Transplantation von Tierorganen im Islam – Ein Tierherz für Menschen?

Artikel 03.10.2022 Redaktionsteam

Der vorliegende Beitrag gibt Einblick in das Thema der Transplantation von Tierorganen in den menschlichen Körper. In der allgemeinen Einführung wird auf den Begriff der Xenotransplantation sowie ihre Anfänge in der wissenschaftlichen Forschung eingegangen. Im Hauptteil werden die unterschiedlichen Meinungen im Islam, Judentum und Christentum bezüglich der Transplantation von Tierorganen vorgestellt. Abschließend folgt eine knappe Ausführung zu den Vor- und Nachteilen der Xenotransplantation.


Gegenwärtig sind Wartezeiten für ein Spenderorgan ausgesprochen lang, weil weltweit akuter Organmangel herrscht. Laut diversen österreichischen wie internationalen klinischen Jahresberichten sinkt die Zahl der SpenderInnen seit zehn Jahren, während gleichzeitig die Zahl der PatientInnen, welche auf eine Organspende warten, stetig ansteigt.1 Dieser wachsende Bedarf an Spenderorganen wird durch die steigende Lebenserwartung sowie die Zunahme chronischer Erkrankungen verursacht und kann schlichtweg nicht mehr abgedeckt werden.2 Dadurch ergibt sich das schwerwiegende Problem einer gerechten Organeverteilung. Seit Jahrzehnten forschen MedizinerInnen nach alternativen Therapien und Ressourcen, um diesem Dilemma angemessen entgegenzuwirken. Eine im Zuge dessen hochaktuelle und gesellschaftlich immer wieder heftig diskutierte Alternative bietet die Nutzung von Tierorganen, die als potenzielle Spenderorgane für den Menschen fungieren sollen. Diese besondere Art der Übertragung von Organen zwischen zwei verschiedenen Spezies ist unter dem Fachterminus Xenotransplantation bekannt.3 Hierbei werden funktionsfähige Zellen, Gewebe oder Organe von Tieren auf den Menschen übertragen. Hiermit steht dieser Begriff dem der Allotransplantation bzw. allogenen Transplantation gegenüber, welche die Übertragung zwischen genetisch nicht identischen Individuen derselben Spezies beschreibt.4 Sie ist die in der Humanmedizin überwiegend am häufigsten angewandte Transplantationsform.

Bereits vor mehreren Jahrhunderten sollen sich Ärzte an Xenotransplantationen gewagt haben. Der erste dokumentierte Bericht hierüber geht auf das Jahr 1682 zurück, wonach einem russischen Adeligen nach einer schweren Schädelverletzung Knochenstücke eines Hundes erfolgreich eingesetzt worden sein sollen.5 Anfang des 20. Jahrhunderts mehrten sich die Eingriffe, in welchen menschliche Organe durch tierische ersetzt wurden. Im Jahr 1905 setzte der Chirurg M. Princeteau in Frankreich einem an Niereninsuffizienz erkrankten Mädchen Teile einer Hasenniere ein.6 Er behauptete, dass sich die Nierenfunktion des Kindes anfangs deutlich verbessert hatte. Nach wenigen Wochen starb das Kind jedoch an einem Lungenödem.7 Der deutsche Chirurg Ernst Unger (gest. 1938) gilt als ein Pionier der Xenotransplantation. Zwischen 1910 und 1923 führte er mehrere Nierentransplantationen durch, in welchen er die Niere von verschiedenen Tieren in Menschen implantierte.8 Obwohl seine Versuche nach kurzer Zeit letztendlich scheiterten, konnte er neues Wissen aus seinen Eingriffen schöpfen. Unger stellte fest, dass die Blutgerinnung bei Xenotransplantationen zwischen Primaten weniger ausgeprägt ist als bei Organen von anderen Tieren. Bis ca. 1923 wurden immer wieder Xenotransplantationen von unterschiedlichen Medizinern durchgeführt, die ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt waren.9 Als Folge davon wurde in den folgenden vierzig Jahren die Forschung zur Xenotransplantation eingestellt. In dieser langen Pause kam es zur Entwicklung der ersten Immunsuppressiva, welche das erneute Interesse an der Durchführung von Organtransplantationen begünstigte.

Schließlich wurde die erste erfolgreiche klinische Xenotransplantation Ende 1963 bzw. Anfang 1964 durchgeführt.10 Professor Keith Reemtsma (gest. 2000) transplantierte sechs Schimpansennieren in die Oberschenkelbeuge von PatientInnen, welche an Nierenversagen litten. Die ersten fünf PatientInnen starben in den ersten Wochen.11 Eine Patientin überlebte jedoch neun Monate lang mit funktionsfähiger Niere. Dies stellt zugleich die längste Funktionszeit dar, die jemals bei einer Xenotransplantation erzielt wurde.12 1984 fand die wohl bekannteste kardiale Xenotransplantation statt, die im Gegensatz zu den vorausgegangenen Versuchen von Xenotransplantationen präzise und langfristig vorbereitet worden war. Der Chirurg Leonard Lee Bailey (gest. 2019) transplantierte einem weiblichen Säugling, der in der Presse unter dem Namen Baby Fae Berühmtheit erlangte, das Herz eines Pavians.13 Das Baby starb drei Wochen nach der Operation. Aufgrund oder trotz dieser unzähligen Fehlversuche, welche zumeist nach wenigen postoperativen Tagen scheiterten, hat sich in den letzten Jahren die Forschung auf dem Gebiet der Xenotransplantation stark intensiviert.14 Dementsprechend sind ForscherInnen zur Erkenntnis gekommen, dass das Schwein aus physiologischen, anatomischen, reproduktiven und finanziellen Gründen als vielversprechender Organspender in Frage kommt.15 Seine Organe zeigen eine mit dem Menschen vergleichbare Organfunktion und Größe auf. Zudem sind Zucht und Haltung einfacher und weniger kostspielig als jene von Primaten.16 Aus diesen Gründen werden seit den 90er Jahren vermehrt nicht mehr tierische Zellen und Gewebe vom Primaten, sondern vom Schwein transplantiert. Zurzeit werden Hirnzellen des Schweines zur Behandlung von Parkinson-PatientInnen, Inselzellen zur Therapie von Diabetes sowie Leberzellen bei Leberversagen und tierisches Gewebe als Herzklappenersatz verwendet.17

Die Xenotransplantation aus theologisch-ethischer Perspektive

Die Xenotransplantation wird von den abrahamitischen Religionen mannigfaltig interpretiert und unterschiedlich wahrgenommen. An dieser Stelle sei deshalb darauf hingewiesen, dass mit dem vorliegenden Artikel keine umfassende und abschließende ethische Urteilsbildung zur Xenotransplantation aus christlicher, jüdischer und islamischer Sicht möglich und auch nicht intendiert ist.

- Christentum: Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichten im Jahr 1998 eine als Diskussionsbeitrag bezeichnete gemeinsame Stellungnahme zur Xenotransplantation.18 Nach Auffassung beider Kirchen bringt die Xenotransplantation durchaus Vorteile mit sich, welche die ethisch verwerfliche Handhabung von menschlichen Organen verringern und bestmöglich sogar überwinden kann. Sie sind jedoch der Meinung, dass die Bereitschaft zur Organspende vielmehr sinken könnte, wenn Tierorgane in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stünden.19 Zudem plädieren sie für die gleichzeitige Bewahrung und Würde des menschlichen Lebens sowie dafür, sich an der Achtung gegenüber dem Tier zu orientieren.20 Im Jahre 2000 nahm Papst Johannes Paul II. (gest. 2005) in einer Ansprache in Rom Stellung zur Xenotransplantation, indem er sie im Prinzip legitimierte, sofern das verpflanzte Organ die Integrität der genetischen oder psychologischen Identität des Empfängers nicht beeinträchtige und der/die OrganempfängerIn keiner übermäßigen Gefahr ausgesetzt sei.21

- Judentum: Im Allgemeinen dürfen im Judentum Tiere genutzt werden, um menschliche Bedürfnisse zu stillen. Laut Halacha, dem rechtlichen Teil der jüdischen Überlieferung, ist die Zulässigkeit von Xenotransplantationen erlaubt, sofern dies die einzige Möglichkeit ist, um das Leben eines Menschen zu retten bzw. zu verlängern.22 Obwohl im 3. Buch Mose steht, dass Schweine für sie unrein sind, gilt dies nur für den Verzehr von Schweinefleisch, nicht für die Transplantation von Schweineherzen in den Menschen.23 In der jüdischen Tradition steht darüber hinaus der Mensch im Mittelpunkt und nicht das Tier. In diesem Zusammenhang bezeichnet der Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Raphael Evers, das tierische Organ als ein technisches Ersatzteil, welches den menschlichen Körper und die Seele fortbestehen lässt.24

- Islam: Im Oktober 2021 ist es einem Forscherteam an der NYU Langone Health der New York Universität erstmalig gelungen, einer hirntoten Patientin eine genetisch modifizierte Schweineniere erfolgreich zu implantieren. Die transplantierte Niere wurde vom Körper nicht abgestoßen und nahm ihre natürliche Arbeit auf, indem sie Abfallprodukte aus dem Körper filterte und zusätzlich Urin produzierte.25 Angesichts des gravierenden Mangels an menschlichen Organen wurde dieses spektakuläre Verfahren in medizinischen Kreisen weltweit als Durchbruch in der Organtransplantation gefeiert. Dieses bahnbrechende Experiment ließ jedoch auch zugleich eine jahrzehntelange Debatte unter muslimischen Theologen über die religiöse Legitimität bezüglich der Durchführung von Xenotransplantationen, insbesondere der Verwendung von Schweineorganen, wieder aufflammen.26

Wenige Tage, nachdem das Chirurgenteam dieses Nierenexperiment angekündigt hatte, kritisierten die Gelehrten der berühmten Al-Azhar-Universität in Ägypten dieses Vorhaben und beurteilten die Xenotransplantation als unzulässig.27 Die höchste religiöse Autorität Ägyptens argumentierte, dass die Transplantation eines Schweineorgans in den menschlichen Körper nach islamischen Recht verpönt sei.28 Die Angehörigen des Fatwa-Gremiums der Al-Azhar stützten sich dabei auf mehrere Koranverse (2:173, 6:145, 5:3), in welchen explizit das Konsumieren von Schweinefleisch grundsätzlich verboten wird. Das Schwein und seine Bestandteile gelten im Islam nämlich als unrein. Die Gelehrten sind der Ansicht, dass durch die Transplantation eines Schweineorgans der menschliche Körper verunreinigt werde.29 Gemäß dem islamischen Recht ist die rituelle Reinheit des gesamten Körpers eine grundlegende Voraussetzung für die Verrichtung des Pflichtgebetes, welches eine der fünf Säulen im Islam darstellt. Kurze Zeit später wurde jedoch eine Stellungnahme der Al-Azhar veröffentlicht, in welcher die Nutzung des Schweineorgans nur dann erlaubt bzw. nötig sei, sofern alle anderen Alternativen ausgeschöpft würden und dies die einzige Möglichkeit sei, um das Leben des Patienten zu retten.30 Zudem müsse das betreffende tierische Organ in seiner Beschaffenheit optimal modifiziert werden, sodass es dem Patienten keinen zusätzlichen Schaden zufügen könne. Der Islam legt großen Wert auf den Erhalt der Gesundheit und den Schutz des Lebens.31 Den ausschlaggebenden Koranvers hierzu findet man in der Sure al-Māʾida, Koran 5:32: „[…] Und wenn einer jemanden (w. ihn) am Leben erhält (w. lebendig macht) soll es so sein, als ob er die Menschen alle am Leben erhalten (w. lebendig gemacht) hätte. […]“32

Das Ägyptische Fatwa-Amt (Dār al-Iftāʾ al-Miṣrīya) sieht keine rechtlichen Einwände gegen die Verwendung von Schweineherzklappen zum Zwecke der medizinischen Behandlung, sofern die Eigenschaften des tierischen Gewebes in eine neue gallertartige oder schaumige Substanz umgewandelt wurden, welche nicht mehr dem Schwein ähneln.33 Dies bedeutet, dass die Verwendung von genetisch modifizierten Schweineorganen zulässig ist. Im äußersten Notfall, falls das Leben des Patienten bzw. der Patientin gefährdet ist, erlaubt dieses Fatwa-Amt überdies die Nutzung von nicht gentechnisch veränderten Organen des Schweins.34 Die Professorin für Islamische Glaubenslehre an der Al-Azhar-Universität, Amine Nesir, sieht die Verwendung von Schweineteilen für medizinische Zwecke nicht als problematisch an. Sie stellt klar, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass der Verzehr von Schweinefleisch im Islam verboten sei, jedoch nicht der Einsatz von Schweineorganen für menschliche Transplantationen.35

Auch der schiitische Großajatollah ʿAlī al-Ḥusainī as-Sīstānī erlaubt die Verwendung von Schweineorganen zur Transplantation in den menschlichen Körper. Er geht noch weiter und bezeichnet das tierische Organ, nach der erfolgreich ausgeführten Operation, als einen regulären Teil des Körpers eines gläubigen Muslims.36 Somit hat das Xenotransplantat keinen Einfluss auf die rituelle Reinheit des menschlichen Körpers.

Ungeachtet dessen gibt es auch einige kritische Stimmen unter MuslimInnen, welche die Transplantation von Schweineorganen strikt ablehnen. Der ehemalige Sekretär des Fatwa-Gremiums der Al-Azhar, Scheich Ǧamal Qutb, erklärt seine Missbilligung dadurch, dass der Mensch der Stellvertreter Gottes (ḫalīfa) auf Erden und überdies das vornehmste aller Lebewesen sei.37 Laut Qutb dürfen nur reine Komponenten in den menschlichen Körper eindringen bzw. eingesetzt werden. Seiner Ansicht nach sollen medizinische Experten nach besseren Alternativen suchen und fortlaufend Experimente mit anderen Lebewesen aus der Tierwelt durchführen, um das Schwein zu ersetzen.38

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Transplantation von tierischen Organen im Islam eher als Ausnahme angesehen werden sollte. Wenn ein dringender Bedarf besteht und alle anderen Lösungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, ist es aus medizinethischer und islamischer Sicht gerechtfertigt Xenotransplantationen durchzuführen, um ein Menschenleben zu erhalten. Diese Betrachtungsweise ist daran geknüpft, dass Tiere einen Teil der Schöpfung Gottes darstellen und einen hohen Stellenwert im Koran genießen.39 Sechs von 114 Suren des Korans werden nach Tieren benannt, mehr als 200 Verse davon handeln von verschiedenen Tieren bzw. Tiergruppen in diversen Kontexten.40 Dies geschieht meist in Form von Gleichnissen, in welchen der Mensch entweder mit dem Tier verglichen oder vom Tier abgegrenzt wird.41 So heiß es in Koran 6:38: „Und es gibt kein Tier auf der Erde und keinen Vogel, der mit seinen Flügeln fliegt, ohne daß es Gemeinschaften wären gleich euch (Menschen). […]“42 Die islamische Theologie fordert Mitgefühl, Zärtlichkeit und Respekt gegenüber allen Lebewesen, besonders gegenüber dem Tierreich.43 Der Prophet Muhammad soll hier als Vorbild dienen, indem er Tiere stets mit Würde und Fürsorge behandelte. MuslimInnen müssen außerdem unnötiges Leid von Tieren vermeiden, denn Tierquälerei wird im Islam nicht geduldet. Diese Haltung wird auch in Anbetracht des Tötens eines Tieres deutlich. Es gibt folglich strenge Regeln bezüglich der Schlachtung von Tieren, die sie vor Schmerzen schützen sollen. Auch die Jagd nach Nahrung ist zum Beispiel erlaubt, jedoch keinesfalls als reine Freizeitaktivität.44 Der islamische Glaube hebt die Wahrung der Tierrechte hervor und plädiert gleichzeitig für ein ausgewogenes und angemessenes Abwägen zwischen dem Schutz des Tieres und dem Recht des Menschen, vom Tier für medizinische Zwecke zu profitieren.45

Fazit

Durch die stetige, eifrige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Medizin können Xenotransplantationen womöglich zukünftig das Leiden von etlichen PatientInnen beenden, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind. Die Transplantation zwischen zwei artverschiedenen Individuen ist zweifelsfrei ethisch höchst umstritten. Denn wie jede experimentelle Therapie birgt auch die Xenotransplantation unzählige Probleme und Risiken mit sich. Im Vergleich zu allogenen Transplantationen treten bei der Xenotransplantation aufgrund der immunologischen Barriere zwischen Mensch und Tier in der Regel Abstoßungsreaktionen viel schneller und heftiger auf.46 Außerdem besteht bei Xenotransplantationen die Gefahr, dass mit den tierischen Organen möglicherweise auch Mikroorganismen übertragen werden, die beim Menschen schwere Krankheiten hervorrufen können.47

Dessen ungeachtet gibt es auch mehrere Vorteile der Xenotransplantation, darunter die Erhöhung des Organpools, welche den vorzeitigen Tod von Menschen vermeiden sowie zur Verbesserung der Lebensqualität betroffener PatientInnen führen kann.48 Zudem weisen Xenotransplantate keine Vorschädigung auf Grund von Transport, Zwischenlagerung, Unterbrechung der Blutversorgung oder Unfalleinflüssen wie Trauma und Schock auf. OrganempfängerInnen können zusätzlich optimal auf die operative Transplantation vorbereitet werden, organbedingte Not- und Nachtoperationen, so wie sie heutzutage gang und gäbe sind, wären nicht mehr notwendig.49 Allerdings befindet sich die Xenotransplantation immer noch weitgehend im präklinischen Versuchsstadium, da sie noch viele komplexe und ungelöste biomedizinische sowie ethische Probleme aufweist, welche es in naher Zukunft zu überwinden gilt.

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