Liebe und Beziehung im Islam

Artikel 02.12.2021 Redaktionsteam

Der vorliegende Beitrag behandelt das Thema Liebe und Beziehung im Islam. Zunächst wird auf Beziehungsformen in der vorislamischen Zeit eingegangen und ein Vergleich zur islamischen Ehe gezogen. Anschließend geht der Beitrag auf den Aspekt der Sexualität sowie die Frage der Polygamie im Islam ein.


Beziehungen in der vorislamischen Gesellschaft

In der vorislamischen Zeit kannten die Araber viele Formen der Beziehung zwischen Mann und Frau. Die verbreitetste davon war die Ehe zwecks Fürsorge (nikāh al-buʿūla), welche der Form, in der wir Ehe heute verstehen, am nächsten kommt.
Hierbei handelte es sich um eine einvernehmliche Beziehung, bei der die Brautgabe fester Bestandteil und zwingende Voraussetzung für die Gültigkeit der Ehe war. Bei dieser Form wurden Frau und Nachkommen unter die Obhut des Mannes gestellt – sie waren von ihm abhängig und konnten sogar als Eigentum vererbt werden. Des Weiteren konnten die vorislamischen Araber polygam leben, ohne dass die Anzahl der Frauen, die ein Mann haben durfte, eingeschränkt wurde. Weit verbreitet war auch die Polyandrie, die Gruppenheirat (zawādsch ar-raht), bei der Frauen mit mehreren Männern verheiratet waren. Kam es zu einer Schwangerschaft, bestimmte die Frau, wer als Vater des Kindes gelten sollte.1 
Es gab auch andere Beziehungsformen, die der islamischen Ehevorstellung nicht entsprechen, auf die allerdings an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Die genannten Beziehungsformen sollen einen Einblick dahingehend verschaffen, wie sich das Ehe- und Sexualitätsverständnis durch den Islam geändert hat.

Über den Zweck der Ehe

„Muhammad schränkte die vorislamischen Eheformen ein. So untersagte er die polyandrische Gemeinschaftsehe, die Handelsehe, die Ehe auf Zeit sowie alle Formen der Prostitution […] Die Polygamie wurde auf vier Frauen beschränkt und an die Bedingung geknüpft, alle Frauen gleich zu behandeln (4,3). Diese Aussage interpretierten Reformer später als indirekte Aufforderung zur Einehe. Die Willkür des Mannes bei der Scheidung wurde eingeschränkt, da er gewisse Sorgepflichten erfüllen und Wartezeiten einhalten muss. Auch die Frau konnte sich bei verletzter Unterhaltspflicht, Impotenz, langem Fernbleiben des Mannes, schlechter Behandlung und Abfall des Mannes vom Islam scheiden lassen.“2

Ehe wird in zahlreichen Koranversen und Hadithen thematisiert. So heißt es in Sure 30 Vers 21: „Und unter Seinen Wundern ist dies: Er erschafft für euch Partnerwesen aus eurer eigenen Art, auf daß ihr ihnen zuneigen möget, und Er ruft Liebe und Zärtlichkeit zwischen euch hervor: hierein, siehe, sind fürwahr Botschaften für Leute, die denken!“3 Kennzeichnend für die Ehe ist also Liebe und Zärtlichkeit, was auch oft als Barmherzigkeit (rahma) übersetzt wird und Mitgefühl, Rücksichtnahme und Fürsorge miteinschließt. Zudem wird in der Ehe auch die Möglichkeit der Fortpflanzung gesehen, was von traditionellen Gelehrten sogar in den Mittelpunkt der Ehe gestellt wird.4 Ein weiterer Zweck der Ehe im Islam ist die Kontrolle des Geschlechtstriebs und die Schutzfunktion gegen widerrechtliche sexuelle Betätigung. So heißt es in einer Überlieferung: ʿAbdallāh überlieferte: „Wir waren zur Zeit des Propheten, Allahs Segen und Heil auf ihm, noch junge Männer, die nichts hatten, und der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte zu uns: „O ihr jungen Leute, wer von euch in der Lage ist, den Pflichten der Ehe nachzugehen, der soll heiraten denn dies hilft, die Blicke (zu anderen Frauen) zurückzuhalten und die Keuschheit vor Schändlichkeiten zu wahren. Wer aber dies nicht zu tun vermag, der soll fasten denn es ist eher für ihn ein Schutz (vor sündhafter Handlung)!“5

Dieser Hadith verdeutlicht, dass der Prophet Muhammad die Heirat unterstützte, und jenen, die nicht die Mittel zum Heiraten besaßen, empfahl zu fasten, um auf diese Weise ihren Geschlechtstrieb zu kontrollieren und Sünden zu vermeiden.

Sexualität und Islam

Da der Islam neben den spirituellen und emotionalen auch die körperlichen Bedürfnisse des Menschen berücksichtigt, sollte nicht verwundern, dass ein Teil des körperlichen Wohlergehens auch das sexuelle Wohlergehen beinhaltet. Der Geschlechtsverkehr dient somit nicht nur zur Fortpflanzung, sondern auch zur Erfüllung der Bedürfnisse des Menschen nach Liebe. Daher werden Sexualität und Intimität im Koran und in den Überlieferungen des Propheten thematisiert und nicht verschwiegen. Dabei wurden sie durch den Islam neu interpretiert. Da der Geschlechtsverkehr im Islam nur innerhalb der Ehe erlaubt ist, gelten vor- und außereheliche Beziehungen als Unzucht (zina).Sexualität innerhalb der Ehe hingegen gilt als gottgefälliges Werk. Geschlechtstrieb und Sexualität gehören zur menschlichen Natur und werden als gottgegeben verstanden. Sie bedürfen daher keiner Rechtfertigung durch die Fortpflanzung, wie al-Ġazzālī (gest. 1111) ausdrücklich betont:6 „Freilich soll der Geschlechtstrieb nicht lediglich die Kindererzeugung erzwingen, sondern er ist auch in einer anderen Hinsicht eine weise Einrichtung. Die mit seiner Befriedigung verbundene Lust, mit der sich, wenn sie von Dauer wäre, keine andere vergleichen ließe, soll nämlich auf die im Paradies verheißenen Wonnen hindeuten. Denn es wäre nutzlos, einem eine Wonne in Aussicht zu stellen, die er niemals empfunden hat […]. Die irdischen Vergnügen sind daher auch insofern von Bedeutung, als sie das Verlangen nach dem dauernden Genuß derselben im Paradies wecken und so einen Ansporn für den Dienst Gottes bilden.“7

Zur Polygamie im Islam

Ein in der Gegenwart häufig kritisierter Punkt bezüglich des Islams ist die Polygamie. Mit Polygamie ist eine Form der Vielehe gemeint, die im Islam auf vier Ehefrauen begrenzt ist. Als Grundlage für die Beschränkung der Mehrehe dient Sure 4 Vers 3: „Und wenn ihr Grund habt, zu fürchten, daß ihr nicht gerecht gegen die Waisen handeln möget, dann heiratet von (anderen) Frauen solche, die euch erlaubt sind – (sogar) zwei oder drei oder vier: aber wenn ihr Grund habt, zu fürchten, daß ihr nicht fähig sein mögt, sie mit gleicher Fairneß zu behandeln, dann (nur) eine – oder (von) jenen, die ihr rechtmäßig besitzt. Dies wird es eher wahrscheinlich machen, daß ihr nicht vom rechten Kurs abweicht.“8

Traditionelle Gelehrte sehen in diesem Vers eine klare, heute noch gültige Erlaubnis zur Mehrehe und ziehen hierbei meist das Argument, die Mehrehe sei zur Zeit des Propheten sehr verbreitet gewesen, mit ein.9 Gegenwärtige islamische TheologInnen und auch muslimische Feministinnen halten diese Praxis für kontextbezogen, indem die Begrenzung der Anzahl an Ehefrauen einerseits der damaligen Lebensrealität entsprach, anderseits die Position der Frauen verbesserte.  Folglich habe diese Praxis in der Gegenwart keine Gültigkeit mehr. Zudem wird darauf hingewiesen, dass es ohnehin nicht möglich sei, alle Ehefrauen gleich zu behandeln, wie es der Koran fordert. 

Fazit

Mit dem Aufkommen des Islams hat sich das Verständnis von ehelichen Beziehungen zwischen Mann und Frau grundlegend verändert; so wurden fast alle vorislamischen Eheformen verboten, die Polygamie auf vier Frauen beschränkt und das Scheidungsrecht neu geregelt. Die Stellung der Frau wurde entschieden verbessert, beispielsweise konnte sie nicht mehr – wie bisher – beim Tod ihres Ehemannes vererbt werden. Aus islamischer Sicht sollen Liebe und Zärtlichkeit zwischen dem Paar im Mittelpunkt stehen, wie es der eingangs erwähnte Koranvers vermittelt. Die Ehe dient neben der Fortpflanzung und Kontrolle der eigenen Triebe vor allem einem erfüllten, glücklichen Leben.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass in unseren gegenwärtigen pluralen Gesellschaften neue Fragen in Bezug auf (eheliche) Beziehungen auftauchen, etwa wenn es um die Frage nach interreligiösen10 oder gleichgeschlechtlichen Ehen sowie vorehelichen Beziehungen geht. Mit diesen Fragen, die insbesondere auch junge Musliminnen und Muslime beschäftigen, hat sich die islamische Theologie auseinander zu setzen und lebensweltorientierte Antwortmöglichkeiten anzubieten.

1 Vgl. Ali Ghandour: Liebe, Sex und Allah. Das unterdrückte erotische Erbe der Muslime (= C.H. Beck Paperback, Band 6350), München: C.H.Beck 2019, S. 22-25.

2 Renate-Berenike Schmidt/Uwe Sielert (Hg.): Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung (= Handbuch), Weinheim, München: Juventa-Verl. 2008, S. 188.

3 Muhammad Asad [Übers.]: Die Botschaft des Koran: Übersetzung und Kommentar, Ostfildern: Patmos-Verl. 2017, Koran 30:21.

4 Vgl. R.-B. Schmidt/U. Sielert 2008, S. 189.

5 Sahīh al-Buchārī 2021, https://islamische-datenbank.de/sahih-al-buchari?chapterno=60&hadithid=3&action=display, Kapitel 60, Hadithnr. 5066, abgerufen am 20.11.2021.

6 Vgl. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi: Hinter den Schleiern des Islam. Erotik und Sexualität in der arabischen Kultur, München: Verkag C. H. Beck 1994, S. 39f.

7 Abū-Ḥāmid al-Ghazālī: Das Buch der Ehe (Buch XII der Wiederbelebung der Religionswissenschaften (Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn). Aus dem Arabischen übersetzt und erläutert von Hans Bauer, Kandern im Schwarzwald: Spohr 2005, S. 22.

8 M. Asad [Übers.]: Die Botschaft des Koran: Übersetzung und Kommentar, Koran 4:3.

9 Vgl. E. Heller/H. Mosbahi: Hinter den Schleiern des Islam, S. 54.

10 Zum Thema interreligiöser Ehen vgl. Islamportal Österreich: Die interreligiöse Ehe aus islamischer Sicht, 2018, https://www.islamportal.at/beitraege/artikel/die-interreligioese-ehe-aus-islamischer-sicht (abgerufen am 02.12.2021).

Ghandour, Ali: Liebe, Sex und Allah. Das unterdrückte erotische Erbe der Muslime (= C.H. Beck Paperback, Band 6350), München: C.H.Beck 2019.

Heller, Erdmute/Mosbahi, Hassouna: Hinter den Schleiern des Islam. Erotik und Sexualität in der arabischen Kultur, München: Verkag C. H. Beck 1994.

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