Islamischer Religionsunterricht

Artikel 02.07.2018 Redaktionsteam

Durch das Islamgesetz von 1912 wurde den Musliminnen und Muslimen in Österreich eine rechtliche Grundlage gegeben, ihre Religion frei auszuüben und eine Religionsgemeinschaft zu gründen, die ihre Interessen in Österreich nach außen vertritt. Zu dieser rechtlichen Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften gehört auch die Erteilung des islamischen Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen. Als wichtige Schnittstelle zwischen der Religionsgemeinschaft und dem Staat genießt der Religionsunterricht eine besondere Bedeutung. Dieser Beitrag blickt aus verschiedenen Perspektiven auf den islamischen Religionsunterricht.


Rechtliche Verankerung

Mit dem Inkrafttreten des Islamgesetzes von 1912 wurde der Islam als Religionsgesellschaft, im Sinne des Art. 15 des Staatsgrundgesetzes1 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, staatlich anerkannt. Zuerst wurde dieses Gesetz nur auf die Anhängerinnen und Anhänger des hanefitischen2 Ritus beschränkt, weil die Donaumonarchie 1908 Bosnien und Herzegowina annektiert hatte und dort größtenteils Gläubige dieser Ausrichtung des Islams lebten. Diese Beschränkung wurde 1988 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben und 1992 auf alle Rechtsschulen ausgeweitet. 20153 wurde das Islamgesetz erneuert, womit die Rechte und Pflichten der Musliminnen und Muslime in Österreich neu reguliert wurden.  

Das Islamgesetz von 1912 war auch der Ausgangspunkt für die Gründung einer eigenen konfessionellen Vertretung für Angehörige des muslimischen Glaubens in Österreich. Diese wurde schließlich 1979 als islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, kurz IGGÖ4, gegründet.

Mit der staatlichen Anerkennung als Religionsgesellschaft ist u.a. das Recht verbunden, den eigenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen anzubieten. Jede Religionsgesellschaft ist folglich für den eigenen Religionsunterricht zuständig. Der islamische Religionsunterricht wird durch das Schulamt der IGGÖ über die Fachinspektorinnen und Fachinspektoren koordiniert und wurde das erste Mal im Schuljahr 1982/83 abgehalten.5 Die Lehrpläne für den islamischen Religionsunterricht werden von der IGGÖ erlassen und sind im §2 Abs. (2) des Religionsunterrichtsgesetzes6 verankert. Darin gibt es genaue Bestimmungen, wie der Religionsunterricht für die jeweiligen Schulstufen und Schultypen gestaltet werden soll: Der islamische RU hat neben seiner Kernaufgabe, den SchülerInnen das islamische Glaubensgut zu vermitteln, fest gesetzte Ziele. Den Lehrplänen zufolge, sind die Inhalte des Religionsunterrichts authentisch aus den islamischen Quellen heraus zu begründen und auf Österreich und die österreichische Gesellschaft zu beziehen. Die IGGÖ gibt an, dass der islamische Religionsunterricht ein ganzheitlicher Unterricht sein soll, das heißt, dass sowohl Körper, Seele als auch Geist gleichermaßen angesprochen werden und die ReligionslehrerInnen den Unterricht so vorbereiten sollen, dass die SchülerInnen ein ganzheitliches Verständnis für ihre Religion entwickeln.7 Die Lehrkräfte haben die Aufgabe, die jeweiligen Themen der Lebenswelt der SchülerInnen anzupassen und darauf zu achten, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse und die sozialen und kognitiven Kompetenzen der SchülerInnen im Unterricht mitberücksichtigt werden.8 Der islamische Religionsunterricht soll laut den Lehrplänen der IGGÖ, geschlechtergerecht gestaltet werden.9 Traditionelle Rollenzuschreibungen aus religiöser Sicht, sollen besprochen und kritisch durchleuchtet werden. Der Unterricht soll die SchülerInnen zum kritischen Denken und Handeln befähigen. Als heranwachsende Mitglieder der Gesellschaft sollen sie durch Diskussionen die Fähigkeit erwerben, Inhalte anhand von islamischen Quellen – vornehmlich Koran und Hadith – zu begründen, um sich anhand von Argumenten mit den MitschülerInnen auszutauschen.10

Die SchülerInnen sollen dazu befähigt werden, einen eigenen Standpunkt einzunehmen und gleichzeitig den Standpunkt Andersgläubiger oder anderer Weltanschauungen zu akzeptieren und respektieren. Es wird besonders hervorgehoben, dass die SchülerInnen sich mit der eigenen Herkunft und ihrer muslimischen und österreichischen Identität auseinandersetzen und in einer pluralistischen Gesellschaft Toleranz und Unvoreingenommenheit gegenüber anderen entwickeln sollen.11

Demnach ist das wichtigste Ziel, die Herausbildung einer Identität, die Österreich als Heimat und den Islam als persönliches Glaubensbekenntnis anerkennt, so die IGGÖ. Bei der praktischen Umsetzung dieser Ziele fanden und finden sich immer wieder Herausforderungen und Probleme. Carla Baghajati, Medienreferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft, berichtet beispielsweise, dass es gerade in den Anfängen des islamischen Religionsunterrichts Startschwierigkeiten, vor allem seitens der Eltern, gab. Diese hätten von vorn herein eine gewisse Erwartungshaltung gehabt, wie der Religionsunterricht auszusehen hätte. Durch den Einfluss der Herkunftsländer, wo es üblich wäre, im Religionsunterricht Koranverse auswendig zu lernen, beharrten Eltern darauf, diesen Unterrichtsstil für ihre Kinder beizubehalten. Andere wiederrum wären der Ansicht gewesen, dass es sinnvoll wäre, ihren Kindern etwas über ihre ursprüngliche Heimat beizubringen und am allerliebsten wäre ihnen ein Religionsunterricht in der eigenen Muttersprache gewesen, so Baghajati.12

Eine weitere Hürde, die bewältigt werden musste, war die Ausbildung von ReligionslehrerInnen. Anfangs sei es sehr schwierig gewesen kompetentes Lehrpersonal zu finden, schreibt sie. Man sei bestrebt gewesen, den islamischen Religionsunterricht weiterzuentwickeln und hätte teils auch pädagogisch-theologisch unqualifizierte Personen eingestellt. Zwar hätten einige eine theologische Ausbildung genossen, seien aber aufgrund mangelnder Kenntnisse über den österreichischen Kontext sowohl mit dem österreichischen Schulsystem als auch mit den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler nicht zurechtgekommen. Bei vielen anderen wiederum, sei es an der deutschen Sprache gescheitert, die für einen Islamischen Religionsunterricht unumgänglich sei, erklärt Frau Baghajati in ihrem Beitrag13.
Erst mit der Gründung der IRPA 1998, einer staatlich anerkannten privaten Ausbildung, für das Lehramt Islamische Religion an Pflichtschulen, wurde der erste Schritt in Richtung Ausbildung der Lehrkräfte gesetzt.

Seit 2006/07 gibt es die Möglichkeit, an der Universität in Wien ein Masterstudium in Islamischer Religionspädagogik zu belegen. An der Universität Innsbruck wird im Rahmen des Instituts für Islamische Theologie und Religionspädagogik sowohl das Bachelor- und Masterstudium in Islamischer Religionspädagogik, als auch ein Bachelor- und Masterstudium Unterrichtsfach Islam angeboten.

Laut eigenen Angaben der IGGÖ besuchten im Schuljahr 2015/16 70.054 SchülerInnen in Österreich den islamischen Religionsunterricht. Dieser wurde an 2190 Schulen von 592 LehrerInnen abgehalten14. Das Schulamt15 der IGGÖ koordiniert über die FachinspektorInnen den Islamischen Religionsunterricht und ist für das Organisatorische und die Verwaltung zuständig. Es ist außerdem verantwortlich für die Aus- und Weiterbildung von ReligionslehrerInnen. Die 15 FachinspektorInnen16 sind als Ansprechpersonen für die ReligionslehrerInnen an den Volksschulen, Neuen Mittelschule BMHS (Berufsbildende mittlere und höhere Schulen) und AHS in den einzelnen Bundesländern tätig.

Der konfessionelle Religionsunterricht ist ein Pflichtgegenstand, bei dem man die Möglichkeit hat, sich innerhalb der ersten fünf Kalendertage des Schuljahres abzumelden. Dies ist nur durch den Erziehungsberechtigten und ab Vollendung des 14. Lebensjahres vom Schüler oder von der Schülerin selbst möglich. Die Abmeldung muss schriftlich bei der Schulleitung eingereicht werden.17

Viele Eltern als auch Kinder machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, berichtet das Schulamt der IGGÖ, wodurch beispielsweise die Abmelderate im Schuljahr 2013/14 in Tirol18 bei 37,57% lag.

Doch was sind die Motive für die Abmeldung vom islamischen Religionsunterricht? Studien zur Abmeldung vom islamischen Religionsunterricht bilden derzeit noch ein Desiderat. Doch aus einer der wenigen Studien19, die uns vorliegen, geht eine Vielzahl von Abmeldegründen hervor. Die befragten SchülerInnen sind laut dieser Studie der Meinung, dass der islamische Religionsunterricht zu einseitig und zu stark an den Unterricht in den Moscheen angelehnt sei. Die SchülerIn-LehrerIn Beziehung gehe, so die Studie, oft von einer notwendigen professionellen und sachlichen Ebene in eine freundschaftlich-persönliche Ebene über. Es müsse eine gewisse Distanz zwischen den Lehrpersonen und den SchülerInnen eingehalten werden. Laut dieser Studie fehle es den ReligionslehrerInnen an Fort- und Weiterbildungen, die diese benötigen, um ihre didaktischen Kompetenzen zu vertiefen. Doch der auschlaggebendste Grund für die, noch immer zu hohe Anzahl der Abmeldungen, liege am Stundenplan der SchülerInnen. Sehr oft würden die Stunden für den islamischen Religionsunterricht auf den Nachmittag gelegt, was weder den SchülerInnen noch den Eltern zusage20. Vor allem bei Familien, die weiter weg von der Schule wohnten, hätten die SchülerInnen keine Möglichkeit, zwischen dem Unterricht am Vormittag und der Religionsstunde am Nachmittag nach Hause zu gehen. Oft müssten sie diese Stunden in der Schule oder in der Stadt verstreichen lassen, wenn sie den Religionsunterricht besuchen möchten, berichteten die SchülerInnen. Berufstätige Eltern könnten ihre Kinder auch nicht in der Zwischenzeit abholen, deswegen bleibe den SchülerInnen keine andere Wahl, als sich vom Religionsunterricht abzumelden.21 Nachdem aber nur fünf22 SchülerInnen, im Alter von 13-18 Jahren, für diese Studie befragt wurden, stellt sich die Frage, ob diese Abmeldegründe verallgemeinert werden können.

Herausforderungen/Zukunftsvision

Die religiös weltanschauliche Pluralität unserer Gesellschaft fordert uns alle heraus. Dabei kann der Religionsunterricht zur Kultivierung von gemeinsamen Werten, die für den Erhalt eines respektvollen Zusammenlebens in einer pluralen Gesellschaft notwendig sind, eine entscheidende Rolle spielen. Daher besteht die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen theologischen Themen auch im Rahmen des islamischen Religionsunterrichtes, um unter anderem zu vermeiden, dass sich Ideologien und deren theologische Positionen unter den SchülerInnen verbreiten, die eine Gefahr für unsere bzw. deren Zukunft darstellen. In diesem Zusammenhang sind alle Teile der Gesellschaft auf interreligiöse Kooperationen angewiesen, um auf Grundlage der Begegnung und des Miteinanders gemeinsam für unsere Gesellschaft zu wirken.

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