Eheschließungen zwischen Tradition und Religion
Einleitung
Die Ehe ist ein zentraler Bestandteil im Leben von MuslimInnen. Als ein Vertrag ist sie in erster Linie eine Angelegenheit des Islamischen Rechts (fiqh), welche weder ausschließlich den rituellen Handlungen (ʿibādāt) noch den Normen zwischenmenschlicher Beziehungen (muʿāmalāt) zuzuordnen ist. Vielmehr lässt sich die Ehe zwischen diesen beiden Bereichen verorten bzw. hat sie an beiden gewissermaßen Anteil.1 Zahlreiche Koranverse und Prophetenüberlieferungen behandeln die Rechte und Pflichten bei der Eheschließung, während der Ehe sowie im Falle der Eheauflösung. So lassen sich in den Hadithsammlungen ganze Kapitel finden, die ausschließlich die Ehe thematisieren, wie beispielsweise bei Al-Buḫārīs Sammlung der authentischen Hadithe. Im vorliegenden Beitrag wird ausschließlich die Eheschließung thematisiert.
Zwangsverheiratungen
Ein zentrales Anliegen, das aktuell im Kontext des Themas Eheschließung behandelt wird, ist die Zwangsheirat. Aufgrund verschiedener kulturell geprägter Praktiken unter muslimischen Gruppierungen und verschiedenen Medienberichten wird immer häufiger angenommen, Zwangsheirat unter MuslimInnen wäre religiös bedingt. Dies gilt es zu hinterfragen.
Im Koran wird dieses Thema nicht direkt aufgegriffen. Allerdings lässt sich aus folgendem Koranvers ein möglicher Ansatz ableiten:
„Und unter seinen Wundern ist dies: Er erschafft für euch Partnerwesen aus eurer eigenen Art, auf daß ihr ihnen zuneigen möget, und Er ruft Liebe und Zärtlichkeit zwischen euch hervor: hierin, siehe, sind fürwahr Botschaften für Leute, die denken!“2
Der arabische Begriff, der in diesem Vers für „Liebe“ verwendet wird, ist „mawadda“. Dieser kommt ausschließlich dann zum Einsatz, wenn die Liebe zwischen zwei Eheleuten thematisiert wird – bei jeglichen anderen Arten der zwischenmenschlichen Liebe wird hingegen „hubb“ verwendet.3 Dieser sprachlichen Besonderheit lässt sich die Relevanz der Liebe (zumindest in Form von Zuneigung) zwischen den Ehepartnern entnehmen, was bei einer Zwangsverheiratung nicht zu erwarten ist. In diesem Vers werden auch keine hierarchischen Strukturen zwischen den Ehepartnern aufgestellt, da sich Liebe auf beide bezieht und nicht ausschließlich auf eine Person. Für „Zärtlichkeit“ hingegen verwendet der Koran den Begriff „raḥma“, welcher auch als „Barmherzigkeit“ verwendet werden kann. Diese Emotionen gründen auf Vertrauen, Intimität und Wohlergehen – was eher unwahrscheinlich zu erreichen ist, wenn man die Person kaum kennt oder sie nicht heiraten möchte.4
Somit lässt sich feststellen, dass Zwangsverheiratung keine koranische Grundlage aufweist – eher im Gegenteil. Der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak führt unterschiedliche kulturell geprägte Gründe für die Zwangsverheiratung an. So spielen beispielsweise wirtschaftliche und soziale Komponenten eine entscheidende Rolle, wenn es dazu kommt, dass Menschen gegen ihren Willen verheiratet werden. Denn eine Heirat kann einen sozialen Auf- oder Abstieg nach sich ziehen, abhängig davon, in welche gesellschaftliche Schicht die Person verheiratet wird. Doch auch religiöse Elemente können Grund für eine Zwangsverheiratung sein, wenn es gilt, eine/n Partner/in mit derselben oder einer ähnlichen religiösen Verortung zu finden, damit die eigene Religiosität (resp. jene der Familie) weiterhin ausgelebt werden kann.5
In diesem Kontext muss auch die Frage nach den legitimen EheparterInnen gestellt werden. In einem längeren Vers legt der Koran eindeutig fest, in Bezug auf welche zwischenmenschlichen Beziehungen Eheverbote bestehen. Diese sind folgende: ehemalige Gattinnen des Vaters, Mütter, Töchter, Schwestern, Tanten (sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits), Nichten, Schwiegermütter, Stieftöchter, Gattinnen des Sohnes, bereits verheiratete Frauen.6 Zusätzlich gilt, dass aus einer Milchverwandtschaft dieselben Eheverbote abzuleiten sind wie aus einer Blutsverwandtschaft.
Hochzeitsbräuche und Hochzeitsfeste
Hochzeiten werden je nach Kultur und Region unterschiedlich gefeiert. Dabei sind die meisten Bräuche kulturellen Ursprungs, dennoch werden viele von ihnen als religiös begründet dargestellt.
So ist es in manchen Kulturkreisen üblich, dass die Brautgabe der Frau ihrer Familie übergeben wird, um beispielsweise die Kosten für die Hochzeit abzudecken, wie es schon in der vorislamischen Zeit der Fall war.7 Dies findet allerdings keine Legitimation im Islam, zumal die Brautgabe der Braut selbst zusteht. Dazu sind unterschiedliche Koranverse anzuführen, unter anderem folgender:
„Und gebt den Frauen ihre Ehegaben im Geist eines Geschenks; aber wenn sie aus eigenem Antrieb euch etwas davon erlassen, dann genießt es mit Vergnügen und guten Mutes.“8
Weiters gibt es am Tag der Hochzeit, insbesondere während und nach der Brautabholung, unterschiedliche Traditionen, die auf den ersten Blick einen islamischen Charakter aufweisen könnten. Dazu gehört der Brauch, der Braut beim erstmaligen Betreten des Hauses des Ehemannes in die eine Hand den Koran und die andere Brot zu überreichen. Dies soll für ein gottergebenes und gesegnetes Eheleben sorgen bzw. symbolisiert die Hoffnung darauf. Dafür lassen sich allerdings keinerlei theologische Grundlagen finden.
Die finanzielle Komponente mag ein Grund sein, wenn sich Männer und Frauen als nicht bereit für eine Eheschließung fühlen. Denn in vielen Kulturen hängen Hochzeiten mit immensen Kosten zusammen – für das Fest, die Mitgift und Brautgabe für die Frau und vieles mehr. Muslimische Männer sind unter Umständen von einer zu hoch angesetzten, für sie nicht leistbaren Brautgabe betroffen. Doch auch bei Frauen gibt es in zahlreichen islamisch geprägten Kulturen die Tradition einer Aussteuer. Darunter werden Geschenke verstanden, die von der Familie der Braut entrichtet werden und welche der Frau im neuen Hause nützlich sein könnten. Doch im Koran heißt es:
„Und (ihr solltet) die Alleinstehenden unter euch verheiraten wie auch solche eurer männlichen und weiblichen Sklaven, die (zum Heiraten) geeignet sind. Wenn sie (die ihr zu verheiraten beabsichtigt,) arm sind, (soll dies euch nicht abhalten;) Gott wird ihnen aus Seiner Huld hinreichendes Auskommen gewähren – denn Gott ist unendlich (in Seiner Barmherzigkeit), allwissend.“9
Auch im Leben des Propheten Muhammad lassen sich Zeremonien anlässlich von Hochzeiten vorfinden, allerdings hauptsächlich in dem Sinne, dass Speisen für Familien und Freunde ausgegeben wurden. In einem Hadith heißt es: „Der Prophet (ﷺ) gab anlässlich seiner Heirat mit Zainab ein Hochzeitsmahl und versorgte die Muslime mit einem guten Essen. […]“10 Hochzeitsfeste mit übermäßiger Verschwendung und unzähligen Riten haben demnach keine islamische Grundlage, selbst wenn einige als islamisch wahrgenommene Elemente festzustellen sind – wie beispielsweise das Tragen des Korans.
Abschließend ist noch anzumerken, dass einige TheologInnen die Meinung vertreten, dass eine Ehe nicht gültig ist, welche ausschließlich in der Moschee oder durch einen Imam durchgeführt worden ist, dabei jedoch keine juristische Grundlage in dem jeweiligen Staat, in dem man lebt, hat. Aus diesem Grund sollte die standesamtliche Trauung eine Voraussetzung für die islamische Trauung darstellen, die nichts mehr als eine „Segnung“11 sei.