Muhammad Asad (1900–1992) – Unverstandener Grenzgänger und gefeierter Brückenbauer

Artikel 14.05.2018 Redaktionsteam

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Muhammad Asad, einem altösterreichischen sowie kosmopolitischen islamischen Denker und Koranübersetzer des 20. Jahrhunderts. Zunächst werden die Schwierigkeit der Einordnung sowie die vielfältigen Zuschreibungen Asads Person gegenüber angesprochen. Während zu Lebzeiten die Anerkennung seines Denkens weitgehend ausblieb, verstärkte sich in unserer Zeit das Interesse an Muhammad Asad, vor allem im deutschsprachigen Raum. Der Text zeichnet die vielen Stationen in Asads Leben nach und endet mit einem nachdenklichen Blick auf den faszinierenden, kritischen, seiner Zeit voraus seienden, am Lebensende auch resignierten Menschen, der Muhammad Asad war.


Muhammad Asad, im Jahr 1900 in Lemberg (heute: L´viv, Ukraine) als Leopold Weiss in eine jüdische Familie geboren, war Journalist, Diplomat, Intellektueller und wohl berühmtester Islamkonvertit der damaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Während seines 92-jährigen Lebens hat Asad unzählige Stationen privater, beruflicher und geographischer Art durchlaufen, von einem „mit der europäischen Geistesgeschichte vertrauten und säkular orientierten Juden“1 hin zu einem muslimischen Denker, der seine Heimat erst in Arabien, später in Pakistan fand, und nach weiteren Ortswechseln seinen Lebensabend schließlich in Gestalt eines „kosmopolitischen – institutionell aber ortslosen – muslimischen Privatgelehrten“2 im andalusischen Mijas verbrachte.3

Die Person Muhammad Asad ist unmöglich in eine einzige Kategorie zu stecken und so kam es im Lauf der Zeit auch zu verschiedenen, mehr oder weniger gerechtfertigten Zuschreibungen. Unter anderem gilt Asad als herausragendes Beispiel eines europäischen Muslims, intellektueller Mitbegründer Pakistans oder Brückenbauer zwischen dem Islam und dem Westen.4 Gerade diese in unseren Ohren so positiv klingende und dementsprechend gern verwendete Brückenbauerfunktion Asads wird jedoch von Asads Sohn, dem Anthropologen Talal Asad, kritisch betrachtet. Auch die Ansicht, sein Vater habe als europäischer Intellektueller das Ziel verfolgt, den Islam zu liberalisieren,5 kommentiert Talal Asad mit dem Satz: „Nothing could be further from the truth.“6 Weder als liberaler noch als modernistischer Muslim wollte Asad sich gern bezeichnen lassen.7 Dennoch kann er nicht zuletzt dank seiner 1980 erschienenen, kommentierten Koranübersetzung ins Englische (Deutsche Übersetzung 2009 durch Ahmad von Denffer und Yusuf Kuhn mit dem Titel Die Botschaft des Koran) als wichtiger „Impulsgeber auf das modernistische und reformorientierte Denken im Islam“8 bezeichnet werden. Und er hat es verstanden, die Essenz des Islam sowohl in seinem historischen als auch in seinem zeitlosen Kontext zu vermitteln.9

Zu Lebzeiten standen allerdings weder Muhammad Asads Person noch sein Denken je wirklich im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, auch wenn er durchaus in vielen Netzwerken und Institutionen eingebunden war und sogar in offiziellen Diensten des gerade neu entstandenen Staates Pakistan stand, welchen er schließlich als Gesandter bei den Vereinten Nationen in New York repräsentierte. Auch in den ersten Jahren nach seinem Tod wurde sein Denken kaum rezipiert oder gewürdigt.10 Die „Aufnahme in den Kanon der Denker“11 der islamischen Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts blieb Asad verwehrt. Darin sieht der deutsche Religionswissenschaftler Dominik Schlosser, der sich eingehend mit dem Islamverständnis Asads auseinandergesetzt hat, die unbefriedigende Forschungslage bezüglich Muhammad Asad teilweise begründet.12 Er weist außerdem auf die Schwierigkeit einer Einordnung Asads hin:

„Ein zweiter Grund für das stiefkindliche Dasein, das Forschungen zu Asad ungeachtet seiner immer wieder konstatierten Bedeutung als repräsentativer islamischer Vordenker fristen, ist […], dass sich das von ihm gehegte Gedankengebäude gängigen Kategorisierungen schlichtweg entzieht: Weder kann Asad unter die Verfechter eines radikalen Islamverständnisses eingereiht werden, noch ist es ohne weiteres möglich, ihn als Repräsentanten eines ‚anderen‘ Islam, d. h. als islamischen Aufklärer oder moderaten bzw. liberalen Reformer des Islam zu etikettieren, der sich beispielsweise für die Verbreitung demokratischer Werte und die Achtung der Menschenrechte ausspricht.“13

Zudem hatte Asad keine Anhängerschaft von Schülern oder Gefährten um sich gesammelt14 oder „im engeren Sinne schulbildend“15 gewirkt. Schlosser weist auf das von Martin Kramer zutreffend gezeichnete Bild Asads hin, nämlich „das Bild eines seine eigene [sic] Wege gehenden Außenseiters, dem als jüdischem Islamkonvertiten von Seiten seiner Wahlgemeinschaft oftmals großes Misstrauen entgegenschlug und der im islamischen mainstream seiner Zeit letztlich ein Fremdkörper blieb, wohingegen er mit seinen Ansichten im Westen, dem er sich in der zweiten Lebenshälfte wieder zuwandte, weitaus mehr Gehör fand.“16

Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren besonders im deutschsprachigen Raum ein neuerwachtes, starkes Interesse an der Person Muhammad Asads zu beobachten, sodass durchaus von einem „Asad-Revival“17 gesprochen werden kann. Nach mehreren Veranstaltungen in Wien zum Thema Muhammad Asad wurde im Jahr 2008, dem Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs, der Vorplatz des Vienna International Centre (UNO-City) nach Muhammad Asad benannt. Im selben Jahr erschien auch ein gelungener Dokumentarfilm mit dem Titel Der Weg nach Mekka – Die Reise des Muhammad Asad des österreichischen Regisseurs Georg Misch. 2009 wurde Asads – neben seiner Koranübersetzung – wohl berühmtestes Werk, seine Autobiographie mit dem Titel Der Weg nach Mekka, neu aufgelegt und auch weitere seiner Schriften erschienen erstmals auf Deutsch (Islam am Scheideweg, 2007 und Die Prinzipien von Staat und Regierung im Islam, 2011). Das internationale Symposium „Muhammad Asad – A Life for Dialogue“ 2011 in Riad sowie die Enthüllung einer Gedenktafel in Berlin-Mitte 2013 und eine Gedenkbriefmarke der pakistanischen Post zeugen ebenso von der zunehmenden Anerkennung Muhammad Asads.18

Sein Leben

An dieser Stelle soll nun ein biographischer Abriss von Asads vielfältigem Leben einfließen.

Leopold Weiss, der spätere Muhammad Asad, wuchs als eines von drei Kindern in einem gutsituierten, liberal-bürgerlichen Elternhaus in Lemberg auf, wobei ihm basierend auf einer 200-jährigen rabbinischen Tradition der Familie eine umfassende jüdische Erziehung zuteilwurde. Ab 1914 lebte die Familie in Wien, wo Weiss/Asad ab 1918 Philosophie und Kunstgeschichte studierte und in Literaten- und Künstlerkreisen und unter Schülern Sigmund Freuds verkehrte. Nach dem Entschluss, Journalist zu werden, übersiedelte er Anfang der 1920er Jahre nach Berlin, einem Zentrum des Pressewesens. Dort bildete eine Arbeit in einer Nachrichtenagentur sein Sprungbrett als Journalist und er traf auch seine spätere Lebensgefährtin, die um etwa 20 Jahre ältere Künstlerin Elsa Schiemann.19

Seinen ersten Kontakt mit der arabisch-muslimischen Welt hatte Weiss/Asad 1922 durch eine Reise nach Palästina, wohin ihn sein in Jerusalem lebender Onkel, der Psychoanalytiker Dorian Feigenbaum, eingeladen hatte. Fortan berichtete er als Sonderkorrespondent für die Frankfurter Zeitung aus Palästina, Ägypten, Transjordanien und Syrien. In seinen Reportagen übte er Kritik an der britischen Orientpolitik und dem Zionismus, den er als Variante des europäischen Kolonialismus betrachtete.20 Bei seiner Rückkehr nach Berlin schien es Weiss/Asad unmöglich, sich jemals wieder „mit den Zielen der abendländischen Gesellschaft zu identifizieren“21. 1926 nahm er als Muhammad Asad in der Islamischen Gemeinde zu Berlin den islamischen Glauben an. Bereits ein Jahr später vollzog er den Hadsch, die große Pilgerfahrt nach Mekka, gemeinsam mit Elsa Schiemann und deren elfjährigem Sohn Heinrich, die ebenfalls zum Islam übergetreten waren. In Mekka verstarb Elsa Schiemann 48-jährig in Folge einer Malariainfektion.22

Von Mekka aus war Asad in den folgenden Jahren als Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung, die Kölnische Zeitung und den Amsterdamer De Telegraaf tätig. Gleichzeitig wurde er zu einem Vertrauten des Königs ʿAbd al-ʿAzīz al-Saʿūd. Die Gründung des Königreichs Saudi-Arabien 1932 symbolisierte einen antikolonialen und islamischen Neubeginn. Asad fungierte mit seiner prosaudischen und antikolonialen Berichterstattung einerseits als Interessensvermittler des jungen Staates,23 andererseits bieten Asads Reiseberichte und Fotografien wertvolle kultur- und sozialhistorische Informationen über ein Saudi-Arabien aus der Zeit vor dessen Öffnung für westliche Ölkonzerne.24 Diese „arabischen“ Jahre waren für Asad eine Zeit der zunehmenden Identifikation mit dem Arabertum. Dem Kultur- und Sozialanthropologen und profunden Kenner von Asads Biographie, Günther Windhager, zufolge hat „Asad auch eine kulturelle Konversion“25 vollzogen. 1930 heiratete er die junge Araberin Munira bint Husayn ash-Shammari, 1932 wird der gemeinsame Sohn Talal geboren.26

Im selben Jahr folgt die nächste Etappe in Asads Leben, er zieht mit seiner Familie nach Indien, damals unter britischer Kolonialherrschaft stehend, wo er zunächst weiterhin als Korrespondent tätig ist. Gleichzeitig beginnt er Vorträge zu islamischen Themen zu halten und wandelt sich nach und nach „vom Korrespondenten für europäische Tageszeitungen hin zum islamischen Publizisten, Übersetzer und Gelehrten“27. 1934 erscheint sein erstes Buch Islam at the Crossroads, in dem er den westlichen Materialismus anprangert und zu einer Rückbesinnung auf das islamische Erbe aufruft. Es folgen das ambitionierte, in Folge des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs jedoch unvollendete Projekt einer kommentierten englischen Übersetzung der Hadithsammlung von Al-Buḫārī und die Herausgeberschaft der Zeitschrift Islamic Culture. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland musste Asad als Österreicher die Kriegsjahre in britischer Internierungshaft in verschiedenen Lagern verbringen. Es gelang ihm nicht, seine von den Nationalsozialisten verfolgten Verwandten in Europa nach Indien zu holen und so verlor er seinen Vater, seine Stiefmutter und seine Schwester in Theresienstadt und Auschwitz.28

Nach dem Krieg zog Asad mit Frau und Sohn ins hoch im Himalaya gelegene Dalhousie, von wo aus er die Monatszeitschrift Arafat betrieb. 1947 kam es zur Teilung des Subkontinents, wodurch Asad mit seiner Familie ins neugegründete Pakistan flüchten musste. Seit den 1930er Jahren hatte er sich auf Anregung des „geistigen Vaters Pakistans“, des Dichters und Philosophen Muhammad Iqbal (gest. 1938) intensiv mit den „geistigen und politischen Voraussetzungen des zukünftigen islamischen Staates“29 beschäftigt. Ab 1947 stand Asad in offiziellen Diensten Pakistans, zuletzt als Gesandter bei den Vereinten Nationen in New York 1952.30

Erneut folgte ein beruflicher und privater Wechsel in Asads Leben: Die Trennung von seiner Frau Munira, die Heirat mit der polnisch-stämmigen US-Amerikanerin Pola Hamida Kazimirska, auch sie war zum Islam konvertiert, und infolgedessen das Verlassen seines diplomatischen Dienstes bildeten den Startpunkt für einen weiteren Lebensabschnitt. 1954 veröffentlichte Asad sein berühmt gewordenes Buch The Road to Mecca, einen autobiographischen Rückblick auf die ersten zweiunddreißig Jahre seines Lebens, der seinen Weg zum und seine Sicht des Islams nachzeichnet. Es folgten Jahre in Deutschland, im Libanon, wiederum in Pakistan und in der Schweiz, wo er die Vortragsreihe Islam und Abendland. Begegnung zweier Welten mitproduzierte (1960 in Buchform erschienen) und außerdem mit seinem Opus Magnum begann, seiner kommentierten englischen Koranübersetzung. Von 1964 bis 1980 führte er die Arbeit daran im marokkanischen Tanger fort.31 The Message of the Qur´an zählt heute zu den wichtigsten Koranübersetzungen und bildet laut Asads Sohn Talal „a detailed presentation of his final vision of Islam“32. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Asad schließlich in Spanien, enttäuscht „vom Zustand der islamischen Welt, deren intellektueller Abschottung und der Intoleranz der Extremisten“33.

Der bereits erwähnte Dokumentarfilm von Georg Misch zeichnet den unglaublich vielfältigen Lebensweg Muhammad Asads nach und ruft besonders am Ende einen nachdenklich stimmenden Eindruck von Asad als im Grunde unverstandenem Grenzgänger hervor, eher als den Eindruck des heute gefeierten Brückenbauers. Asad meinte kurz vor seinem Tod: „Ich hab mich in den Islam verliebt […] aber ich hab die Muslime überschätzt.“34 Es bleibt das Gefühl, dass dieser, in jungen Jahren vielleicht zum Teil naive, dennoch immer sehr kritische Mensch wohl ein ewig Suchender war, der seiner Zeit in Vielem voraus war und möglicherweise besser in die unsere gepasst hätte.

1 Dominik Schlosser: Lebensgesetz und Vergemeinschaftungsform. Muḥammad Asad (1900-1992) und sein Islamverständnis (= Bonner Islamstudien, Band 32), Berlin: EBVerlag 2015, S. 23.

2 D. Schlosser 2015, S. 23.

3 Vgl. D. Schlosser 2015, S. 23 sowie Günther Windhager: »Von Leopold Weiss zu Muhammad Asad. Wege und Werke eines islamischen Denkers österreichisch-jüdischer Herkunft«, in: Amena Shakir/Gernot G. Stanfel/Martin M. Weinberger (Hg.), Ostarrichislam. Fragmente achthundertjähriger gemeinsamer Geschichte, Wien: Al Hamra Verlag; New Academic Press 2012, S. 128-133., hier S. 128, 132.

4 Vgl. D. Schlosser 2015, S. 9f. und Anm. 4, S. 9.

5 Vgl. D. Schlosser 2015, Anm. 4, S. 9.

6 Talal Asad 2012, zit. in D. Schlosser 2015, Anm. 4, S. 9.

7 Vgl. Malise Ruthven, in: Georg Misch: Der Weg nach Mekka - Die Reise des Muhammad Asad 2008, www.mischief-films.com/htm/filme-uebersicht.php, abgerufen am 06.02.2018.

8 G. Windhager 2012, S. 128.

9 Vgl. Hasan Zillur Rahim (1995): „[…] Asad was more successful than most in communicating to Muslim and non-Muslim readers the essence of Islam in both its historical and timeless context.“, zit. in ebd.

10 Vgl. D. Schlosser 2015, S. 10, sowie G. Windhager 2012, S. 132.

11 D. Schlosser 2015, S. 13.

12 Vgl. ebd.

13 Ebd., S. 14.

14 Vgl. ebd.

15 Ebd.

16 Ebd., S. 15.

17 Ebd., S. 10.

18 Vgl. G. Windhager 2012, S. 128 sowie D. Schlosser 2015, S. 10-12.

19 Vgl. Günther Windhager: »Vom Journalisten zum islamischen Denker und pakistanischen Diplomaten. Muhammad Asad (geb. Leopold Weiss) in Indien und Pakistan 1932-1952«, in: Margit Franz/Heimo Halbrainer (Hg.), Going East - Going South. Österreichisches Exil in Asien und Afrika, Graz: Clio 2014, S. 433-474, hier S. 434f.

20 Vgl. ebd.

21 Muhammad Asad, zit. nach ebd., S. 436.

22 Vgl. ebd., S. 434f.

23 Vgl. ebd., S. 436f.

24 Vgl. G. Windhager 2012, S. 130.

25 Ebd., S. 130f.

26 Vgl. ebd., S. 131.

27 Ebd.

28 Vgl. ebd.

29 Ebd.

30 Vgl. ebd., S. 131f.

31 Vgl. ebd., S. 132.

32 Talal Asad, zit. nach ebd.

33 Mischief Films: Der Weg nach Mekka. Die Reise des Muhammad Asad. Ein Film von Georg Misch, Austria 2008, 92 min. (=Pressemappe) o. J., www.mischief-films.com/presse/der-weg-nach-mekka, abgerufen am 06.02.2018.

34 Muhammad Asad, zit. nach ebd.

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