Zur Menstruation im Islam und den vielfältigen Ansichten dazu
Aktuell wird in vielen Ländern der Welt über die Einführung kostenloser Menstruationsartikel in öffentlichen Gebäuden sowie über mögliche Gesetzesentwürfe, die für den Fall von Menstruationsbeschwerden einen „Menstruationsurlaub“ für einige Tage im Monat vorsehen, diskutiert. Als Vorreiter dient in diesem Zusammenhang Spanien, dessen Ministerrat im Mai 2022 einen Gesetzesentwurf für eine Dienstfreistellung bei menstruationsbedingten Beschwerden verabschiedete.1
Während im öffentlichen Leben nun eine Tendenz spürbar ist, das Thema Menstruation endlich zu enttabuisieren und Frauen in diesem Kontext das Leben zu erleichtern (beispielsweise finden sich auf Toiletten in Kaffeehäusern oder Fitnessstudios nun vermehrt Menstruationshygieneartikel zur freien Entnahme), scheint dieses Thema in den großen Weltreligionen kontrovers zu sein; auf den ersten Blick erklären religiöse Quellen bzw. Theologen in deren Auslegungen Frauen während ihrer Monatsblutung in unterschiedlichem Maße als unrein, was diverse negative Konsequenzen nach sich zieht. Das Spektrum reicht dabei vom Betretungsverbot der Gebetshäuser bis zum völligen Verwehren der Teilnahme am öffentlichen Leben. Darüber hinaus sind Frauen während ihrer Menstruation in vielen Religionen von alltäglichen religiösen Pflichten befreit (was sowohl als Erleichterung, als auch als Ausschluss der Frau interpretiert werden kann).
Koran und Sunna zum Thema Menstruation
Im Koran wird die Menstruation lediglich im Kontext von Geschlechtsverkehr und Scheidung erwähnt. So heißt es in Koran in Sure 2, Vers 222: „Und sie werden dich fragen nach den monatlichen Perioden (der Frauen). Sag: „Es ist ein verletzlicher Zustand. Haltet euch darum fern von Frauen während ihrer monatlichen Perioden, und nähert euch ihnen nicht, bis sie gereinigt sind; und wenn sie gereinigt sind, geht ein zu ihnen, wie Gott es euch zu tun geboten hat.“ Wahrlich, Gott liebt jene, die sich in Reue zu Ihm wenden, und er liebt jene, die sich rein halten.2
Der Koranvers fordert (Männer) dazu auf, auf Geschlechtsverkehr mit ihren Frauen während der Menstruation zu verzichten. Andere Formen sexueller Aktivität sind davon nicht betroffen, wie mehrere Überlieferungen des Propheten zeigen, beispielsweise folgender Hadith: „ʿĀʾisha, Allahs Wohlgefallen auf ihr, berichtete: ‚Wenn eine von uns ihre monatliche Regel hatte, befahl ihr der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, sich mit dem Lendenschurz zu bekleiden. Dann liebkoste er sie.‘“3
Bezüglich der Scheidung heißt es im Koran: „Was nun solche von euren Frauen angeht, die jenseits des Alters der monatlichen Regel sind, wie auch solche, die keine Regel haben, ihre Wartezeit – wenn ihr (darüber) im Zweifel seid – soll drei (Kalender-) Monate sein; und was jene angeht, die schwanger sind, das Ende ihrer Wartefrist soll kommen, wenn sie ihre Last ablegen.“4
Der Menstruationszyklus bestimmt die Dauer der vorgeschriebenen Wartezeit (ʿidda), bevor eine Witwe oder Geschiedene wieder heiraten darf; diese Frist fungiert als Maßnahme, um Fälle von unbestimmter Vaterschaft zu vermeiden.5 Allerdings ist anzumerken, dass diese Wartefrist natürlich für Frauen jenseits der Menopause keine Bedeutung hat.
Die klassische islamrechtliche Sichtweise
Mit Menstruation (ḥaiḍ) ist im Islamischen Recht die vaginale Blutung gemeint, die im Rahmen des monatlichen Zyklus auf natürliche Weise auftritt.6 Die Rechtsprechung behandelt die Menstruation innerhalb des Themenbereichs der rituellen Reinheit (tahāra). Nach Auffassung der Rechtsgelehrten ist eine Frau während ihrer Menstruation von den gottesdienstlichen Handlungen ausgenommen, weil in diesem Zustand die rituelle Reinheit nicht gegeben ist, welche eine Voraussetzung zur Teilnahme an gottesdienstliche Handlungen darstellt. Aus diesem Grund ist die Verrichtung der Ganzkörperwaschung (ġusl) am Ende der Periode notwendig. Nach dieser Waschung ist es einer Frau wieder erlaubt bzw. ist sie verpflichtet, die obligatorischen gottesdienstlichen Handlungen zu vollziehen.7 Zu den untersagten Tätigkeiten während der Menstruation zählen laut den meisten islamischen Rechtsbüchern die Verrichtung des rituellen Pflichtgebetes (ṣalāh), die (hörbare) Rezitation von Koranversen und die Berührung des Korans in Buchform (muṣḥaf), Fasten jeglicher Art, Geschlechtsverkehr und das Berührtwerden im Intimbereich (implizit durch den Ehemann), das siebenmalige Umkreisen der Kaaba (ṭawāf) während der Pilgerfahrt sowie das Betreten einer Moschee.8
Uneinig sind sich die Gelehrten jedoch über die definitive Bestimmung, wann die Menstruation zu Ende sei. Dazu werden in vormodernen wie zeitgenössischen Handbüchern sogar konkret Farbe, Beschaffenheit und Kategorien des vaginalen Ausflusses erörtert; diese Handbücher enthalten Tabellen, die bei der Bestimmung der rechtlichen Kategorie helfen. Weitere Themen sind die von den Rechtsgelehrten festgelegte Mindest- und Höchstdauer der Menstruation sowie das Mindest- und Höchstalter für das Eintreten der Menstruation.9 Damit ist gemeint, dass vaginale Blutungen außerhalb dieser definierten Rahmen nicht als Monatsblutung gelten – und nur diese hat die obengenannten Einschränkungen zur Folge. Beispielsweise hindern Zwischenblutungen eine Frau nicht an der Verrichtung des rituellen Pflichtgebets.
Die Menstruation ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil mit dem ersten Auftreten der Regelblutung ein Mädchen in religiös-rechtlichem Sinne offiziell als volljährig gilt.
Zeitgenössische Ansätze
Den erwähnten klassischen islamrechtlichen Zugängen zum Thema Menstruation stehen zeitgenössische theologische Ansätze gegenüber, die in Anlehnung an die Offenbarungen und die religiöse Ethik ein neues Islamverständnis favorisieren.
So ist beispielsweise Celene Ayat Lizzio, Lehrende für Islam und Gender an der Universität Merrimack (USA), der Meinung, Menstruation und andere vaginale Blutungen seien ein vorrangiges Untersuchungsgebiet für eine neue, frauenorientierte Theologie, die sich in erster Linie, oder ausschließlich, auf die Erfahrung von Frauen beziehen sollte. Lizzio untersucht die klassischen islamrechtlichen Normen bezüglich der monatlichen Periode und analysiert deren Auswirkungen auf die geschlechtsspezifischen Verhältnisse. So gebe es keine direkt vom Propheten überlieferte Aussage dahingehend, die menstruierende Frau von gottesdienstlichen Ritualen auszuschließen. Da auch der Koran diesbezüglich kein Verbot während der Menstruation erwähnt, berufen sich Rechtsgelehrte ausschließlich auf Koranverse zu Geschlechtsverkehr und Scheidung. Der Koran würde also einzig und allein den Geschlechtsverkehr einschränken und Regelungen zur Scheidung während der Menstruation formulieren – der Rest sei von den vorwiegend männlichen Rechtsgelehrten erfunden, basierend auf deren Argument, die vorhandene „Unreinheit“ sei nicht vereinbar mit den Gottesdiensten. Im islamischen Rechtssystem zählt die Menstruation durchaus – neben den Blutungen nach einer Entbindung, dem Koitus und der Ejakulation – zu den vier rituellen Hauptverunreinigungen; davon werden jedoch nur der Koitus und die Ejakulation im Koran als Hindernisse für das rituelle Gebet erwähnt, sodass Blutungen an sich eigentlich nicht am Gebet hindern sollten. Anstatt sich also zu sehr in die rechtlichen Verbote und Gebote zu vertiefen, sollte man nach Lizzio den wesentlichen Aspekt der Menstruation im Islam nicht aus den Augen verlieren: Der Fokus des Korans bezüglich der Menstruation liege eindeutig auf der Sicherung des Wohlergehens der Frau – man beachte, dass die Regelblutung in Koran (Sure 2, Vers 222) als ein „verletzlicher Zustand“ beschrieben wird und Beeinträchtigung und Unwohlsein für die Frau darstellt. Deswegen sieht Gott für die Frauen vor, während dieser beeinträchtigenden Phase keinen Geschlechtsverkehr zu haben, schließe aber Frauen von anderen Tätigkeiten nicht aus.10
Fazit
Die Menstruation wird unter den islamischen Rechtsgelehrten im Kontext des Themas der rituellen Reinheit behandelt. Da Konsens darüber besteht, dass die Menstruation eine „rituelle Unreinheit“ zur Folge hat (jedoch keine Unreinheit der Frau als Ganzes, die es bspw. verbieten würde, die Frau zu berühren), gibt es aus klassisch-islamrechtlicher Sicht zahlreiche gottesdienstliche Handlungen, von denen Frauen während ihrer Monatsblutung ausgeschlossen sind. Nachdem jedoch der Koran lediglich den Geschlechtsakt während der Menstruation verbietet und auch die Sunna keine weiteren Beschränkungen vorsieht, wird heute teilweise die Meinung vertreten, Rechtsgelehrte würden bei diesem Thema für eine patriarchalische Mentalität stehen, welche die Frauen davon abhalte, ihre Beziehung zu Gott zu pflegen. Dieser moderne Ansatz wird jedoch bisher im öffentlich wahrnehmbaren Mainstream-Islam kaum vertreten.