Die Einführung des Buchdrucks in der Islamischen Welt

Artikel 06.11.2023 Redaktionsteam

Der folgende Beitrag befasst sich mit der Einführung des Buchdrucks in der Islamischen Welt und konzentriert sich dabei auf das Osmanische Reich, in dem der Buchdruck lange Zeit verboten war. Es wird zudem auf die ersten gedruckten Koranexemplare und weitere erste Druckwerke eingegangen sowie auf die Frage, welche Auswirkungen die Verzögerung bzw. das anfängliche Verbot des Buchdrucks zur Folge hatten.


Während der europäische Buchdruck, eingeführt durch Johannes Gutenberg (gest. 1468), ab dem frühen 16. Jahrhundert Teil des Alltags in Europa wurde, erreichte er den Nahen Osten erst im 18. Jahrhundert. Die vielen Jahre, die zwischen diesen beiden Ereignissen liegen, markieren den Aufstieg des modernen Europas. Zugleich wird diese Periode als Zeit des Niedergangs in der muslimisch geprägten Welt gesehen – und zwar so lange, bis sie sich nach westlichem Vorbild modernisierte, wozu auch die Einführung des Buchdrucks gehört.1

Das Dilemma um den Buchdruck im Osmanischen Reich

Der Gedanke, den Koran mit der Druckerpresse zu drucken, kam sehr spät auf, denn dieser konnte bekanntlich nur in arabischer Sprache und Schrift wiedergegeben und bis dahin nur mit einem aus einem speziellen Schilf geschnitzten Schreibrohr vervielfältigt werden, welches darüber hinaus als Mittel der göttlichen Offenbarung verstanden wurde. Mit dieser religiösen Begründung untersagte 1483 der damalige osmanische Sultan Bayezid II. (gest. 1512) das Drucken von arabischen Lettern. Zu diesem Zeitpunkt war also das Drucken in Arabisch schlechthin untersagt, es wurde dabei nicht zwischen religiösen und nichtreligiösen Werken unterschieden. Auch der Import und das Handeln von gedruckten Büchern war untersagt. Der Druck in den jeweiligen Sprachen bzw. Schriften von jüdischen, griechischen und anderen Gemeinschaften wurde jedoch betrieben.2 Damit zeichnete sich schon in der Frühzeit des Buchdrucks im Nahen Osten ein Grundmuster ab, das lange Zeit beibehalten wurde:  Minderheiten durften die Typographie nutzen, solange dadurch die islamische Mehrheitskultur nicht betroffen war. Dementsprechend gab es keine weiteren ausdrücklichen Verbote bezüglich des Buchdrucks, wie jenes des Sultan Bayezid II. – jedenfalls sind solche von späteren Sultanen nicht bekannt. Im Gegenteil: Das Verbot des Imports von Büchern wurde schon in den folgenden Jahrzehnten langsam gelockert. Anlass zu einer generellen Regelung war ein Zwischenfall auf dem Büchermarkt von Istanbul; 1688 wurden dort die arabischen, persischen und türkischen Bücher zweier westlicher Kaufleute beschlagnahmt. Der damalige Sultan Murad III. (gest. 1595) traf daraufhin die Entscheidung, dass im Reich mit Büchern gehandelt werden dürfe, soweit die Bestimmungen der islamischen Scharia beachtet würden.3

Erst drei Jahrhunderte nach der Einführung des Buchdrucks durch Gutenberg, nämlich im Jahre 1727, kam es zur Errichtung der ersten Druckerpresse mit arabischen Lettern4, worauf später nochmal eingegangen wird.

Die Reproduktion des Korans

Die Druckerpresse ermöglichte es, im Osmanischen Reich den großen Bedarf an gedruckten Büchern zu decken. Allerdings konnte die Druckerpresse zu jener Zeit noch nicht für den Druck des Korans verwendet werden, weil die Reproduktion des heiligen Buches von Schreibern mit engen Verbindungen zu den Religionsgelehrten (ʿulamāʾ) kontrolliert wurde. Die Schreiber waren über die wirtschaftlichen Auswirkungen der neuen Drucktechnologie besorgt, weil die Einführung der Druckerpresse zum Verlust ihrer Arbeitsstellen und somit ihres Lebensunterhalts führen würde. Zudem zweifelten die Schreiber an der rituellen Reinheit dieser neuen Reproduktionsmethode; der Einsatz schwerer, aus Europa importierter Maschinen, um Korane herzustellen, wurde als respektlos erachtet.

Der Widerstand der Buchkopisten und einiger Religionsgelehrter beeinflusste die staatliche Politik in dieser Frage und verhinderte daher die Mechanisierung der Koran-Reproduktion.5

Davon ist heute nichts mehr zu spüren: MuslimInnen auf der ganzen Welt lesen selbstverständlich gedruckte Ausgaben des Korans im arabischen Original und in Übersetzungen, was eine zentrale Rolle dabei spielt, wie der Koran in der modernen Welt gelesen und verstanden wird.

Gründe für die Abneigung gegenüber dem Buchdruck

Dass die Druckpolitik der osmanischen Sultane von religiösen Gelehrten beeinflusst war, steht außer Zweifel. Das Verbot durch Bayezid II. war vor allem eine präventive Maßnahme, begründet in der Furcht vor zu großen gesellschaftlichen Veränderungen und im Wunsch, an der Tradition festzuhalten, wobei wohl niemand voraussehen konnte, welchen immensen gesellschaftlichen Wandel der Buchdruck in den folgenden Jahrhunderten zur Folge haben würde.

Zudem beanspruchten die osmanischen Sultane seit Selim I. (gest. 1520) die Nachfolge der Kalifen. Damit war zwar zusätzliche religiöse Autorität gegeben, sie hatten aber keine über ihren bisherigen Herrschaftsbereich hinausgehende Entscheidungsbefugnis, auch nicht in religiösen Belangen.  Außerdem sind aus Territorien außerhalb des Osmanischen Reichs keine Druckverbote bekannt, was bedeutet, dass auch, wenn anderswo der Buchdruck nur von den christlichen und jüdischen Minderheiten ausgeübt wurde und nicht von der muslimischen Mehrheit, dies wenig mit der Politik zu tun hatte – eine verzögerte Aufnahme des Buchdrucks lässt sich somit primär mit einer religiös bedingten Ablehnung begründen und nicht mit politischen Faktoren.6

İbrahim Müteferrika und die ersten gedruckten Werke mit muslimischer Autorenschaft

Im Jahre 1727 erlaubte schließlich Sultan Ahmed III. den Buchdruck in arabischen Lettern, nach einer Forderung seitens des osmanischen Gelehrten İbrahim Müteferrika (gest. 1745): dieser legte dem Sultan und den Religionsgelehrten eine Schmähschrift vor und beantragte ein Rechtsgutachten, welches ihn ermächtigten sollte, mit dem Buchdruck in arabischen Lettern zu beginnen.

Das Osmanische Reich wurde zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts von neuen Ideen aufgewühlt; dies hatte vor allem die alarmierende Häufigkeit militärischer Rückschläge in den letzten Jahren hervorgerufen. Die osmanische Wirtschaft befand sich in einem kontinuierlichen Prozess des Abschwungs und die Bevölkerung begann sich für Europa und insbesondere für Frankreich zu interessieren. Die Übersetzungsarbeit nahm zu und diese wurde durch die Neuerung der Druckerpresse um einiges erleichtert.7

Das erste gedruckte Werk namens „Vânkulı Lügatı“, war ein arabisch-türkisches Wörterbuch und erschien Anfang des Jahres 1729. Dies galt als ein historisches Ereignis, denn es war die erste derartige Veröffentlichung aus der islamischen Welt. In İbrahim Müteferrikas Veröffentlichungen liegt der Schwerpunkt auf der Nützlichkeit. Ihm ging es vor allem darum, die militärische Macht des Reiches auf den neuesten Stand zu bringen und mit den europäischen Fortschritten in Bildung und Technik, insbesondere in der Geographie, gleichzuziehen.8

Hatte die Verzögerung des Buchdrucks eine Rückständigkeit der islamischen Welt zur Folge?

Lange Zeit war es der Buchdruck, der die europäische Gesellschaft von ihrem traditionellen Widersacher, dem Osmanischen Reich, unterschied. Hierzu gibt es zwei Meinungen: die erste besteht darin, die Idee des Buchdrucks als Mittel für den Wandel aus dem Kontext herauszulösen, die zweite Meinung möchte zweifellos bestätigen, dass sich die frühneuzeitliche islamische Welt im Vergleich zu Europa in einem Zustand des Abschwungs befand. Von wenigen Ausnahmen abgesehen führte dieses Denken in der Buchgeschichte des Nahen Ostens dazu, die islamische Welt in das Zeitalter des Manuskripts und des Buchdrucks einzuteilen. Dies bedeutet, dass die Entscheidung, wie wir die Vergangenheit einteilen und wer als moderner oder rückständiger wirkt, der Technologie überlassen wird.9 Fakt ist: Die wichtigsten Vermittler bei der öffentlichen Verbreitung von Wissen sind die Massenmedien, weswegen die Bedeutung des Drucks so groß ist. Und da es in der Islamischen Welt zu einer verzögerten Aufnahme des Buchdrucks kam, kann dies sehr wohl als ein Grund für eine gewisse technische Rückständigkeit angesehen werden.

Fazit

Der Druck von arabischen Lettern wurde im Osmanischen Reich unter Sultan Bayezid II. verboten. Dabei war es auch untersagt, nichtreligiöse Werke in Arabisch drucken zu lassen, geschweige denn religiöse Bücher oder den Koran. Man fürchtete sich vor zu großen gesellschaftlichen Veränderungen und wollte an der eigenen Tradition des Manuskripts festhalten. Mit der Zeit lockerte sich jedoch das Verbot aufgrund einer Forderung von İbrahim Müteferrika an den Sultan und die Religionsgelehrten. Dies führte 1727 zur Erlaubnis durch Sultan Ahmed III., nichtreligiöse Werke drucken zu lassen. Fortan begannen man im Osmanischen Reich, Werke zu unterschiedlichen Themen zu drucken, mit dem Ziel, dem europäischen Niveau nahe zu kommen. Die Islamische Welt wurde jedoch aufgrund ihrer verzögerten Aufnahme des Buchdrucks technisch gesehen als rückständiger im Vergleich mit Europa eingestuft.

Heute ist ein Leben ohne Buchdruck nicht mehr vorstellbar, auch in der islamischen Welt. Mittlerweile werden religiöse Werke, Übersetzungen des Korans und der Koran selbst gedruckt – handgeschriebene Manuskripte gehören der Vergangenheit an.

Vgl. Kathryn A. Schwartz: »Book history, print, and the Middle East«, in: History Compass 15 (2017), e12434, hier 1.

2 Vgl. William J. Watson: »İbrāhīm Müteferriḳa and Turkish Incunabula«, in: Journal of the American Oriental Society 88 (1968), S. 435, hier S. 436.

3 Vgl. Michael Mitterauer: »Schreibrohr und Druckerpresse. Transferprobleme einer Kommunikationstechnologie«, in: Friedrich Edelmayer (Hg.), Plus ultra. Die Welt der Neuzeit. Festschrift für Alfred Kohler zum 65. Geburtstag, Aschendorff, Münster 2008, S. 383-406, hier S. 386-387.

4 Vgl. W. J. Watson: İbrāhīm Müteferriḳa and Turkish Incunabula, S. 346.

5 Vgl. M. B. Wilson: Translating the Qurʾan in an age of nationalism. Print culture and modern Islam in Turkey (= Qur'anic studies series, Band 11), Oxford: Oxford Univ. Press 2014, S. 30.

6 Vgl. M. Mitterauer: Schreibrohr und Druckerpresse, S. 387-388.

7 Vgl. W. J. Watson: İbrāhīm Müteferriḳa and Turkish Incunabula, S. 435.

8 Vgl. ebd., S. 436-439.

9 Vgl. K. A. Schwartz: Book history, print, and the Middle East, 4.

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