Zur Stellung der religiösen Minderheiten in den Golfstaaten

Artikel 08.11.2021 Redaktionsteam

Dieser Beitrag befasst sich mit der Stellung religiöser Minderheiten, insbesondere von ChristInnen, in den Golfstaaten. Dabei wird ein Blick nach Iran und Irak sowie Saudi-Arabien, Katar, Bahrain und Kuwait geworfen. Es zeigt sich, dass es, abgesehen von einigen Verbesserungen, um die Stellung von ChristInnen in diesen Ländern (noch) nicht gut bestellt ist. Um zu Anerkennung und freier Religionsausübung zu gelangen, bedarf es vieler Reformen sowie auch der Bewusstseinsveränderung unter der Bevölkerung.


Der Begriff Minderheiten bezeichnet zahlenmäßig unterlegene Gruppen innerhalb eines Staates oder einer Gesellschaft. Im heutigen Orient und auf der arabischen Halbinsel bilden ChristInnen eine solche Minderheit, wobei viele dort schon seit Jahrhunderten beheimatet sind. Historisch gesehen zeigt sich beispielsweise, dass Christen in Ägypten lange Zeit Steuern an Muslime zahlten, oder dass die christlichen Armenier den Muslimen Kopfsteuern und Naturalienabgaben zu leisten hatten, damit ihre Kirchen, ihr Leben und ihr Besitz unangetastet blieben.1 Heute befinden sich die Lebensumstände von ChristInnen in einigen mehrheitlich muslimisch bevölkerten Ländern nicht im Einklang mit den allgemeinen Menschenrechten und somit jenseits der Errungenschaften der muslimischen Herrscher im Mittelalter. Im Großen und Ganzen werden Angehörige des Christentums in der islamischen Welt heute geduldet, sind jedoch auch oft Diskriminierungen ausgesetzt.2

Im Iran wird seit dem Jahr 1943 die Kultusfreiheit für ChristInnen garantiert und es existieren eigene Gerichte für Heirats- und Erbschaftsangelegenheiten. Verboten ist allerdings der Bau von Kirchen sowie der Druck von Bibeln für die rund 200.000 ChristInnen im Iran.

Im Irak herrschten unter Saddam Hussein halbwegs stabile Verhältnisse für den christlichen Teil der Bevölkerung. Das von diesen gesprochene Syrisch (auch: Syrisch-Aramäisch, Syriakisch) wurde als Landessprache anerkannt. Nach dem Sturz Saddam Husseins kam es im Zuge des Bürgerkrieges zur Zerstörung von Kirchen, Entführungen, Ermordungen sowie Attentaten auf Schulen und Klöster. Als Folge von Diskriminierung und Massenmord flüchtete rund die Hälfte der im Irak lebenden ChristInnen, sodass 2008 schätzungsweise nur noch eine halbe Million von ihnen im Irak lebten.3

Im Gegensatz zu den Ländern, in welchen ChristInnen seit mehreren Jahrhunderten beheimatet sind, leben in den Golfstaaten heute keine autochthonen ChristInnen. Sie stammen mehrheitlich aus Asien und sind im Zuge der Arbeitsmigration in die Ölstaaten gekommen.4

Im Golfstaat Saudi-Arabien leben 98 Prozent MuslimInnen. Die übrigen zwei Prozent setzen sich aus christlichen und hinduistischen Minderheiten zusammen. Die meisten ChristInnen des Landes leben vorübergehend als Gastarbeiter im Land. Für diese rund eine Million Menschen gibt es im ganzen Land keine einzige Kirche. Darüber hinaus sind Bibeln verboten. Auch das Strafmaß fällt ihnen gegenüber deutlich diskriminierend aus, Gesetzesverstöße können mit einem Landesverweis und Inhaftierungen mit Hinrichtungen enden.5 Generell ist das Praktizieren anderer Religionen außer dem Islam untersagt. MuslimInnen, die sich vom Islam abgewendet haben und dem christlichen Lebensstil nachgehen wollen, können dies in der Öffentlichkeit nicht tun. Auch deren Kinder können nicht amtlich als ChristInnen eingetragen werden, außerdem sind diese Kinder verpflichtet, am Islamunterricht teilzunehmen. Christliche Feiertage dürfen auch in internationalen Schulen nicht begangen werden, andernfalls droht der Schule der Entzug ihrer Lizenz.6
In jüngster Vergangenheit gab es jedoch erstmalig ein Abkommen zwischen Saudi-Arabien und dem Vatikan, welches den Bau von Kirchen in Saudi-Arabien vorsieht.7 Auch das Zelebrieren einer katholischen Messe durch Kardinal Jean-Louis Tauran, dem Vorsitzenden des päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, in der saudischen Hauptstadt Riad im April 2018 lässt – zumindest langsam – künftige Verbesserungen erwarten.8

In Katar, einem weiteren Golfstaat, sind von 900.000 Einwohnern 8,5 Prozent christlichen Glaubens.9 Im Gegensatz zu Saudi-Arabien erkennt Katar die drei abrahamitischen Religionen an. Dementsprechend gibt es seit dem Jahr 2005 auch Kirchen im Land, die sich allerdings in den Industriezonen an den Stadträndern befinden. Die Akzeptanz von ChristInnen endet bei der Konversion vom Islam zum Christentum: auf Apostasie, das Abfallen vom Glauben, steht die Todesstrafe. Nicht erlaubt ist auch das Tragen oder Zeigen von Kreuzen, weshalb es auch an den Kirchen keine Kreuze gibt. Trotzdem garantiert die katarische Verfassung Religionsfreiheit, mit der Einschränkung, dass diese sich im Rahmen der öffentlichen Ordnung befindet. Angesichts der Praxis in Katar kann man aus unserem heutigen europäischen Verständnis nicht von Religionsfreiheit sprechen, weil das religiöse Leben vom Staat beobachtet wird und die Gläubigen sich dementsprechend sehr vorsichtig verhalten müssen.10 Auch gibt es Regelungen im Schulleben: ChristInnen dürfen ihre Kinder zwar zuhause ihrem Glauben gemäß erziehen, jedoch ist christlicher Religionsunterricht an öffentlichen und privaten Schulen verboten.11

In Bahrain befindet sich der Sitz des apostolischen Vikariats des nördlichen Arabiens, welches sich über die Staaten Bahrain, Saudi-Arabien, Kuwait und Katar erstreckt. Es betreut die zweieinhalb Millionen ChristInnen in diesen Staaten, die dort als ArbeitsmigrantInnen aus verschiedenen Ländern leben.12 Die zehn Prozent ChristInnen des Landes bestehen ebenso größtenteils aus GastarbeiterInnen.13 In Bahrain gibt es Diskussionen bezüglich des Baus von Kirchen, jedoch gibt es bereits einige davon. Außerdem steht der Bau einer großen Kathedrale mit angeschlossenem Gemeindezentrum, Bildungshaus und Bischofsresidenz im Herbst 2021 kurz vor der Fertigstellung.14 In Bahrain dürfen christliche Kinder vom Islamunterricht an Schulen befreit werden. Bislang wird jedoch noch kein vergleichbarer christlicher Religionsunterricht angeboten.15

In Kuwait leben fünf Prozent ChristInnen und Hindus. In der Verfassung Kuwaits wird – genau wie in Katar – die Religionsfreiheit erwähnt. Offiziell anerkannte Konfessionen sind die römisch-katholische Kirche, die orthodoxe Kirche sowie die protestantischen Kirchen.16 Das Läuten der Kirchenglocken sowie das Zeigen religiöser Symbole sind in Kuwait erlaubt. Im Gegensatz zu den bisher aufgelisteten Ländern gehört Kuwait zu jenen, in denen auch ein sehr geringer Anteil an ChristInnen zur autochthonen Bevölkerung zählt.17 Trotz der Anerkennung mehrerer Konfessionen ist der jeweilige konfessionelle Religionsunterricht in Kuwait verboten. Es besteht vielmehr Teilnahmepflicht am Islamunterricht.18

Der Status von religiösen Minderheiten, insbesondere von ChristInnen, ist in den Golfstaaten sehr unterschiedlich. Dies betrifft sowohl den rechtlichen Status als auch die gesellschaftliche Akzeptanz. Dabei bilden eher politische Interessen als religiöse Quellen den bestimmenden Faktor, auch wenn Letztere oft in den Vordergrund gerückt werden. Die durch Arbeitsmigration steigende Anzahl von Menschen christlichen Glaubens in den Golfstaaten führt zu Änderungen in diesen Ländern, die sehr lange Zeit keine andere Religion außer der eigenen, dem Islam, kannten. Die Reaktionen auf diesen neuen Umstand sind unterschiedlich. Ohne zu nivellieren kann allgemein konstatiert werden, dass die Stellung der religiösen Minderheiten in diesen Ländern weit von den allgemeinen Standards, die zum Beispiel MuslimInnen in Europa genießen, entfernt ist. Dies mag historische Gründe haben oder an den allgemeinen Defiziten bei der Implementierung von Menschenrechten und Demokratie liegen, dennoch ist zu hoffen, dass sich die Lage in absehbarer Zeit verbessert. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war das Treffen von Papst Franziskus mit dem Großscheich der Kairoer Al-Azhar-Universität, Scheich Ahmed al-Tajib, im Rahmen des ersten päpstlichen Besuches auf der Arabischen Halbinsel im Februar 2019. Im Zuge dieses Zusammentreffens wurde eine gemeinsame Erklärung gegen Gewalt und Terrorismus im Lichte der Verbundenheit der Religionen unterzeichnet.19 Hierbei sollte es sich nicht um einzelne Schritte handeln, sondern sich ein kontinuierliches und entschlossenes Fortschreiten in Richtung Akzeptanz religiöser Selbstbestimmung und Pluralität entwickeln.

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