Die Drusen - Eine Islamische Richtung?

Artikel 11.12.2023 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit den Drusen und dem Drusentum, einer von der Glaubensrichtung der Ismailiten abgespaltene arabischsprachige Religionsgemeinschaft mit eigenen Initiationsriten. Nach einer allgemeinen Einführung in die Thematik werden die Entstehung des Drusentums und die Bedeutung ihrer Propagandisten erörtert. Im Hauptteil werden die Lehren, Rituale und Organisation der Drusen näher erläutert.


Einführung

Die Drusen (durūz, Sg. darsī/dursī) sind eine streng abgeschlossene, ethnisch-religiöse Sondergemeinschaft im Nahen Osten, die aus dem schiitischen Ismailitentum (al-ismāʿīlīya) im frühen 11. Jahrhundert in Ägypten entstanden ist. Sie leiten ihren Namen vom ismailitischen Propagandisten und Missionar (dāʿī) Muḥammad ibn Ismāʿīl ad-Darzī (gest. 1019) aus Buchara ab.1 Als eigentlicher Begründer des Drusentums gilt allerdings Ḥamza ibn ʿAlī ibn Aḥmad (gest. 1021).2 Zentraler Punkt der drusischen Glaubenslehre ist die grundsätzliche Überzeugung von der Göttlichkeit des sechsten Fatimiden-Kalifen al-Ḥākim (gest. 1021), der im Jahre 1021 in Kairo in die Verborgenheit (ġaiba) entschwunden sein und am Jüngsten Tag (yaum al-qiyāma) zurückkehren soll. Die Drusen sehen in al-Ḥākim die Inkarnation des Schöpfergottes (Allāh), dessen ungeklärtes Verschwinden als große Prüfung von den drusischen Gläubigen empfunden wird.3 Zum kanonischen drusischen Schrifttum gehören übrigens neben dem Koran die Sendschreiben der Weisheit (rasāʾil al-ḥikma), die nach mündlicher Tradition im Zeitraum von 1017 bis 1042 in 24 Büchern niedergeschrieben wurden, von denen aber nur mehr sechs erhalten sind.4 Nichtsdestotrotz ist es in diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen, dass es sich bei den Drusen um eine sogenannte Geheimreligion handelt, da weder detaillierte Einzelheiten und Praktiken der drusischen Religionslehre außerhalb ihrer Gemeinschaft bekannt sind noch eine öffentliche, vollständig kommentierte Ausgabe ihrer heiligen Schriften existiert.5

Entstehung des Drusentums

Ursprünglich war das Drusentum eine Reformbewegung innerhalb des Ismailitentums, das wiederum eine Strömung des schiitischen Islams darstellt.6 Der Gründervater dieser Bewegung war Ḥamza ibn ʿAlī ibn Aḥmad, ein aus dem Ostiran stammender Gelehrter, der in der ismailitisch-fatimidischen Daʿwa tätig war. Im Jahre 1017 verkündete Ḥamza, dass der damalige regierende fatimidische Kalif Abū ʿAlī al-Mansūr ibn al-ʿAzīz, besser bekannt unter dem Herrschernamen al-Ḥākim, die physische Inkarnation des Schöpfergottes auf Erden sei. Zudem lehrte Ḥamza die Abrogation der koranischen Offenbarung (nasḫ) und ihrer schiitisch-ismailitischen Auslegung.7 An deren Stelle trat nun das Bekenntnis zu Gottes Einheit, welches dadurch jegliche gottesdienstliche und kultische Handlungen für überflüssig erklärte.8 In den darauffolgenden Jahren konstruierte Ḥamza eine neue eigene Theologie und löste sich somit fast vollständig von den schiitisch-ismailitischen Doktrinen ab. Er entwickelte die Doktrin der Emanation des kosmischen Einen und der Rückkehr zu ihm durch die menschliche Gnosis. Während die Ismailiten an eine lange Kette von Emanationen glaubten, betonte Ḥamza die Präsenz dieses kosmischen Einen in al-Ḥākim.9 Um seine neu entstandenen Lehren angemessen verbreiten zu können, entsandte Ḥamza mehrere Missionare in verschiedene Orte Ägyptens und ebenso Syriens. Einer dieser Missionare war der weiter oben erwähnte ad-Darāzī, über dessen Lebensgang nicht viel bekannt ist. Seine äußerst eifrige und rege Missionstätigkeit sorgte jedoch dafür, dass die neue Strömung nach ihm benannt und ihre Anhänger als Drusen bezeichnet wurden.10

Es entstand ein regelrechter Kult um den Kalifen al-Ḥākim, der zu dieser Zeit auch der sechzehnte Imam der Ismailiten war und zugleich an der Spitze der religiösen Hierarchie dieser schiitischen Gruppierung stand.11 Im Jahre 1021 verschwand al-Ḥākim plötzlich bei einem seiner obligatorischen, nächtlichen Ausritte spurlos. Sein mysteriöses Verschwinden bestärkte die junge drusische Gemeinschaft noch mehr in ihrem Glauben in seine Göttlichkeit. Al-Ḥākims endgültiges Nichterscheinen in der Öffentlichkeit begünstigte die Missionstätigkeit der drusischen Jünger immens.12 Der bedeutendste Propagandist in dieser Periode war Bahāʾ al-Dīn al-Muqtanā (gest. 1042), der rechtmäßige Stellvertreter Ḥamzas. Al-Muqtanā weitete seine Missionstätigkeiten erheblich aus und sandte eine Vielzahl von Briefen in die verschiedensten ismailitischen Gemeinden in den Irak, Iran und Jemen, nach Saudi-Arabien und Indien. In diesen Mitteilungen legte er seine Lehren dar und gab der Doktrin des Drusentums ihre endgültige Gestalt. Diese Briefe wurden in den Sendschreiben der Weisheit zusammengefasst und dienen bis heute als die wichtigste heilige Schrift der Drusen.13

Al-Ḥākims Nachfolger az-Zāhir (gest. 1036) untersagte die Verbreitung der drusischen Lehre gänzlich und ließ daraufhin ihre AnhängerInnen gewaltsam verfolgen. Auf die Unterdrückung der Unruhen durch lokale und regionale Regenten reagierten die drusischen AnhängerInnen mit einer bewussten Marginalisierung.14 Sie kapselten sich von der Außenwelt ab, zogen sich in diverse entlegene Gebirgsgegenden sowie Täler zurück und stellten auch die Missionsaktivitäten komplett ein. Seit dem Jahr 1043 werden Missionierungen sowie (freiwillige) Konversionen kategorisch abgelehnt. Seit Mitte des 11. Jahrhunderts wurden demnach keine neuen drusischen AnhängerInnen mehr aufgenommen.15 Drusen leben streng endogam, sie heiraten nur innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft. Dies bedeutet, dass man nur als Druse bzw. Drusin geboren werden kann.

Organisation, Lehre und Riten

Im Zentrum des drusischen Glaubens steht – wie auch im sunnitischen Islam – die göttliche Einheit (tauḥīd). Der Stellenwert von tauḥīd zeigt sich besonders dadurch, dass die Drusen ihre eigene Konfession als Lehre der göttlichen Einheit (maḏhab at-tauḥīd) und sich selbst als Bekenner der Einheit Gottes (al-muwaḥḥidūn) bezeichnen.16 Die Glaubenslehre der Drusen weist zudem deutliche schiitische, mystisch-esoterische, zoroastrische, hinduistische und neoplatonische Einflüsse auf. Darüber hinaus spielt die Vorstellung von der Seelenwanderung (taqammuṣ) und weiteren Parallelwelten eine übergeordnete Rolle im Drusentum, was jedoch nicht im Einklang mit den Glaubensprinzipien des klassischen Islams steht.17 Nach drusischer Auffassung ist der Körper nur eine physische Hülle, der die unsterbliche Seele beherbergt. Die Seele eines menschlichen Individuums geht mit dessen Tod umgehend auf ein Neugeborenes über.18 Während dieser Wanderung von Mensch zu Mensch wird die Seele immer wieder in unterschiedlichste Umstände und Herausforderungen wie Armut, Wohlstand, Krieg, Krankheit, Reichtum oder Ähnliches hineingeboren. Jeder drusische Gläubige wird im nachfolgenden Leben für seine bzw. ihre Taten im vorangegangenen Leben auf Erden bestraft oder auch belohnt. Nach drusischer Glaubenslehre soll sich der gläubige Mensch auf Grund dessen mit der Läuterung und Besserung seiner Seele befassen, um schließlich eine höhere Daseinsebene erreichen zu können. Der Glaube an die Reinkarnation lässt dementsprechend auch keine bestimmten Jenseitsvorstellungen zu. Für Drusen hat das Paradies einen rein spirituellen Charakter.19

Die heutigen drusischen AnhängerInnen sind in Eingeweihte bzw. Weise (ʿuqqāl, Sg. ʿāqil) und in Unwissende (ǧuhhāl, Sg. ǧāhil) unterteilt. Jeder erwachsene Druse bzw. jede erwachsene Drusin kann durch ein Initiationsritual (ab dem 18. Lebensjahr) zu einem ʿāqil werden. Er oder sie muss sich dazu umfangreichen und strengen, uns verborgenen, Prüfungen unterziehen und sich an die moralischen und gesellschaftlichen Normen der Gemeinschaft halten sowie die rituellen drusischen Gebete akribisch einhalten.20 Zudem ist ihm bzw. ihr die unter den Drusen häufig praktizierte Blutrache verboten. Die Weisen bzw. Eingeweihten sind die Bewahrer der drusischen Religion und ihrer jahrtausendealten Geheimnisse, die den Unwissenden verborgen bleiben. Sie dienen den unwissenden Mitgliedern ihrer Gemeinschaft zugleich als religiöse und geistige Führer. Obendrein sind die Eingeweihten nach außen hin durch eine spezielle Kleidung erkennbar, die zumeist aus einer weißen, teilweise transparenten Kopfbedeckung und langen schwarzen Gewändern besteht. Außerdem können sich die Eingeweihten durch ihre besondere Frömmigkeit und Gelehrsamkeit als Scheichs (šuyūḫ, Sg. šaiḫ) große Autorität in ihrer Umgebung verschaffen.21 Ein drusischer Scheich lebt im Allgemeinen von Almosen, die er von den Unwissenden erhält. Alle Eingeweihten bzw. Weisen nehmen am Freitagabend an einer rituellen Feier in ihren eigenen Versammlungshäuser (ḫalwāt) teil, in welcher aus den geheimen Büchern der Drusen gelesen und gelehrt wird. Nicht-Initiierte bzw. Unwissende dürfen zwar an diesen religiösen Versammlungen teilnehmen, jedoch ist es ihnen nicht erlaubt, diese Schriften selbst zu lesen.22

Die Drusen heute

Laut mehreren Belegen liegt die Zahl der Drusen weltweit zwischen 800.000 und über einer Million, wobei die überwiegende Mehrheit in der Levante (al-mashriq) lebt. Die meisten von ihnen leben hauptsächlich in Syrien, Libanon, Israel und Jordanien.23 Ihre strenge Endogamie und Abgeschiedenheit sowie die strikte Geheimhaltung ihrer Rituale und Praktiken führten dazu, dass viele inkorrekte, irreführende oder ungenaue Vorstellungen über das Drusentum verbreitet wurden.24 Um der fälschlichen Weitergabe ihrer Lehren entgegenwirken zu können, wurden spezielle Ausbildungsstätten für die drusischen Scheichs eingeführt. Diese hatten zur Folge, dass sich die theologischen Vorstellungen der Drusen ständig weiterentwickelt haben, sodass man heute von einer modernen drusischen Theologie sprechen kann.25 Die gegenwärtigen theologischen Erklärungsversuche des Drusentums bedienen sich vor allem der Methode der mythischen Allegorese26, um die ursprünglichen Glaubenssätze für ein breites Publikum zugänglich und verständlich zu machen. Eine Opposition aufgeschlossener und weltoffener Drusen lebt vor allem in der nordamerikanischen Diaspora. Ihre drusischen Mitglieder wenden sich beispielsweise gegen die Zweiteilung ihrer Gemeinschaft in Eingeweihte und Unwissende. Sie sind der Auffassung, dass auf diese Weise eine eigene Religion innerhalb der eigentlichen Religion entstehe. Gemäß ihren Ansichten führe diese Unterscheidung zu Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Aus diesem Grund plädieren sie für eine Teilnahme aller Gläubigen an allen drusischen Versammlungen und Ritualen.27

Schluss

Wenngleich die Wurzeln des drusischen Glaubens im ismailitischen Islam liegen, sind die Differenzen zum Islam in Praxis sowie Lehre so enorm, dass die Drusen gegenwärtig als eigenständige Religionsgemeinschaft – wie es der Fall in Israel ist – anerkannt werden. Die Lehre des Drusentums gilt dem sunnitischen wie schiitischen Islam gar als häretisch. Drusen gehören dementsprechend auch nicht zu den sogenannten Schriftbesitzern (ahl al-kitāb), weil sie den Koran lediglich allegorisch deuten.28

Vgl. Yves Thoraval: Lexikon der islamischen Kultur, Hamburg: Nikol 2005, S. 102.

Vgl. Rüdiger Lohlker: Islam. Eine Ideengeschichte, Wien: Facultas 2008, S. 141.

Vgl. ebd., S. 142.

4 Vgl. bpb.de: Kleines Islam-Lexikon. Drusen, https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/islam-lexikon/21373/drusen/, abgerufen am 12.12.2022.

5 Vgl. ebd.

6 Vgl. Tobias Lang: Die Drusen in Libanon und Israel. Geschichte, Konflikte und Loyalitäten einer religiösen Gemeinschaft in zwei Staaten, Berlin: Klaus Schwarz 2013, S. 17.

7 Vgl. R. Lohlker, S. 141 f.

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. Adel Theodor Khoury/Ludwig Hagemann/Peter Heine: Islam-Lexikon A - Z. Geschichte - Ideen - Gestalten, Freiburg: Herder 2006, S. 145.

10 Vgl. ebd.

11 Vgl. ebd.

12 Vgl. ebd.

13 Vgl. ebd.

14 Vgl. ebd., S. 146.

15 Vgl. Y. Thoraval 2005, S. 103.

16 Vgl. T. Lang 2013, S. 17 f.

17 Vgl. ebd.

18 Vgl. Peggy Klein: Die Drusen in Israel, Marburg: Tectum 2001, S. 40 f.

19 Vgl. ebd.

20 Vgl. A. Khoury/L. Hagemann/P. Heine 2006, S. 147 f.

21 Vgl. ebd.

22 Vgl. ebd., S. 148.

23 Vgl. M.G.S. Hodgson, M.C. Şehabeddin Tekindaǧ and M. Tayyi̇b Gökbi̇lgi̇n, “Durūz”, in: Encyclopaedia of Islam, Second Edition, Edited by: P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs.

24 Vgl. A. Khoury/L. Hagemann/P. Heine 2006, S. 148.

25 Ebd.

26 Der Terminus Allegorese leitet sich aus dem Griechischen ab und kann mit andere oder auch verschleierte Sprache wortwörtlich übersetzt werden. Als Allegorese wird dementsprechend das Offenlegen von verborgenen Textinhalten bezeichnet.

27 Vgl. A. Khoury/L. Hagemann/P. Heine 2006, S. 148.

28 Vgl. Y. Thoraval 2005, S. 102.

Bryer, David R.W.: »The Origins of the Druze Religion«, in: Der Islam 52 (1975), S. 47-84.

Firro, Kais M.: A History of The Druzes, Leiden: E. J. Brill 1992.

Hodgson, M.G.S., Şehabeddin Tekindaǧ, M.C. and Tayyi̇b Gökbi̇lgi̇n, M., “Durūz”, in: Encyclopaedia of Islam, Second Edition, Edited by: P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs.

Lang, Tobias: Die Drusen in Libanon und Israel. Geschichte, Konflikte und Loyalitäten einer religiösen Gemeinschaft in zwei Staaten, Berlin: Klaus Schwarz 2013.

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