Smail Balić – Ein Vordenker

Artikel 26.06.2023 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel stellt den bosnisch-österreichischen Kultur- und Islamwissenschaftler Smail Balić vor, der als Vordenker eines europäischen Islams sowie Initiator für die Gründung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich gilt. Neben seiner Sichtweise zur Stellung der Frau im Islam wird auch sein Beitrag für die muslimische Gemeinschaft in Österreich näher beleuchtet.


Einleitung

Geboren 1920 in Mostar, genoss Smail Balić eine traditionell-islamische Ausbildung. Nach Abschluss seines Theologiestudiums in Sarajevo widmete er sich den Sprachwissenschaften – der Turkologie, Arabistik und Slawistik, unter anderem an der Universität Wien, wo er 1945 promovierte.1

Neben seinen unterschiedlichen – auch internationalen – Lehrtätigkeiten, war er über 20 Jahre an der Österreichischen Nationalbibliothek tätig, wo er die Abteilung für orientalische Sprachen und arabische Handschriften leitete. 1995 wurde er mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet,2 welches für „Verdienste um die Wissenschaft und/oder Kunst, die im Interesse Österreichs liegen und in ihrer Bedeutung und Auswirkung außerordentlich sind sowie in einer besonderen Weise öffentliche Aufmerksamkeit gefunden haben“3, verliehen wird.

Inspiriert von den Gedanken früherer muslimischer Reformdenker, wie dem ägyptischen Gelehrten Muhammed Abduh (gest. 1905), entwickelte Balić eine individuelle Art der „Liberalisierung des Scharia-Rechtes und Rationalisierung des islamischen Glaubens“4. Seine europäische Abstammung und in weiterer Folge auch Sozialisierung ermöglichten ihm eine Symbiose zwischen der europäischen Orientalistik und dem muslimischen Reformismus.5

Balić gilt ebenso als Initiator und Begründer des Moslemischen Sozialdienstes, womit er einen erheblichen Beitrag zur Gründung der heutigen Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) leistete.

Anzumerken ist, dass sich Balić mit unterschiedlichen Themen der Islamischen Theologie befasst hat und für ein europäisches Verständnis der Religion plädierte. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem die Aufrechterhaltung der islamischen Tradition in einem europäischen Kontext sowie der interreligiöse Dialog. Der vorliegende Beitrag fokussiert sich auf den theologischen Standpunkt Balićs zur Stellung der Frau im Islam.

Über die Stellung der Frau in Balićs Schriften

Balić befasste sich mit der Stellung der Frau im Islam und war stets um ihre volle gesellschaftliche Partizipation bemüht.6 So kritisierte er die „willkürlichen Einschränkungen und Erschwerungen“7 scharf, welchen muslimische Frauen ausgesetzt seien. Diese seien nicht religiöser Natur, zumal die Religion den Gläubigen als Schöpfungsquelle für Kraft und Frieden dienen solle. Vielmehr hätten sich patriarchale Strukturen innerhalb des religiösen Lebens ab der Abbasidenzeit (750 – 1258 n. Chr.) allmählich entwickelt. Balić vertritt in seinen Schriften die Meinung, dass sich frauenfeindliche Riten erst durch die Berührung mit anderen Kulturen entwickelt hätten. So nennt er die weibliche Genitalverstümmelung als Beispiel, welche auf die „Afrikanisierung einiger islamischer Institutionen“8 zurückzuführen sei.9

Auch in Bezug auf das Kopftuch positioniert sich Balić. So betrachtet er dieses als ein zeit- und ortgebundenes Merkmal, welches in der traditionell-islamischen Gesellschaft als „Statussymbol der freien Frau“10 galt. Aus dem Koran ließe sich kein konkretes Kopftuchgebot ableiten, so Balić. Vielmehr seien im Koran Empfehlungen enthalten, welche sich auf bestimmte Situationen beziehen ließen.11 Doch seien diese Empfehlungen, insbesondere in traditionalistischen Strömungen, zu einem Gebot erhoben worden.12 „Weniger aus Sorge um die religiöse und moralische Integrität der Frau als aus einem engstirnigen Erotikverständnis wird von rigoristischen Elementen im Islam die Frauenverschleierung vorangetrieben“13, kritisiert Balić. Was die Aussprüche des Gesandten Muhammad betrifft, so ließen sich diese in zwei Kategorien aufteilen: jene von allgemeiner Geltung und solche mit Situationsbezug. Zu letzterer Kategorie zählt Balić auch die Bekleidungsvorschriften für die Frau, die sich in den islamischen Schriften finden.14

Balićs Beitrag für die muslimische Gemeinschaft in Österreich

Die Anerkennung des islamischen Glaubens (resp. der hanefitischen Rechtsschule) in Österreich erfolgte durch das Islamgesetz von 1912. Von da an kam es zu zahlreichen Bestrebungen, die muslimische Gemeinschaft in Österreich zu institutionalisieren. Zweifelsohne stellten sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg Hürden bei der Umsetzung dieses Vorhabens dar. 1962 schließlich initiierte Smail Balić die Gründung des Moslemischen Sozialdienstes, welcher als Grundlage für die später gegründete Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich dienen sollte.15 Sein nationales und internationales Ansehen ermöglichten Balić ein offenes und aktives öffentliches Auftreten. Er entwickelte eine feste Grundlage für die muslimische Gemeinschaft in Österreich. Als seinen späteren Nachfolger bestimmte er selbst den afghanischen Gelehrten Ahmad Abdelrahimsai (gest. 1999), welcher als erster Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich und Fachinspektor für Islamischen Religionsunterricht fungierte.16

Eines der größten Ziele Balićs, wenn auch nicht das größte, war zweifelsohne die Anerkennung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Nachdem er mit dem Moslemischen Sozialdienst schon eine solide Grundlage geschaffen und nationale und internationale Bekanntheit erlangt hatte, wagte er den nächsten Schritt, nämlich das Ansuchen für die Gründung einer Islamischen Glaubensgemeinschaft beim Bundesministerium für Unterricht und Kunst – dieses sollte am 26. Jänner 1972 erfolgen. Von da an traf Balić gemeinsam mit seinem Team aus dem Moslemischen Sozialdienst auf zahlreiche Hindernisse und Abweisungen. Obwohl es schon Ende des Jahres 1971 seitens des damaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky (gest. 1990) eine zuversichtliche Antwort hinsichtlich der Gründung einer Islamischen Glaubensgemeinschaft schon im folgenden Jahr gab, kam es nicht zur Umsetzung. In den kommenden Jahren versuchte Balić internationale Aufmerksamkeit für das Thema zu gewinnen. Schließlich gelang es ihm und dem Moslemischen Sozialdienst nach zahlreichen Bemühungen, eine positive Antwort vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst zu bekommen. Am 2. Mai 1979 erfolgte die Genehmigung zur Gründung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, so wie sie bis heute noch besteht.17

Balić wurde zum lebenslangen Ehrenpräsidenten des Moslemischen Sozialdienstes ernannt.18 Seinen Bemühungen verdanken MuslimInnen in Österreich bis heute das Bestehen der Islamischen Glaubensgemeinschaft.

1 Vgl. derstandard.at: Smail Balic (1920-2002), https://www.derstandard.at/story/895471/smail-balic-1920---2002, abgerufen am 19.05.2023.

2 Vgl. bhakademiker.org: Smail Balic, https://www.bhakademiker.org/de/smail-balic/, abgerufen am 19.05.2023.

3 Vgl. oesterreich.gv.at: Österreichisches Ehrenzeichen und Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, https://www.oesterreich.gv.at/themen/leben_in_oesterreich/titel_und_auszeichnungen/3/2/Seite.1730405.html, abgerufen am 19.05.2023.

4 Enes Karić: »Način razmišljanja Balića kao bosanski primjer islamskog modernizma«, in: Smail Balić. Vordenker eines europäischen Islam / Mislilac evropskog islama, S. 1-3, hier S. 2.

5 Vgl. ebd., S. 2 f.

6 Vgl. Lise J. Abid: »Die muslimische Frau in den Schriften von Smail Balić«, in: Smail Balić. Vordenker eines europäischen Islam / Mislilac evropskog islama, S. 4-25, hier S. 23.

7 Smail Balić: Islam für Europa. Neue Perspektiven einer alten Religion, Wien: Böhlau 2001, S. 99.

8 Ebd., S. 100.

9 Vgl. ebd., S. 99 f.

10 Ebd., S. 102.

11 Vgl. Sura 33:59.

12 Vgl. S. Balić: Islam für Europa, S. 149.

13 Ebd., S. 150.

14 Vgl. ebd., S. 105.

15 Vgl. muslimische-milieus-in-oesterreich.univie.ac.at: Islam in Österreich. Ein historischer Abriss, muslimische-milieus-in-oesterreich.univie.ac.at/wwwgooglede0/ , abgerufen am 18.05.2023.

16 Vgl. Salim A. Hadžić: »Balić kao osnivač Muslimanske Socijalne Službe i njegov doprinos priznavanju Islamske zajednice u Austriji«, in: Smail Balić. Vordenker eines europäischen Islam / Mislilac evropskog islama, S. 71-85, hier S. 72.

17 Vgl. ebd., S. 82 f.

18 Vgl. ebd., S. 83.

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