāzat von ʿAǧība al-Bāqadriyya (gest. 1249 n. Chr.) und Ibn al-Sayyidī (gest. 1249 n. Chr.), welche ebenfalls prominente Hadithgelehrte waren und in Bagdad lebten.14 Im Alter von sechs Jahren sandten ihr weitere berühmte Gelehrte aus Aleppo, Harran, Alexandria, Kairo und al-Shām Zustimmungsschreiben, um bestimmte Werke zu überliefern und weiter zu tradieren. Dies war wohl deshalb möglich, weil sie zwischen ihrem dritten und zwölften Lebensjahr unterschiedliche Lernzirkel besucht hatte, wo diverse Gelehrte ihre Werke laut vortrugen.15 Einigen Berichten zufolge litt die Gelehrte unter Ophthalmia, einer infektiösen Bindehautentzündung der Augen. Scheinbar hinderte sie dies nicht daran, eine außerordentliche muḥaddithah zu werden und hohes Ansehen zu erlangen.16 Zu den von ihr überlieferten Werken gehören auch berühmte Hadithsammlungen wie al-Ǧāmiʿu ʾṣ-ṣaḥīḥ von al-Buḫārī (gest. 870 n. Chr.), die Ṣaḥīḥ-Sammlung von Muslim (gest. 875 n. Chr.), Sunan von Abū Dāwūd (gest. 888 n. Chr.) und al-Muwaṭṭaʾ von Mālik ibn Anas (gest. 795 n. Chr.).17 Zaynab bint al-Kamāl erhielt im Laufe ihres Lebens nicht nur zahlreiche iǧāzat, sondern stellte diese auch selbst aus, sowohl an Männer als an Frauen. So erhielten beispielsweise die sehr geschätzten Hadithgelehrten Šams al-Mulūk al-Dimašqī (gest. 1401 n. Chr.) und ʿĀʾiša bint Muḥammad (gest. 1413 n. Chr.) iǧāzat von ihr.18 Zaynab hatte sowohl männliche als auch weibliche SchülerInnen und unterrichtete unter anderem auch an der Madrasa al-Ḍiyāʼiyya, wo auch ihr Onkel Šams ad-Dīn (gest. 1289 n. Chr.) lehrte.19 Die Tatsache, dass ihr so viele Überlieferungen anvertraut wurden, zeigt auch das Vertrauen, welches man ihr entgegen brachte und die Hoffnung, die man in sie setzte. Möglichst viele Menschen sollten von den von ihr überlieferten Lehren erfahren. Durch ihre großartigen Leistungen als muḥaddithah erhielt sie gegen Ende ihres Lebens den ehrenwerten Titel musnidat al-Šām20. Zaynab bint al-Kamāl starb im hohen Alter von 94 Jahren. Sie blieb unverheiratet, wodurch sie sich wohl stärker auf ihr Gelehrtendasein konzentrieren konnte.21

Die Geschichte kennt zahlreiche weitere weibliche islamische Gelehrte, deren umfangreiche Leistungen und spannenden Ereignisse rund um ihr Leben den Rahmen dieses kurzen Beitrags sprengen würden. Die Ausschnitte aus den Biografien der erwähnten Persönlichkeiten sollen jedoch verdeutlichen, dass auch muslimische Frauen bereits seit der Frühzeit des Islams stets nach Bildung und Wissen strebten, wobei sie oftmals die Leistungen ihrer männlichen Kollegen in den Schatten stellten. Durch ihre Anstrengungen in der Gelehrsamkeit ernteten sie Hochachtung und Respekt. Im Fall von Umm al-Dardāʾ sogar vom Kalifen höchstpersönlich.

1 Ein Mann, welcher eine gewisse Expertise über die Tradition der aḥādīṯ (Plural für ḥadīṯ) hat, wird als muḥaddith bezeichnet. Bei einer Frau lautet die Bezeichnung wiederum muḥaddithah.

2 Nicht zu verwechseln mit Mālik ibn Anas (gest. 795 n. Chr.), dem Begründer der mālikitischen Rechtsschule.

3 Asma Sayeed: Women and the transmission of religious knowledge in Islam (= Cambridge studies in Islamic civilization), Cambridge: Cambridge University Press 2013, S. 101-102.

4 Ebd., S. 70.

5 Muḥammad A. a. Nadwī: al- Muḥaddithāt. The women scholars in Islam, Oxford: Interface Publ 2013, S. 150.

6 A. Sayeed, S. 71.

7 Aus dem Englischen übersetzt, M. A. a. Nadwī, S. 151.

8 Aus dem Englischen übersetzt, ebd.

9 Ebd., S. 179.

10 Ebd., S. 249.

11 Aus dem Englischen übersetzt, ebd., S. 152.

12 Unter iǧāza versteht man eine Lizenz, durch die der Inhaber ermächtigt wird, einen bestimmten Text oder ein bestimmtes Thema weiter zu vermitteln bzw. zu lehren. Die iǧāza wird von jemandem ausgestellt, der/die selbst bereits über eine solche Befugnis verfügt.

13 A. Sayeed, S. 163.

14 Ebd.

15 Ebd., S. 164.

16 Ebd., S. 164-165.

17 Ebd., S. 165.

18 Ebd., S. 166.

19 Ebd., S. 168.

20 Der Begriff musnid, wie er von Hadith-Gelehrten in dieser Zeit verwendet wurde, bezog sich auf jemanden, der Traditionstexte oder Traditionssammlungen mit einer zuverlässigen Überlieferungskette treu übertragen konnte. Vgl. ebd., S. 169.

21 Ebd.

Nadwī, Muḥammad: al- Muḥaddithāt. The women scholars in Islam, Oxford: Interface Publ 2013.

Sayeed, Asma: Women and the transmission of religious knowledge in Islam (= Cambridge studies in Islamic civilization), Cambridge: Cambridge University Press 2013.

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