Wissenschaft und Kunst im Osmanischen Reich – Drei Persönlichkeiten aus drei Jahrhunderten

Artikel 16.08.2022 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel handelt von muslimischen WissenschaftlerInnen im ehemaligen Osmanischen Reich. Es werden drei muslimische Persönlichkeiten porträtiert, die bedeutende Errungenschaften während des Osmanischen Reiches hervorbrachten.


Das Osmanische Imperium hatte als islamisch geprägtes Reich der Herrscherdynastie der Osmanen während des Zeitraumes von ca. 1300 bis 1922 n. Chr. Bestand. Das Großreich wurde in Nordwest-Anatolien in der Kleinstadt Söğüt von dem turkmenischen Stammesführer Osman I. (gest. 1323/4) gegründet.1 Während seines Bestehens erstreckte sich das Reich von Südosteuropa, dem Nahen Osten und Nordafrika bis nach Westasien. Im Jahre 1453 wurde Konstantinopel unter der Führung des siebten osmanischen Sultans Mehmed II. (gest. 1481) erobert und später in İstanbul umbenannt.2 Istanbul war von nun an das politische, soziale wie kulturelle Zentrum des Osmanischen Reiches, dessen gesellschaftlicher wie finanzieller Höhepunkt in die Herrschaftszeit des zehnten Sultans Süleyman I. (gest. 1566) fällt. Zudem wurde es die vorherrschende Großmacht in Europa. Zu jener Zeit florierte die osmanische Kunst, besonders in den Bereichen Kalligraphie, Malerei, Musik und Poesie, aber auch in anderen akademischen Bereichen, wie der Mathematik, Chemie, Astronomie und Philosophie, fanden zahlreiche bahnbrechende Entwicklungen statt.3

In diesem Beitrag werden nun drei bedeutende muslimische WissenschaftlerInnen des Osmanischen Reiches näher erörtert, deren Erbe bis dato spürbar ist: Piri Reis (gest. 1554), Osman Hamdi Bey (gest. 1842) und Safiye Ali (gest. 1952).

Piri Reis (gest. 1554)

Piri Reis (arab. Pīrī Reʾīs b. Ḥāǧǧī Meḥmed) war ein Seefahrer und Kartograph, der im Laufe seines Lebens zum Admiral der osmanischen Flotte aufstieg. Sein ursprünglicher Geburtsname lautete Piri Muhiddin b. Haci Mehmed.4 Er fiel jedoch unter dem osmanischen Titel des Admirals, Reis (arab. reʾīs), auf, mit dem er zumeist benannt und angesprochen wurde. Piri Reis wurde 1470 in der türkischen Hafenstadt Gelibolu in Thrakien geboren.5 Sein Onkel mütterlicherseits war der berühmt-berüchtigte osmanische Korsar, Seemann und Kartograph Kemal Reis (gest. 1511).6 Durch Kemals Antritt in der osmanischen Flotte im Jahre 1495 erlangte er ebenfalls den Titel des Reis. In einer Seeschlacht vor der Küste von Valencia soll Kemal mehrere spanische Flotten und eine bedeutende Seekarte von Christoph Kolumbus (gest. 1506) errungen haben, welche Piri Reis laut diversen HistorikerInnen zur Erstellung seiner Weltkarte zu Hilfe zog.7 Nach Kemals Ableben auf der griechischen Insel Naxos kehrte Piri Reis in seinen Heimatort zurück und begann mit der Verschriftlichung seines Segelhandbuchs Kitab-ı Bahriye (arab. kitāb al-baḥrīya), eines der zu jener Zeit berühmtesten kartografischen Werke. Die Entstehung des Seehandbuchs wurde auf den ersten Monat Muḥarram im islamischen Kalender des Jahres 1513 datiert. Das Kitab-ı Bahriye bestand aus zwei Abschnitten: Der erste Teil beinhaltete Informationen über die unterschiedlichen Arten von Stürmen, verschiedene Techniken bei der Benutzung eines Kompasses, Methoden zur Navigation anhand der Himmelskörper sowie Darstellungen der Ozeane und der sie umgebenden Länder.8 Der zweite Teil bestand ausschließlich aus Portolankarten und Handbüchern für Seefahrer. In diesem Segelhandbuch befand sich auch die Seekarte des Zentralatlantiks, durch die Piri Reis zu weltweiter Berühmtheit gelangte, obwohl er selber nie in diese Gegend gesegelt ist.9 Die fragmentarisch überlieferte Karte des Piri Reis ist die älteste, uns bis heute erhaltene Seekarte, die den Doppelkontinent Amerika zeigt. Die auf Pergament gezeichnete Karte des Piri Reis ist von vielen Rätseln und Mythen umgeben, insbesondere was die Quellen der in ihr enthaltenen Informationen angeht. Sie zeigt Erdteile vom Weltraum aus an, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht entdeckt waren.

HistorikerInnen und ForscherInnen sind der Ansicht, dass auf der Karte des Piri Reis Umrisse der antarktischen Küstenlinie zu erkennen sind, wie sie gegenwärtig nicht mehr zu sehen sind, weil sie nun unter einer Eisschicht verborgen verläuft. Die Karte des Piri Reis stellt zudem den Küstenverlauf Südamerikas bis weit nach Süden, einschließlich der Unterläufe der Flüsse, detailreich und äußerst korrekt dar, etliche Jahre bevor der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan (gest. 1521) in dieses Areal vorstieß.10 Die Seekarte zeigt nicht nur die Umrisse der Kontinente an, sondern auch die Topographie im Inneren jener Länder.11 Laut Piri Reis basierte diese Weltkarte auf mindestens 20 See- und Weltkarten und mittelalterlichen mappae mundi, einige von ihnen sollen sogar aus dem 2. Jh. n. Chr. stammen.12 Demzufolge führte Piri Reis die damaligen Erkenntnisse der Spanier, Portugiesen, Griechen, Italiener, Türken und Araber aus vielen Epochen der Menschheit in die von ihm konstruierte Weltkarte zusammen. Des Weiteren sieht der türkische Orientalist und Islamwissenschaftler Fuat Sezgin (gest. 2018) in der Karte des Piri Reis ein wichtiges Indiz dafür, dass muslimische Seefahrer schon vor Kolumbus gezielt den Atlantik überquerten.13 Die Weltkarte enthält gleichzeitig aber auch Fehler und Ungenauigkeiten, die aus den verschiedenen Quellen womöglich direkt übernommen wurden. Nichtsdestotrotz ist die Karte des Piri Reis eine besondere kartografische Meisterleistung, welche in der Blütezeit des Osmanischen Reiches angefertigt wurde. Sie wurde 2017 in das Verzeichnis des Weltdokumentenerbes der UNESCO aufgenommen und befindet sich im Topkapi-Palast in Istanbul unter Verschluss.14

Osman Hamdi Bey

Osman Hamdi Bey (arab. ʿOṯmān Ḥamdī) kam im Jahre 1842 als ältester Sohn des aus Chios stammenden Großwesirs Ibrahim Edhem Pascha (gest. 1893) – einem Politiker und Mineralingenieur mit westlicher Bildung – in Istanbul auf die Welt.15 Er gilt als Begründer der modernen türkischen Malerei und zugleich als erster türkischer Maler, der sich erfolgreich dem westlichen Malstil anpasste.16 Sein ausgeprägtes Interesse an der bildenden Kunst kristallisierte sich bereits früh in seiner Jugend heraus. Osman wurde 1860 von seinem Vater Ibrahim nach Frankreich zum Jura-Studium gesandt, das er jedoch auf Eis legte, um sich vollends der Malerei widmen zu können.17 Ausgebildet wurde er von den französischen Malern Jean-Léon Gérôme (gest. 1904) und Gustave Boulanger (gest. 1888) sowie dem italienischen Hofmaler Fausto Zonaro (gest. 1929). Von seinen Lehrmeistern eignete er sich neue Kenntnisse der klassischen Antike an und übernahm zugleich ihre Vorliebe für orientalische Motive in der Kunst.18 Im Jahre 1867 wurden drei Werke Hamdi Beys auf der Pariser Weltausstellung gezeigt. Diese Gemälde brachten ihm den Ruhm als eine bedeutende kulturelle Integrationsfigur des Osmanischen Reiches ein und wurden zugleich mit mehreren Medaillen ausgezeichnet. Nach seiner Rückkehr in seine Heimat wurde er für diverse diplomatische Dienste in die damalige osmanische Provinz Bagdad entsandt, wo er erstmals an Ausgrabungen teilnahm.19 Als Ausgrabungsleiter einer archäologischen Expedition in der libanesischen Küstenstadt Sidon entdeckte er mitsamt türkischer Arbeitsgruppen wertvolle Sarkophage – darunter auch der Alexander-Sarkophag –, die bis heute von großer Bedeutung sind.20 Im Jahre 1881 wurde Osman Hamdi vom osmanischen Sultan Abdülhamid II. (gest. 1918) zum Direktor des zentralen archäologischen Museums namens Museum des Imperiums (türk. Müze-i Hümâyun) ernannt. Kurz darauf eröffnete Osman Hamdi Bey das Institut für Schöne Künste (türk. Sanâyi-i Nefîse Mektebi), das als erste türkische Institution die Kunst der modernen Malerei lehrte.21 Im Gegensatz zu den teilweise negativ geprägten, orientalistischen Motiven westlicher KünstlerInnen bildete Osman Hamdi Bey die Kultur und den Alltag der Menschen im Osmanischen Reich stets respektvoll und möglichst realitätsgetreu ab, wenn er etwa beispielsweise Szenen des Gebets oder des Musizierens darstellen wollte.22 Sein wohl berühmtestes Gemälde ist Der Schildkröten-Trainer, das für mehrere Millionen US-Dollar versteigert und im Pera-Museum in Istanbul ausgestellt wurde. Osman Hamdi Bey gilt bis heute aufgrund seiner künstlerischen Vielfalt in der Adaption verschiedenster Elemente aus den persischen, arabischen und europäischen Stilen als Brückenbauer zwischen dem Orient und Okzident.23

Safiye Ali

Safiye Ali war die erste türkische Frau, die eine Lizenz als Ärztin erhielt.24 Berühmt wurde sie durch die Tatsache, dass sie als erste weibliche Dozentin in der Türkei aus dem Bereich der Medizin in die Geschichte einging. Safiye Ali wurde am 2. Februar 1894 im heutigen Istanbul als Tochter von Ali Kirat Pascha (gest. 1903), einem persönlichen Gehilfen der osmanischen Sultane Abdülaziz (gest. 1876) und Abdülhamid II. (gest. 1918), und Emine Hasene Hanim (gest. 1942) geboren.25 Während ihrer Ausbildung am privaten American College for Girls in Istanbul verfestigte sich auch ihr Bestreben Ärztin zu werden. Sie ging 1916 mit einem Staatsstipendium nach Deutschland, um an der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg Medizin zu studieren. Neben ihren diversen Vorlesungen, Seminaren und Praktika im Hauptstudium besuchte sie in ihrer Freizeit außerdem Vorlesungen in Philosophie und Geschichte und half deutschen ÄrztInnen in Spitälern aus. Zu ihren DozentInnen zählten bekannte Persönlichkeiten wie der Nobelpreisträger für Physik Wilhelm Wien (gest. 1928) oder der Psychologe Karl Marbe (gest. 1953). Im Jahr 1921 erhielt sie anschließend ihren Doktortitel mit ihrer Dissertation Über Pachymeningitis haemorrhagica interna im Säuglingsalter.26 Nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums mit Bestleistungen kehrte sie nach Istanbul zurück, wo sie 1923 als erste Frau eine Praxis für Gynäkologie und Pädiatrie eröffnete. Neben ihrer Ausübung als behandelnde Kinderärztin, Gynäkologin und Dozentin leitete sie zahlreiche ehrenamtliche Wohltätigkeitsorganisationen, die sich für die Ausbildung und medizinische Versorgung von Müttern und Kleinkindern engagierten.27 Darüber hinaus setzte sie sich für Frauenrechte in der modernen Türkei ein, verfasste mehrere wissenschaftliche Fachbücher und war auf internationaler Ebene an medizinischen Kongressen als Vertreterin der Türkei aktiv.28 Safiye Ali kehrte nach ihrer Krebsdiagnose nach Deutschland zurück und verstarb dort am 5. Juli 1952 im Alter von 58 Jahren. Aufgrund ihrer wegbereitenden, bahnbrechenden Leistungen und Vorreiterrolle für Frauen in der Medizin weltweit wurde Safiye Ali anlässlich ihres 127. Geburtstags von der Suchmaschine Google mit einem eigenen Doodle geehrt.29

1 Vgl. Caroline Finkel: Osman's Dream. The Story of the Ottoman Empire 1300-1923, London: John Murray 2005.

2 Vgl. superprof.at: Das Osmanische Reich, eine fast vergessene Dynastie, https://www.superprof.at/blog/osmanische-reich/, abgerufen am 11.06.2022.

3 Vgl. ebd.

4 Vgl. islamansiklopedisi.org.tr: Pîrî Reis, https://islamansiklopedisi.org.tr/piri-reis, abgerufen am 12.06.2022.

5 Vgl. ebd.

6 Vgl. ebd.

7 Vgl. Peter Hertel/Gisela Klügel-Hertel: Ungelöste Rätsel alter Erdkarten, Leipzig: VEB Hermann Haack 1998, S. 25.

8 Vgl. Dimitris Loupis: »Piri Reis' Book on Navigation (Kitab-i Bahriyye) as a Geography Handbook«, in: Tetradia Ergasias, 25/26 (2004), S. 35-49, hier S. 39 f.

9 Vgl. Jerry Brotton: Trading Territories. Mapping the Early Modern World, London: Reaction Books 1997, S. 108.

10 Vgl. saeti.org: Die Karte des Piri Reis. Eine Satellitenaufnahme aus der Steinzeit?, https://www.saeti.org/Die_Karte_des_Piri_Reis.htm, abgerufen am 15.06.2022.

11 Vgl. ebd.

12 Vgl. ebd.

13 Vgl. Susanne Billig: Die Karte des Piri Re'is. Das vergessene Wissen der Araber und die Entdeckung Amerikas, München: C. H. Beck 2017.

14 Vgl. unesco.org: The Piri Reis World Map (1513), https://en.unesco.org/memoryoftheworld/registry/519, abgerufen am 15.06.2022.

15 Vgl. E. Kuran, “Ibrāhīm Edhem Pas̲h̲a”, in: Encyclopaedia of Islam, Second Edition, Edited by: P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs.

16 Vgl. dorotheum.com: Osman Hamdi Bey, https://www.dorotheum.com/de/k/osman-hamdy-bey/#6408824, abgerufen am 18.06.2022.

17 Vgl. ebd.

18 Vgl. P. Soucek, P, “ʿOt̲h̲mān Ḥamdī”, in: Encyclopaedia of Islam, Second Edition, Edited by: P. Bearman, Th. Bianquis, C. E. Bosworth, E. van Donzel, W. P. Heinrichs.

19 Vgl. ebd.

20 Vgl. ebd.

21 Vgl. ebd.

22 Vgl. meisterdrucke.at: Osman Hamdi Bey, https://www.meisterdrucke.at/k%C3%BCnstler/Osman-Hamdi-Bey.html, abgerufen am 10.06.2022.

23 Vgl. ebd.

24 Vgl. uni-wuerzburg.de: Eine Vorreiterin für Frauen in der Medizin, https://www.uni-wuerzburg.de/aktuelles/einblick/single/news/eine-vorreiterin-fuer-frauen-in-der-medizin/, abgerufen am 18.06.2022.

25 Vgl. ebd.

26 Vgl. ebd.

27 Vgl. ebd.

28 Vgl. Elife Biçer-Deveci: »Die osmanisch-türkische Frauenbewegung im Kontext internationaler Frauenorganisationen. Eine Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte von 1895 bis 1935«, in: Stephan Conermann/Sevgi Ağcagül/Gül Şen (Hg.), Ottoman Studies/Osmanistische Studien, Göttingen: V&R unipress 2017.

29 Vgl. welt.de: Ein Doodle zu Ehren von Safiye Ali, https://www.welt.de/vermischtes/article225500625/Safiye-Ali-Ein-Google-Doodle-zu-Ehren-der-Aerztin.html, abgerufen am 18.06.2022.

Billig, Susanne: Die Karte des Piri Re'is. Das vergessene Wissen der Araber und die Entdeckung Amerikas, München: C. H. Beck 2017.

Ihsanoglu, Ekmeleddin: Science, Technology and Learning in the Ottoman Empire. Western Influence, Local Institutions, and the Transfer of Knowledge, London: Routledge 2004.

Inalcik, Halil: The Ottoman Empire. The Classical Age 1300-1600, London: Weidenfeld & Nicolson 2000.

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