Das Schweinefleischverbot im Islam
Der Koran über den Verzehr von Schweinefleisch
Im Unterschied zu einigen anderen Speisevorschriften des Korans ist das Verbot, Schweinefleisch zu essen, eindeutig, weswegen die islamischen Gelehrten im Konsens darüber sind, dass der Verzehr von Schweinefleisch als verboten (ḥarām) einzustufen ist: „Er hat euch nur Aas verboten und Blut und das Fleisch vom Schwein und das, worüber irgendein anderer Name als Gottes angerufen worden ist; aber wenn einer durch Not getrieben wird – weder es begehrend noch sein unmittelbares Bedürfnis überschreitend –, soll keine Sünde auf ihm sein: denn, siehe, Gott ist vielvergebend, ein Gnadenspender.“1
Die einzige Ausnahme, die den Verzehr von Schweinefleisch erlaubt, ist also eine akute, lebensbedrohliche Notlage. In dieser Situation zählt der Erhalt des menschlichen Lebens und nicht das Verbot von Schweinefleisch. Ein Schweinefleischverbot finden wir neben diesem Vers an drei weiteren Stellen im Koran, die in fast identischen Worten eine Reihe grundsätzlicher Speiseverbote beinhalten. Neben dem Verzehr von Schweinefleisch sind nach islamischen Gelehrten außerdem auch andere Bestandteile vom Schwein, wie Haut und Knochen, verboten. Lediglich bezüglich der Verarbeitung solcher Bestandteile, die als Endprodukte zu Lebensmitteln werden, wie es beispielsweise bei der Produktion von Gelatine der Fall ist, trifft man auf Meinungsverschiedenheiten.2 Über andere, nicht-verzehrbare Produkte, die Bestandteile vom Schwein enthalten, wie Haarbürsten oder Leder, herrscht ebenso keine einstimmige Meinung unter den Rechts- und Religionsgelehrten. Ein vertiefter Einblick in diese Thematik würde allerdings den Rahmen dieses Beitrags zu weit fassen.
Über die Ursache des Verbots, Bestandteile vom Schwein zu konsumieren, wurde schon viel diskutiert, wobei in diesen Diskussionen des Öfteren auch das entsprechende Verbot im Judentum miteinbezogen wurde. Das Schweinefleischverbot wird im Islam als ein gezielter Mittelweg zwischen den umfassenden Vorschriften im Judentum und dem weitgehenden Verzicht des Christentums auf Speisevorschriften gesehen.3
Eine genaue Begründung für das Verbot findet sich in den islamischen Quellen jedoch nicht. Muslimische Gelehrte begründen es unter anderem damit, dass das Schwein unrein und die Lebensgewohnheiten des Tieres unsauber und Ekel erregend seien. Während also meist die Unreinheit des Schweines genannt wird, gibt es auch andere Erklärungsversuche.
Andere Begründungen außer Unreinheit?
Nach der Entdeckung der Trichinose im 19. Jahrhundert, die ein Mensch durch den Verzehr von mangelhaft gekochtem Schweinefleisch bekommen kann, wurde diese Erkrankung als ein Beleg für die frühe Weisheit des Korans angesehen; dass also Gott etwas verboten hatte, wofür der Mensch erst viel später eine Begründung entdeckte. Da man allerdings auch durch andere Fleischsorten, wie Rind-, Lamm-, und Ziegenfleisch, die im Islam allesamt erlaubt sind, Trichinose und andere schwere Krankheiten bekommen kann, gilt die medizinische Begründung als schwach und nicht überzeugend.
Eine andere Begründung stammt vom Ethnologen Marvin Harris (gest. 2001) aus seinem Buch „Good to eat. Riddles of food and culture“ (deutscher Titel: Wohlgeschmack und Widerwillen. Die Rätsel der Nahrungstabus). Darin schreibt er, dass das Problem in den hohen Kosten der Aufzucht von Schweinen in warmen Regionen, wie dem Nahen Osten, liege. Diese seien dort nämlich viel höher als für andere Tiere, denn aufgrund der fehlenden Schweißdrüsen können Schweine Körperhitze nicht durch Schweiß ableiten. Sie müssten dafür gekühlt werden, beispielsweise mit Wasser, was in trockenen Regionen knapp und teuer ist. Auch bezieht sich Harris auf den vorislamischen Kontext der nahöstlichen Gesellschaften und schreibt, dass Schweine dort nicht unbekannt waren. Jedoch wurden sie mit der Zeit immer weniger – dazu zitiert Harris den amerikanischen Ethnologen Carlton Coon (gest. 1981):4 „Coon schrieb den Untergang des Schweins im Vorderen Orient der Abholzung und dem Anwachsen der menschlichen Bevölkerung zu. […] Zur Vervollständigung von Coons archäologischem Szenarium möchte ich hinzufügen, dass parallel zu der Vernichtung der Wälder auch an die Wüsten angrenzendes Ackerbau- und Weideland der Erosion anheimfiel, getreu dem alten Abfolgeschema, das vom Wald über die kultivierte Fläche zum Weideland und schließlich zur Wüste führt.“5
Neben diesen medizinischen und kulturellen Begründungen gibt es außerdem zumindest einen Erklärungsversuch mit religiösem Bezug: vorislamische altorientalische Kulturen haben Schweine häufig als Opfertiere genutzt – durch ein Schweinefleischverbot wollte man somit den Monotheismus festigen, sich von der polytheistischen Gesellschaft und deren Ritualen abgrenzen und natürlich die Bedrohung durch einen Kult aus vorislamischer Zeit minimieren. Dieser Begründung wird jedoch, trotz ihres religiösen Charakters, von muslimischer Seite wenig Beachtung geschenkt.6
Etabliert hat sich keine dieser Begründungen, was daran liegt, dass keine Aussagen im Koran und der Sunna des Gesandten Muhammad zu finden sind, welche diese untermauern würden. Aufgrund dessen ist die Mehrheit der Gelehrten der Meinung, dass ein Grund für das Verzehrverbot von Schweinefleisch der Schutz vor Schaden sei, wobei von ihnen behauptet wird, dass diesen Schaden und den genauen Grund, warum Schweinefleisch verboten ist, letztendlich nur Gott kennen kann.7
Das Schweinefleischverbot in unserer Gesellschaft
Dass MuslimInnen kein Schweinefleisch essen, ist auch jenen bekannt, die nur wenige Kenntnisse über den Islam besitzen. Dies liegt vor allem daran, dass MuslimInnen diesem Speisetabu große Aufmerksamkeit schenken und dass im alltäglichen Kontakt mit NichtmuslimInnen, wie beispielsweise in der Schule oder am Arbeitsplatz, Essen oft ein Thema ist.
Außerdem ist zu beobachten, dass das Vermeiden von Schweinefleisch von vielen sehr viel ernsthafter befolgt wird als andere religiös begründete Regeln. Es ist das Paradebeispiel für Speisevorschriften im Islam schlechthin.
Das Schweinefleischverbot sorgt immer wieder für große Aufmerksamkeit und Aufregung seitens NichtmuslimInnen in nicht-islamisch geprägten Ländern wie Österreich. Dies zeigt sich bspw. an Dokumentationen, Onlineartikeln und Zeitungbeiträgen.8 Diese gehen vor allem der Frage nach, warum MuslimInnen kein Schweinefleisch essen – eine Frage, die MuslimInnen erfahrungsgemäß im Alltag selbst oft gestellt bekommen. Doch dass die Antwort darauf nicht so einfach und eindeutig ist, wie vielleicht erhofft, wurde bereits deutlich.9
Fazit
Im Islam gibt es ein eindeutiges Schweinefleischverbot, basierend auf vier Koranversen, weswegen in dieser Hinsicht kein Raum für Interpretationen offen ist. Nicht so eindeutig hingegen sind die Gründe für das Verbot; während man mehrheitlich davon ausgeht, dass das Schwein als unrein gilt und deswegen nicht gegessen werden sollte, sind mit der Zeit auch andere Gründe ans Licht gekommen, die sich vom medizinischen bis hin zum biologischen und kulturell-geschichtlichen Bereich erstrecken. In diesem Kontext wird des Öfteren auch das Schweinefleischverbot im Judentum genannt, das nur eine von vielen, umfassenden Vorschriften im Judentum ist.
Zwar ist in nicht mehrheitlich muslimischen Gesellschaften wie der unseren bezüglich der islamischen Religion nur wenig Wissen vorhanden, das Schweinefleischverbot ist jedoch weitläufig bekannt. Vielleicht liegt dies daran, dass Speisevorschriften im Alltag besonders sichtbar sind, etwa am Arbeitsplatz oder in der Schule, und dass zudem Schweinefleisch in den hiesigen Ernährungsgewohnheiten allgegenwärtig ist. MuslimInnen wird vor allem die Frage gestellt, was der wirkliche Grund für das Schweinefleischverbot sei – eine Frage, die bis heute von Laien, aber auch islamischen Gelehrten und ExpertInnen nicht eindeutig geklärt werden kann.
Unabhängig von den Gründen für dieses Verbot ist es wichtig, einerseits darauf zu achten, das Tier, also in diesem Fall das Schwein, nicht zu verteufeln und eine Aversion ihm gegenüber zu entwickeln, wie es eine häufig zu beobachtende Praxis unter MuslimInnen ist, und andererseits auch jene zu respektieren, die sich für den Verzehr von Schweinefleisch entscheiden.