Bilder und Bilderverbot im Islam
Die traditionellen Quellen über Bilder im Islam
Ein Bilderverbot im religiösen Kontext wird oft mit dem Islam in Verbindung gebracht. „Dabei ist zu betonen, dass das Bilderverbot keine spezifische Erscheinung des Islam darstellt und sich auch nicht allein auf seine Kunst beschränkt; es ist vielmehr ein Phänomen, das sich in eine lange Geschichte einreiht, die schon mit der Entstehung des Monotheismus im Judentum begonnen und sich weiter über das Christentum bis hin zum Islam erstreckt hat.“1
Zu Beginn sollte erwähnt werden, dass mit Bildern in diesem Kontext solche Bilder gemeint sind, die Wesen mit Lebensodem (ruh), also Menschen und Tiere, jedoch keine Pflanzen und Objekte darstellen.2
Die Primärquelle des Islams, der Koran, enthält keine Aussage, die direkt das Bild verbietet; er wendet sich vielmehr gegen gewisse heidnische Gebräuche, darunter die Verwendung von Bildwerken, die wegen ihres Charakters als Idole angesehen werden können. Dabei geht es um die Bewahrung der Einzigartigkeit Gottes und die Distanzierung von möglicher Götzenanbetung.3 So findet man im Koran einen Vers, der am häufigsten als Ausgangspunkt für ein Bilderverbot herangezogen wird und der sich vor allem gegen die vorislamische Anbetung von Steinen und Statuen bezieht: „Oh ihr, die ihr Glauben erlangt habt! Berauschende Getränke und Glücksspiele und götzendienerische Praktiken und das Wahrsagen der Zukunft sind nur ein abscheuliches Übel von Satans Werk: meidet es denn, auf daß ihr einen glückseligen Zustand erlangen möget!“4
Hierbei ist zu unterstreichen, dass im Koran nicht konkret die Rede von Bildern ist; lediglich die Ableitung des arabischen Wortes für Bild (sūra), nämlich „sawwara“ – was so viel bedeutet wie „etwas bilden, ihm eine Form geben, schaffen“ – wird im Koran genannt. Der Grund, warum man im Koran keine direkten Aussagen zum Bilderkult findet, ist wahrscheinlich der, dass es einen solchen in Arabien zur Entstehungszeit des Korans kaum gab. Daher ist es sehr schwierig, eine klare Position zu diesem Thema durch den Koran allein zu belegen.
Wirft man einen Blick auf die Hadithe und entsprechende Aussagen des Gesandten Muhammad, so trifft man auf einige, die sich voneinander unterscheiden und mit der Zeit zu Meinungsverschiedenheiten führten. In der großen Hadithsammlung von al-Buḫārī (gest. 870) gibt es beispielsweise kein Kapitel, welches sich explizit einem Bilderverbot widmet – meist wird ein Bilderverbot in einigen Hadithen nur nebenbei angedeutet und steht deswegen nie im Mittelpunkt. Trotzdem existieren diese Hadithe, weswegen auch die Möglichkeit besteht, sie als Grundlage für ein Bilderverbot heranzuziehen. Exemplarisch sei folgender Hadith genannt: ʿAʾiša berichtete:5 „Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, kam eines Tages von einer Reise zurück, während ich eine Nische mit einem „qiram“ (ein bunter, mit Bildern versehener Stoff) versah. Als der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil auf ihm, diesen sah, riß er ihn herunter und sagte: „Diejenigen Menschen, die am Tage der Auferstehung am härtesten bestraft werden, sind solche, die die Schöpfung Allahs nachahmen!“ Darauf haben wir davon ein oder zwei Kopfkissen gemacht.“6
In einem weiteren, ähnlichen Hadith7 wird beschrieben, wie der Gesandte fordert, diese Vorhänge mit den bildlichen Darstellungen zu entfernen, weil er fürchtet, dass sie ihn von der Ausführung seines Gebets ablenken könnten.8 Ein anderer Hadith behauptet jedoch, dass der Gesandte Muhammad auch bereits verärgert war, als er nur Kissen mit Bildern gesehen hatte: „… wahrlich, diejenigen, die diese Bilder gemacht haben, werden am Tage der Auferstehung bestraft. Zu ihnen wird gesagt werden: ‚Macht das lebendig, was ihr geschaffen habt!‘ Auch die Engel betreten keine Wohnung, in der sich ein Bild befindet.“9 Der Gesandte Muhammad erklärt hier, dass Gott von jenen, die Abbildungen herstellen, ironischerweise fordern wird, die bildlich dargestellten Lebewesen lebendig zu machen, was ihnen natürlich nicht gelingen wird, da nur Gott allein die Schöpfungsmacht besitzt. Außerdem werden in diesem Hadith auch die Engel erwähnt, die keinen Raum betreten, in dem sich Abbildungen von Lebewesen befinden.
Klassische theologische Positionen
Da die Hadithe gegenüber Abbildungen von Lebewesen eher eine ablehnende Haltung einnehmen, löste dies bei vielen Gelehrten Angst vor Götzenverehrung und der möglicherweise ablenkenden Wirkung der Bilder aus. So war auch der schafiitische Rechtsgelehrte an-Nawawī (gest. 1277) ein Vertreter dieser bilderfeindlichen Richtung. Er war der Meinung, dass das Vorhandensein von Bildern als etwas Verwerfliches betrachtet werden sollte. So ist für ihn jede Darstellung eines Lebewesens strikt verboten und eine schwerwiegende Sünde, weil dies eine Nachahmung Gottes darstellen würde. Die wahrscheinlich extremsten Ansichten hatte aber der Koranexeget der ersten Generation, al-Muǧāhid b. Ǧabr (gest. 718 oder 722). Für ihn war sogar die Darstellung von fruchttragenden Bäumen verboten, weil diese auch als lebendig angesehen werden können. So bildete sich ein gewisser Konsens unter den klassischen Gelehrten: Einerseits verboten sie Bilder von Menschen und Tieren, falls diese aufgehängt oder auf eine Wand gemalt wurden, auf Teppichen und Kissen wurden diese Bilder jedoch meist akzeptiert. Außerdem verurteilten sie jede bildliche Darstellung, die dreidimensional figurativ bzw. körperhaft war, mit der Ausnahme von Puppen als Kinderspielzeug.
Allerdings gab es auf der anderen Seite auch Gelehrte, welche die traditionellen Texte anders interpretierten: So war Abū ʿAlī al-Fārisī (gest. 987), ein Sprachwissenschaftler der rationalistischen theologischen Schule der Muʿtaziliten, der Meinung, das Bilderverbot betreffe nur die Darstellung Gottes in körperlicher Form. Das Verbot, andere Lebewesen darzustellen, gründe nur auf individuellen Interpretationen. Zudem behauptet al-Qurṭubī (gest. 1273) in seinem Korankommentar, eine bestimmte Anzahl Gelehrter sei aufgrund zweier Koranstellen eher bilderfreundlich gewesen; in den genannten Versen würden zwei Propheten die Bilder erlauben: Der erste Vers besagt, beim Bau von Salomons Palast hätten Dschinnen dort Statuen aufgestellt,10 während im zweiten Vers die Rede vom Propheten ʿĪsā (Jesus) ist, der aus Lehm Vögel formte und ihnen dann Leben einhauchte.11
Solche bilderfreundlichen Meinungen waren jedoch bei den islamischen Gelehrten seit Beginn an lediglich in der Minderheit.12
Bilder in der Islamischen Welt
Aufgrund des religiös bedingten, faktischen Bilderverbots wurden schon zur umayyadischen Zeit Moscheen, wie etwa die große Moschee von Damaskus und der Felsendom von Jerusalem, frei von figürlichen Darstellungen und Gemälden gestaltet. Dies betraf auch andere religiöse Einrichtungen, wie die religiösen Schulen (Medresen).
In den säkularen Bereichen der Islamischen Welt, wie beispielsweise den fürstlichen Palästen, wurde auf ein Bilderverbot nicht geachtet: Paläste wurden reich ausgeschmückt mit figürlichen Malereien und Mosaiken, welche alle mögliche Themen darstellen, wie Jagdszenen oder frühere Kaiser und Könige. Auch Gebrauchsgegenstände wurden kunstvoll ausgeschmückt; so hatten Wasserkannen und Weihrauchgefäße oft die Form von Tieren. Zudem war zu dieser Zeit die Stoffproduktion im Aufschwung, wobei man für den Export nach Europa verschiedene Reliquien in Stoffe gehüllt hatte, die häufig Darstellungen wie Adler und Löwen trugen.
Daraus lässt sich schließen, dass bildliche Darstellungen in der Islamischen Welt vorhanden waren, jedoch meistens als Statuen, auf Stoffen und in privaten Räumlichkeiten. Dies änderte sich mit der Zeit und im 19. Jahrhundert erlebte man gar ein Übermaß an Bildern: Die Islamische Welt füllte sich nach und nach mit bildlichen Darstellungen aller Art, sowohl in öffentlichen als auch in privaten Räumen. So übernahm man, auch aufgrund der vielen Reisen von Europäern in den Orient, europäische Verhaltensmuster, wie den Druck, die Presse, die Fotografie und später den Film. Das Bild eroberte nun endgültig den öffentlichen Raum und wurde Teil des Alltagslebens in der Islamischen Welt. Lediglich in Moscheen und religiösen Institutionen blieb die Regel einer bilderfreien künstlerischen Darstellung bis heute erhalten.13
Und so ist auch an heutigen Moscheebauprojekten sichtbar, dass als Ersatz zu bildlichen Darstellungen auf geometrische Ornamente, Arabesken und Kalligraphie zurückgegriffen wird, um der Ästhetik gerecht zu werden – die Moschee in Penzberg (Bayern) bildet hierfür ein schönes Beispiel.
Fazit – gibt es nun ein islamisches Bilderverbot?
Wie zu Beginn bereits betont, ist das Bilderverbot kein islamisches Phänomen, sondern auch Teil der anderen abrahamitischen Religionen. Da jedoch in den Moscheen bis heute auf Bilder verzichtet wird, steht der Islam oft im Fokus dieser Diskussion, die meistens von NichtmuslimInnen und öffentlichen Medien initiiert werden. Hadithe werden hierbei von der Mehrheit der islamischen Gelehrten als Grundlage für ein Bilderverbot genommen, weil diese bildlichen Darstellungen oft negativ gegenüberstehen. Jedoch wurde auch aufgezeigt, dass einige klassische Gelehrte anderer Meinung waren, indem sie die Hadithe in einen anderen Kontext gestellt oder anders interpretiert haben.
Fakt ist, dass Bilder in der islamischen Welt schon seit der Frühzeit existieren, sich jedoch nur im säkularen, weltlichen Bereich gehalten haben, während sie im religiösen Bereich strikt vermieden wurden. Diese Trennung sowie die fehlenden expliziten Koranstellen mit Bezug auf ein Bilderverbot deuten darauf hin, dass es nicht sinnvoll und sogar unmöglich ist, ein Bilderverbot auf den gesamt-öffentlichen Raum auszudehnen; die Islamische Welt ist heutzutage wie die restliche Welt von Bildern überflutet, sei es durch die sozialen Netzwerke oder durch den Film, weshalb es, auch wenn man wollte, unmöglich ist, sich in unserer heutigen Zeit Bildern zu entziehen.