Husein Djozo (1912 - 1982)

Artikel 17.10.2018 Redaktionsteam

Dieser Text behandelt das Leben und Werk von Husein Djozo, einem Theologen, Imam und Vorreiter eines ausgeprägten und konsequenten Reformschemas in Bosnien und Herzegowina in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ausgehend von seiner Biografie soll hier stellvertretend für seine sehr umfangreiche, umfassende Theologie und Fatwa-Lehre eines seiner Themen angesprochen werden: Die Stellung der Frau im Islam.


Biographie

Husein Djozo wurde am 3. Juli 1912 in Bare bei Gorazde geboren. Er studierte an mehreren Madrasas1 unter anderem in Foca und Sarajewo. Letztere verlieh ihm 1933 den Titel des Scharia-Richters2. Anschließend vertiefte er seine Kenntnisse im Bereich der islamischen Theologie an der al-Azhar Universität in Kairo, wo er 1939 sein Studium abschloss. Darauffolgend wirkte er in Sarajewo, zunächst als Referent für religiöse Bildung und später als Professor für islamische Theologie. In diese Zeit fällt ein dunkles Kapitel im Leben Djozos, das in Anbetracht seiner vielen Verdienste gerne verschwiegen oder ignoriert wird: Husein Djozo diente von 1943 bis 1944 als Divisionsimam in der 13. Gebirgsdivision Handschar der deutschen Waffen-SS. Zurückgekehrt nach Sarajewo wurden ihm in der Folge seine bürgerlichen Rechte aberkannt und er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Wieder auf freiem Fuß setzte er seine Arbeit für die IVZ3 (Islamische Glaubensgemeinschaft in Bosnien und Herzegowina) fort.4 Anfangs verfasste er Texte und Fatwas5 (Rechtsgutachten) für die Zeitschrift Glasnik (Bote) und widmete sich danach der Arbeit als Referent für religiöse Angelegenheiten im Obersten Islamischen Seniorenrat (Vrhovno islamsko starjesinsko vijece). Ab 1960 war er in der Ilmijja6, einer Standesvereinigung für Gelehrte, zunächst als stellvertretender Vorsitzender und zwei Jahre später als Vorsitzender tätig. Husein Djozo wurde Redaktionsleiter der 1970 gegründeten Ilmijja-Zeitschrift Preporod, in welcher er an zahlreichen Diskussionen über die nationale und kulturelle Identität der bosnischen Muslime teilnahm. Er öffnete dadurch Diskursfelder, die bis dato in der Islamischen Gemeinschaft nicht üblich waren, meint die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika7. Husein Djozo verstarb am 30. Mai 1982 in Sarajewo und wurde am Friedhof in Bare beigesetzt.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts sei für das Verständnis der grundlegenden Prinzipien des Islam eine Zeit der Stagnation gewesen, so Halil Mehtic in seinem Beitrag über Djozo, in Fetve u vremenu8 (Rechtsgutachten und die Moderne). Keiner habe den Idschtihād (iǧtihād)9 so verstanden und verinnerlicht wie Djozo, meint Mehtic. Falsche Interpretationen der Schöpfung, der Zukunft und der Rechte und Pflichten der Menschen auf der Erde, haben ihn dazu veranlasst, den traditionellen Rahmen des Islam zu verlassen und Stellung zum Thema Idschtihād und Koran zu beziehen.

In der klassischen islamischen Theologie sei, nach Djozo, der Versuch unternommen worden, das Leben in einem gewissen Rahmen und in bestimmten Schablonen zu halten, welche vor vielen Jahrhunderten in einem ganz anderen Kontext entwickelt worden sind. Deswegen sieht er es als eine Notwendigkeit der Zeit die Auslegung und Anwendung des Korans, an den gegenwertigen Kontext anzupassen.10 Er war für einen lebendigen und anpassungsfähigen Islam, so wie dieser auch sein sollte, berichtet Halil Mehtic11.

Das Leben sowie die Natur hätten ihre eigenen Gesetze und wer friedlich, glücklich und erfolgreich in seinem Leben sein möchte, müsse sich an diese Gesetze halten12. Husein Djozo hat sich die Frage gestellt, ob die ursprünglichen Auslegungen des Korans, unabhängig von wem sie stammen, spätere Generationen dazu verpflichteten, diese anzuwenden und zu übernehmen. Er war davon überzeugt, dass Idschtihād (iǧtihād) niemanden verpflichte, frühere traditionelle Deutungen der Worte Gottes zu übernehmen. Er ging sogar einen Schritt weiter und meinte, wenn Muslime weiter als Muslime in der Gesellschaft akzeptiert werden möchten und ihren Platz einfordern und einnehmen möchten, müssten sie eine neue und zeitkonforme Auslegung des Korans anstreben. Weiters schreibt Djozo, dass Muslime speziell am Balkan, den größten Bedarf an einer erneuerten Interpretation des Korans hätten, weil sie den größten Berührungspunkt mit der europäischen Gesellschaft haben. Dieser direkte Kontakt dränge sie sich anzupassen und sich innovativer technischer Entwicklungen und Lehren zu bedienen und dabei dennoch ihren Glauben und die Grundprinzipien des Islam nicht zu verdrängen.

Djozos Ansicht nach, ist der Islam durch die blinde Befolgung der traditionellen Auslegungen ins Stocken geraten, deswegen behandele er Themen wie die „Erneuerung“ des Islam in seinen Arbeiten, berichtet Armina Omerika13.

In seinem bedeutenden Werk Islam u vremenu (Islam und die Moderne), berichtet Djozo, dass mit dem Koran die Offenbarung Gottes an die Menschen ende, sich aber durch die Entwicklung des Lebens entfalte14. Er war der Ansicht, dass jede Generation für sich den Koran deuten müsse, um Antworten auf die Fragen zu finden, die einem das Leben immer aufs Neue stelle.  

Die Wahrheit über Gott, die Welt und die Werte des Lebens, könne nicht auf einmal und als Ganzes offenbart werden, sondern schrittweise und abhängig von den Fähigkeiten des Menschen und Bedürfnissen des Lebens, schreibt Djozo15. Die Offenbarung des Korans entwickle sich in einem kontinuierlichen Prozess, analog zu den Bedürfnissen des Lebens. Der menschliche Verstand ist für Djozo der Weg zur Erkenntnis Gottes, denn so könne der Koran dem Menschen neue Einsichten über die Kenntnisse des Lebens und der Welt enthüllen und gebe ihm in diesem Sinne unendliche Befugnis. Djozos Ansicht nach, enthalte der Koran in seiner endgültigen Fassung, allgemeine Prinzipien und Konzeptionen, deren Ausarbeitung und Anwendung dem Menschen überlassen seien. Diese Konzeptionen finden Anwendung bei aktuellen Problemen, Erkundungen, Erforschungen des Lebens, des Umfeldes, und der Gesellschaft. Doch die praktische Anwendung könne und dürfe nicht allgemeingültig sein, denn diese verändere sich parallel zu den Veränderungen des Lebens und den Möglichkeiten, die einem zur Verfügung stünden. Die Gesellschaft erfordere zeitgemäße Lösungen für die praktische Anwendung. Djozo ist der Meinung, dass die Auslegung, die Interpretation und die Anwendung der Worte Gottes, somit der Offenbarung, eine menschliche Sache sei und keine übernatürliche oder göttliche16. Alles sei abhängig von den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Zeit, in der man lebe. Nach der Auslegung des Islams, gebe es keine fehlerfreien Menschen und somit auch keine beständigen und absoluten Lösungen von Anwendungen17. Was den Koran besonders charakterisiere, sei nach Djozo, die Offenheit gegenüber der Welt und dem Leben. In all seinen Konzeptionen lasse der Koran dem Menschen Freiraum in Bezug auf seine Vernunft, seine Erfahrungen und seine Anwendung. Der Koran lege lediglich die Rahmenbedingungen, in denen sich der Mensch frei bewegen kann, fest.18

Die Stellung der Frau im Islam

Husein Djozo hat das Thema „Stellung der Frau“ in der Gesellschaft, im Islam und ihre Rolle in der Geschichte näher erläutert. Um die Stellung der Frau im Islam zu verstehen, sei es wichtig zu wissen, wie die Stellung der Frau in der vorislamischen Zeit war. Wie sehen die genauen Elemente der Konzeptionen im Koran über die Frau aus und welche praktische Anwendung durch Fikh-Werke19 sei dafür vorgesehen. Wenn man sich die vorislamische Stellung der Frau in Erinnerung rufe, stehe fest, dass diese in sklavenähnlichen Verhältnissen gelebt haben und rein als Objekte angesehen wurden20. Frauen waren dem Mann völlig unterworfen und dienten ihm nur zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. Männer hatten damals gegenüber Frauen, keinerlei Verpflichtungen, sie wurden nach seinem Tod, wie Gegenstände an seine Nachkommen weitergegeben.

Der Islam habe in dieser Hinsicht einen revolutionären Beitrag geleistet, welcher den Frauen an erster Stelle die Anerkennung als menschliches Wesen brachte, sie der Ausbeutung durch den Mann befreite und ihr in Bezug auf die menschlichen Grundrechte und Pflichten auf die gleiche Stufe mit dem Mann stellte. Die Frau sei ein menschliches Wesen mit allen Vorzügen, Eigenschaften und Verantwortungen, sie unterscheide sich weder in geistiger noch in körperlicher Hinsicht von einem Mann, somit habe er gegenüber der Frau keinerlei Vorteile21. Daraus ergebe sich das Prinzip ihrer persönlichen Verantwortung, welche unabhängig von der des Mannes sei, so Djozo. In jeder Hinsicht sei die Frau selbstständig, sie sei für sich selbst verantwortlich, für ihr Verhalten, ihre Pflichten und ihr Umfeld. Auch in Bezug auf Belohnung und Bestrafung für ihre Taten stehe sie auf derselben Stufe wie der Mann. Djozo bezieht sich hier auf einen Koranvers22, in dem es heißt, wer gute Taten vollbringe, sei es Frau oder Mann im Glauben an Gott, wird in das Paradies eingehen. Jeder werde für seine Taten Rechenschaft ablegen und daraufhin Lohn oder Strafe erfahren, meint Djozo. Auch in dieser Hinsicht gebe es keine Unterscheidung zwischen einer Frau und einem Mann23. Aus der Sicht des Korans, meint er, stehen der Frau alle Türen offen und somit müsse ihr Wort gehört werden und ihr müsse eine Stellung in der Gesellschaft zukommen. Dieses Recht werde der Frau laut dem Islam zugesichert, berichtet Djozo weiter. Sie dürfe ihre Meinung frei äußern und sich fortbilden, auch hier meint er, grenze sich die Frau nicht vom Mann ab, denn laut der ersten Offenbarung, die der Prophet Muhammad erhielt, in der es heißt „Lies!“24, werden sowohl der Mann als auch die Frau aufgefordert ihren Verstand einzusetzen25.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Husein Djozo, der in einer Zeit von Kommunismus und begrenzter Religionsfreiheit lebte, Ansichten in Bezug auf den Islam hatte, die seiner Zeit voraus waren und möglicherweise auch unserer Zeit.

1 Vgl. Duden. Madrasa, Medresse, islamische juristisch-theologische Hochschule.

2 1887 wurde die Islamische Fakultät von der österreichisch-ungarischen Verwaltung als Scharia-Schule eröffnet. Es ging darum, Richter auszubilden, die in der Lage waren, sowohl die Scharia als auch Gesetze der Monarchie, die zusätzlich eingeführt wurden, anzuwenden.

3 Die IVZ (Islamska vjerska zajednica - Islamische Glaubensgemeinschaft) ist die institutionalisierte Einheitsvertretung der Muslime, die 1909 ins Leben gerufen wurde und 1969 in IZ (Islamska zajednica - Islamische Gemeinschaft) umbenannt wurde.

4 Vgl. Omerika, Armina: Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina: eine Einleitung. In: Troll, Christian W.; Wielandt, Rotraud (Hrsg.): Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina. Die Entwicklung einer modernen islamischen Denktradition. Bd. 6, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder 2013, S. 11-60, hier: S. 16.

5 Fatwa bedeutet im Arabischen (Rechts-)Gutachten und ist die kompetente Stellungnahme islamischer Religions- bzw. Rechtsgelehrter auf eine entsprechende Anfrage. Vgl. dazu Idriz, Benjamin: Grüß Gott Herr Imam! Eine Religion ist angekommen. München: Diederichs Verlag, 2010. Siehe S. 51 (Fußnote 17).

6 Die Ilmijja ist die Standesvereinigung der religiösen Angestellten, die 1950 gegründet wurde. Vgl. dazu Omerika, Armina: Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina: eine Einleitung. In: Troll, Christian W.; Wielandt, Rotraud (Hrsg.): Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina. Die Entwicklung einer modernen islamischen Denktradition. Bd. 6, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder 2013, S. 11-60, hier: S. 45.

7 Omerika, Armina: Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina: eine Einleitung. In: Troll, Christian W.; Wielandt, Rotraud (Hrsg.): Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina. Die Entwicklung einer modernen islamischen Denktradition. Bd. 6, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder 2013, S. 11-60, hier: S. 48.

8 Vgl. Djozo, Husein: Fragen und Antworten. Fatwas in der Zeit 1965-1977 (2). (Original: Staj je idztihad i ko bi ga trebao otvoriti?). In: Djozo, Husein (Hrsg.): Pitanja i odgovori. Opcinski odbor Srebrenik: Ilmija BIH 1996, S. 11.

9 Idschtihād bedeutet im Arabischen Bemühen oder Anstrengung. Vgl. dazu Idriz, Benjamin: Grüß Gott Herr Imam! Eine Religion ist angekommen. München: Diederichs Verlag, 2010. Siehe S. 69 (Fußnote 22).

10 Vgl. Djozo, Husein: Fragen und Antworten. Fatwas in der Zeit 1965-1977 (2). (Original: Staj je idztihad i ko bi ga trebao otvoriti?). In: Djozo, Husein (Hrsg.): Pitanja i odgovori. Opcinski odbor Srebrenik: Ilmija BIH 1996, S. 17.

11 Vgl. ebd., S. 11.

12 Vgl. ebd., S. 13-14.

13 Vgl. Omerika, Armina: Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina: eine Einleitung. In: Troll, Christian W.; Wielandt, Rotraud (Hrsg.): Muslimische Stimmen aus Bosnien und Herzegowina. Die Entwicklung einer modernen islamischen Denktradition. Bd. 6, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, S. 11-60, hier: S. 49.

14 Vgl. Djozo, Husein: Islam in der Moderne. Sarajewo: Izvrsni odbor Udruzenja ilmije za SR Bosnu i Hercegovinu 1976. S. 8.
(Original: Djozo, Husein: Islam u vremenu. Sarajewo: Izvrsni odbor Udruzenja ilmije za SR Bosnu i Hercegovinu 1976. S. 8).

15 Vgl. ebd. S. 8.

16 Vgl. ebd. S. 9.

17 Vgl. ebd. S. 10.

18 Vgl. ebd. S. 10.

19 Vgl. Duden. Fikh – arab., wörtl. Erkenntnis, Verständnis, Einsicht, die Rechtswissenschaft im Islam.

20 Vgl. ebd. S. 199.

21 Vgl. ebd. S. 200.

22 Asad, Muhammad: Die Botschaft des Koran, 4:124.

23 Vgl. Djozo, Husein: Islam in der Moderne. Sarajewo: Izvrsni odbor Udruzenja ilmije za SR Bosnu i Hercegovinu 1976. S. 203.
(Original: Djozo, Husein: Islam u vremenu. Sarajewo: Izvrsni odbor Udruzenja ilmije za SR Bosnu i Hercegovinu 1976. S. 203).

24 Asad, Muhammad: Die Botschaft des Koran, 96:1.

25 Vgl. Djozo, Husein: Islam in der Moderne. Sarajewo: Izvrsni odbor Udruzenja ilmije za SR Bosnu i Hercegovinu 1976. S. 204-206.
(Original: Djozo, Husein: Islam u vremenu. Sarajewo: Izvrsni odbor Udruzenja ilmije za SR Bosnu i Hercegovinu 1976. S. 204-206.)

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