Mensch und Schöpfung zwischen Koran und Evolutionstheorien

Artikel 28.05.2018 Redaktionsteam

Dieser Beitrag befasst sich mit dem Verhältnis der Konzepte von göttlicher Schöpfung einerseits und Evolution andererseits. Zunächst wird auf die häufige, oft von Unwissenheit geprägte Ablehnung evolutionärer Theorien, insbesondere seitens vieler MuslimInnen, eingegangen. Es wird die Frage angesprochen, ob Evolution im Koran abgelehnt wird, was interpretationsabhängig beantwortet werden kann und auch, ob der Mensch Teilhaber am Schöpfungsgeschehen sein kann. Anschließend wendet sich der Text der Person Charles Darwin und seinen Theorien zu, die oftmals und fälschlicherweise als atheistisch eingestuft wurden und werden. 


Die häufigste Assoziation nichtwissenschaftlicher „NormalbürgerInnen“ im Zusammenhang mit dem englischen Naturforscher (und zudem anglikanischen Theologen) Charles Darwin (gest. 1882) und dessen „Evolutionstheorie“ ist im Allgemeinen wohl jene, dass der Mensch vom Affen abstamme.1 Abgesehen davon, dass diese Aussage natürlich nicht Darwins Theorien entspricht, zeugt sie sowohl von Unwissenheit als auch von der – auch unter sehr vielen MuslimInnen – vorhandenen Haltung, lieber zu polarisieren als sich in vernünftiger Weise mit dem Thema Evolution auseinander zu setzen. Man kann gar von einem wahren Trend sprechen, in dem MuslimInnen „fraglos und unreflektiert die Meinungen, Argumentationen und Haltungen von Kreationisten, die vielfach als fundamentalistisch und als Fanatiker gelten, übernehmen.“2

Der Rückblick in die Geschichte zeigt, dass Islam und Wissenschaft sich nicht ausschließen, man denke nur an die auch für Europa so nutzbringende Übersetzungsbewegung ab dem 8. Jahrhundert unter den Abbasiden und die damals beginnende Blütezeit der arabisch-islamischen Wissenschaften. Der Koran, auf den sich die MuslimInnen als wichtigste Quelle des Islams berufen, fordert den Menschen immer wieder dazu auf, nachzudenken, den Verstand zu benutzen. Er ruft auch konkret zur Reflexion über die Erschaffung des Universums auf (Koran 3:190) und verbindet diese mit dem Gottesdienst.3 Der indische islamische Theologe Asghar Ali Engineer (gest. 2013) meint diesbezüglich:

„Genau diese Haltung bringt den wissenschaftlichen Geist hervor, der die Mysterien der Schöpfung erforscht und an ihrem Prozeß teilzunehmen versucht. Ein solcher Reflexionsakt über die Schöpfung Gottes ficht in keiner Weise seine Autorität an, wie manche orthodoxe Theologen behaupten, sondern wird seine Autorität eher noch stärken. Solche Reflexionen machen den Menschen die Feinheiten der göttlichen Schöpfung bewußt und lassen sie nach Technologien suchen, mit denen sie sich entweder neu erschaffen oder länger überleben können.“

Engineer stellt die Frage, ob der Koran die Vorstellung von Evolution ablehne und stellt fest, dass die Antwort interpretationsabhängig sei.5 Die beiden Konzepte von Schöpfung und Evolution stehen ihm zufolge nicht notwendigerweise im Widerspruch zueinander, sondern schließen sich vielmehr gegenseitig ein. Worum es gehe, sei „eine Evolution dessen, was existiert.“6 Gott hat dem Koran zufolge das gesamte Universum und alles, was in diesem ist, aus dem Nichts erschaffen. Der arabische Ausdruck für diese Art zu erschaffen lautet badaʾ (Koran 2:117). Auch ḫalaqa (Koran 3:16) steht für „erschaffen“, allerdings im Sinn von „Schöpfung mit Werkzeugen, mit Hilfe anderer, mit präexistentem Material und innerhalb von Raum und Zeit.“7 In diesem zweiten Sinn kann auch der Mensch schöpferisch tätig sein und zu den mächtigen, menschlichen Werkzeugen gehört die moderne Technologie.8

Engineer stellt die häufig vertretene Sichtweise, wonach der Mensch dem Willen Gottes unterworfen ist und sich nicht in die Schöpfung als dessen Werk einmischen darf jener Haltung gegenüber, wonach der Mensch selbst seine Rolle im fortlaufenden Schöpfungsprozess Gottes, „in der Vervollkommnung der Welt oder der Neugestaltung des Schöpfungsprozesses“9 spielen kann. Er erinnert daran, dass Schöpfung nicht losgelöst von deren Erhaltung gedacht werden kann. Allah ist nicht nur der Schöpfer, sondern auch der Erhalter (rabb) des Universums und hat sich selbst die Barmherzigkeit vorgeschrieben (Koran 6:12).

„Die Menschen [haben] am Prozess der Schöpfung teil, indem sie am Prozeß der Erhaltung und Pflege der Schöpfung Allahs teilhaben.“10

Der Intellekt sei ein „wertvolles göttliches Geschenk“11, das dem Menschen als „mächtiges Werkzeug zur menschlichen Schöpfung“12 diene, wobei er frei sei in seiner Entscheidung, dieses Werkzeug im positiven oder negativen Sinne zu verwenden.13

Im Gegensatz zu dieser Sichtweise der Teilhabe des Menschen an der Weiterentwicklung der Schöpfung herrscht heute jedoch in vielen Kreisen – muslimischen wie nichtmuslimischen, religiösen wie atheistischen – die Devise: Entweder man glaubt an einen Gott als Schöpfer des gesamten Universums und somit auch des Menschen, so wie es ja auch im Koran geschrieben steht, oder aber man glaubt an die Evolution. Beides kann offenbar nicht zusammengehen, vielmehr wird Evolution als atheistische Theorie betrachtet.14

Auch Darwin selbst wird von Anhängern wie Gegnern früher wie heute als Atheist betitelt, obwohl er sich selbst nicht als solcher betrachtete. In späteren Jahren bezeichnete er sich selbst als Agnostiker, also als jemanden, „der kein sicheres Wissen über Gott beansprucht.“15

1879 schrieb Darwin:

„Es scheint mir absurd zu bezweifeln, dass ein Mensch ein entschiedener Theist und ein Evolutionär sein kann. […] Was meine eigene [!] Ansichten sein mögen, ist eine Frage, die niemanden außer mich betreffen muss. […] In meinen extremsten Schwankungen bin ich nie ein Atheist in dem Sinne gewesen, dass ich die Existenz Gottes geleugnet hätte.“16

Abgesehen von der Erfahrung des Todes von dreien seiner Kinder und seinen Zweifeln an der damals üblichen Lehre, dass das Paradies nur Christen vorbehalten sei, zweifelte er vor allem an der Fähigkeit des menschlichen Gehirns zum Erfassen sicheren Wissens über Gott. Er drückte diese Zweifel in seinem vorletzten Lebensjahr in einem Briefwechsel mit dem britischen Philosophen William Graham (gest. 1911), der als „evolutionärer Theist“ in seinem Werk „Creed of Science“17 eine „Versöhnung von Wissenschaft und Gottesglauben“18 versuchte und von welchem Werk Darwin sehr angetan war, folgendermaßen aus:19

„[Es ist] […] meine innerste Überzeugung […], dass das Universum kein Resultat des Zufalls […] ist. Dann aber steigt in mir immer der furchtbare Zweifel […] auf, ob die Überzeugungen des menschlichen Geistes, der aus dem Geist niedriger Tiere entwickelt worden ist, irgendeinen Wert hätten oder überhaupt vertrauenswürdig wären.“20

Dass Darwin auch Hypothesen zur Evolution von Religionen und Religiosität generell aufgestellt hat, ist der Allgemeinheit kaum bekannt und wird auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen meist verschwiegen. Doch Darwin war von der Notwendigkeit von „Religion für den Aufbau großer Gemeinschaften und die Lehre der höchsten Tugenden“21 überzeugt. Der deutsche Religionswissenschaftler Michael Blume befasst sich eingehend mit diesen Aspekten von Darwins Arbeiten.22 

Aus muslimischer Perspektive ist festzustellen, dass Darwins Erkenntnisse und im Speziellen sein Werk „Über die Entstehung der Arten“ keineswegs als atheistisch bezeichnet werden müssen. Auch ist nicht zu vergessen, dass seine Thesen im Zuge der rasanten Weiterentwicklung aller Wissenschaftsbereiche wie beispielsweise der Genetik und Epigenetik, Chemie, Physik, Biologie, Kosmologie, Verhaltensforschung u.v.a. ebenso Änderungen und Weiterentwicklungen erfahren haben. Michael Blume betont in diesem Zusammenhang:

„[…] Menschen, die ihr Verhältnis zu den expandierenden Erkenntnissen der Naturwissenschaften nicht klären, berauben sich selbst und andere der Chancen, am wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt teilzuhaben und mitzuarbeiten. […] Heute können […] Gelehrt[e] mit wissenschaftlich beschränktem Horizont gerade auch den jungen, bildungsaufsteigenden Menschen keine Weggefährten sein.“23

Er warnt vor den „Identitätskonflikte[n] zwischen einem wissenschaftlichen und religiösen Weltbild“24, welche von vielen auch noch angeheizt statt gelöst würden. Doch gibt es heute eben auch neue Zugänge zum Koranverständnis und interdisziplinäre Diskurse, an denen Vertreter der Religionsgemeinschaften teilnehmen, und die es ermöglichen, dass „eine evolutionäre Sichtweise des Menschen und der Welt und eine christliche oder muslimische nicht mehr in einem notwendigen Widerspruch zueinander“25 stehen.26

Um also zur Frage zurückzukehren, ob der Koran dem Konzept einer Evolution widerspricht, wird man feststellen, dass dies nicht der Fall ist. Eher bleibt die Antwort offen. Im Koran findet sich keine zusammenhängende Schöpfungsgeschichte. Einerseits ist das Wasser als Ursprung allen Lebens erwähnt, ebenso die stetige Ausdehnung des Universums, was wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Die Erschaffung des Menschen betreffend ist von Stufen die Rede, an anderer Stelle von einem Blutstropfen.27 Es ist jedoch gar nicht Sinn und Zweck des Korans, uns genaue wissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern. Zu deren Erlangung hat der Mensch seinen Intellekt erhalten. Dass Wissenschaft und Glaube einander nicht ausschließen, davon zeugen viele Wissenschaftler, die sich als „evolutionäre Theisten“ verstehen. Während Anhänger des „Intelligent Design“ davon ausgehen, Gott müsse in den Evolutionsprozess eingreifen, was schlussendlich bedeutet, dass Gott ein nicht perfekt funktionierendes Universum erschaffen hat, glauben evolutionäre Theisten nicht an die Notwendigkeit Gottes, sich selbst korrigieren zu müssen und forschen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen mit dem Ziel, zu einem besseren Verständnis der Schöpfung zu gelangen.28 Dies stets in dem Bewusstsein, dass „Gott größer ist: Größer als Raum und Zeit und als alle Vorstellungen, die wir uns von Ihm machen können.“29

1 Vgl. Cäcilia Schmitt: Schöpfung, Evolution und der Koran. Religionsgemeinschaft des Islam, Landesverband Baden-Württemberg e.V. 2010, www.rg-islam.de/Evolution.htm, abgerufen am 22.03.2018.

2 Ebd.

3 Vgl. Asghar A. Engineer: »Naturverhältnis des Menschen und Mitwirkung an der Schöpfung durch Technik aus der Sicht des Islam«, in: Peter Koslowski (Hg.), Natur und Technik in den Weltreligionen, München: Wilhelm Fink Verlag 2001, S. 53-68, hier S. 66.

4 Ebd.

5 Vgl. ebd., S. 53.

6 Ebd., S. 53.

7 Ebd., S. 56f.

8 Vgl. ebd., S. 53-57.

9 Ebd., S. 56.

10 Ebd., S. 57.

11 Ebd.

12 Ebd., S. 59.

13 Vgl. ebd., S. 56-59.

14 Vgl. ebd., S. 53.

15 Michael Blume: Zeit, Evolution und Glaube. Zur Ringvorlesung: „Was sind Raum und Zeit? Was ist die Schöpfung?“ beim Zentrum für islamische Theologie, Universität Münster 2013, www.uni-muenster.de/imperia/md/content/zit/veranstaltungen/2013/ringvorlesung_raumzeit/02_-_08-05-13_-_blume_-_zeit_evolution_glaube_skript.pdf, S. 15, abgerufen am 22.03.2018.

16 Charles Darwin, zit. nach Michael Blume: Evolution und Gottesfrage. Charles Darwin als Theologe (= Herder-Spektrum, Band 6582), Freiburg im Breisgau: Herder 2013, S. 51.

17 William Graham: The Creed of Science. Religious, Moral, and Social. C. Kegan Paul & Co., London 1881, ia800205.us.archive.org/4/items/creedsciencerel00grahgoog/creedsciencerel00grahgoog.pdf, abgerufen am 05.04.2018.

18 M. Blume 2013a, S. 71.

19 Vgl. M. Blume 2013b, S. 15 sowie M. Blume 2013a, 71.

20 Charles Darwin, zit. nach ebd., S. 126f.

21 M. Blume 2013b, S. 21.

22 Vgl. ebd., S. 14.

23 Ebd., S. 1.

24 Ebd., S. 2.

25 Zekirija Sejdini/Martina Kraml/Matthias Scharer: Mensch werden. Grundlagen einer interreligiösen Religionspädagogik und -didaktik aus muslimisch-christlicher Perspektive (= Studien zur Interreligiösen Religionspädagogik, Band 1), Stuttgart: W. Kohlhammer 2017, S. 52.

26 Vgl. C. Schmitt 2010 sowie M. Blume 2013b, S. 1f.

27 Vgl. Michael Hollenbach: Von Affen und Allah. Islam und Evolutionslehre. Deutschlandfunk 2018, http://www.deutschlandfunk.de/islam-und-evolutionslehre-von-affen-und-allah.886.de.html, abgerufen am 22.03.2018

28 Vgl. M. Blume 2013b, S. 27.

29 Ebd.

Blume, Michael: Zeit, Evolution und Glaube. Zur Ringvorlesung: „Was sind Raum und Zeit? Was ist die Schöpfung?“ beim Zentrum für islamische Theologie, Universität Münster 2013, www.uni-muenster.de/imperia/md/content/zit/veranstaltungen/2013/ringvorlesung_raumzeit/02_-_08-05-13_-_blume_-_zeit_evolution_glaube_skript.pdf, abgerufen am 22.03.2018.

Blume, Michael: Evolution und Gottesfrage. Charles Darwin als Theologe (= Herder-Spektrum, Band 6582), Freiburg im Breisgau: Herder 2013.

Engineer, Asghar Ali: »Naturverhältnis des Menschen und Mitwirkung an der Schöpfung durch Technik aus der Sicht des Islam«, in: Peter Koslowski (Hg.), Natur und Technik in den Weltreligionen, München: Wilhelm Fink Verlag 2001, S. 53-68.

Graham, William: The Creed of Science. Religious, Moral, and Social. C. Kegan Paul & Co., London 1881, ia800205.us.archive.org/4/items/creedsciencerel00grahgoog/creedsciencerel00grahgoog.pdf, abgerufen am 05.04.2018.

Hollenbach, Michael: Von Affen und Allah. Islam und Evolutionslehre. Deutschlandfunk 2018, www.deutschlandfunk.de/islam-und-evolutionslehre-von-affen-und-allah.886.de.html, abgerufen am 22.03.2018.

Schmitt, Cäcilia: Schöpfung, Evolution und der Koran. Religionsgemeinschaft des Islam, Landesverband Baden-Württemberg e.V. 2010, www.rg-islam.de/Evolution.htm, abgerufen am 22.03.2018.

Sejdini, Zekirija/Kraml, Martina/Scharer, Matthias: Mensch werden. Grundlagen einer interreligiösen Religionspädagogik und -didaktik aus muslimisch-christlicher Perspektive (= Studien zur Interreligiösen Religionspädagogik, Band 1), Stuttgart: W. Kohlhammer 2017.

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