Asma Barlas und ihr Zugang zum Koran. Absage an die patriarchale Lesart

Artikel 03.01.2022 Redaktionsteam

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Koranlesung nach Asma Barlas. Nach einem biografischen Abschnitt werden ihr Zugang zum Koran und seiner Auslegung vorgestellt. Anschließend wird ein Blick auf ihre Interpretation des vieldiskutierten Verses 34 in Sure 4 geworfen. Abschließend werden einige Persönlichkeiten vorgestellt, die Barlas in ihrer Arbeit inspiriert haben.


Biografie

Asma Barlas ist gebürtige Pakistanerin und lebt in den USA, wo sie vor allem wegen ihres Buches Believing Women in Islam – Unreading Patriarchal Interpretations of the Qu´ran berühmt wurde. In diesem Werk plädiert sie für eine Koranauslegung aus weiblicher Sicht und stellt die These auf, dass die Unterdrückung von Frauen im Widerspruch zum Koran stehe. Der Koran wird von ihr als Text der Befreiung gesehen, der Frauen einen Weg aus der Unterdrückung weisen kann.1

Barlas machte ihren Bachelorabschluss in englischer Literatur und Philosophie am Kinnaird College for Women in Lahore im Jahr 1969. 1971 folgte ein Master in Journalismus. In späteren Jahren war sie als Abteilungsleiterin im pakistanischen Außenministerium tätig, jedoch wurde sie dort entlassen. Hintergrund dazu bildete ein Racheakt ihres Exmannes, der ihrem Chef ihr Tagebuch zukommen ließ, das beleidigende Aussagen diesem gegenüber enthielt. Infolge dieser Affäre sah Barlas ihre Sicherheit bedroht und emigrierte mit ihrem Sohn in die USA, wo sie politisches Asyl erhielt und ein zweites Studium in International Studies an der University of Denver abschloss. Nach ihrer Promotion 1990 begann sie eine steile wissenschaftliche Karriere als Professorin in den USA. Seit 2006 ist sie Direktorin des Center for the Study of Culture, Race, and Ethnicity am Ithaca College. Ihre Forschungsinteressen sind vielfältig, vor allem jedoch setzt sie sich mit den Themen Ideologien und Gewalt auseinander.2

Barlas‘ Buch Believing Women in Islam wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ihre Thesen auf vielen Konferenzen weltweit vorgestellt. Im Folgenden werden ihr Koranverständnis sowie ihre Ziele und Thesen näher erläutert.

Eine andere Interpretation des Korans

In Believing Women in Islam kritisiert Barlas die traditionelle patriarchale Auslegung des Korans. Sie untersucht zum einen die männlichen Sichtweisen auf den Koran und bietet zum anderen eine eigene, anti-patriarchalische Interpretation an. Es gehe ihr darum, die unterschiedlichen Wahrnehmungen eines heiligen Textes vorzustellen.3

Es hänge sehr davon ab, von wem, wie und in welchem Kontext der Koran interpretiert wird, so Barlas.„Wenn er, wie es bisher in der Geschichte der Fall war, nur von Männern interpretiert wird und noch dazu nur bruchstückhaft und immer im patriarchalischen Kontext, ist es kaum überraschend, dass der Koran als patriarchalischer Text interpretiert wurde."5

Der Koran kann aber eigentlich als das genaue Gegenteil gelesen werden, nämlich als ein antipatriarchalischer Text, und das ist auch das Ziel von Barlas: aufzuzeigen, wie man das Patriarchat aus dem Koran „hinausinterpretiere[n]“6 kann. Dabei macht sie deutlich, dass Gott das biologische Geschlecht nicht benutzt, um Männer zu privilegieren oder Frauen auszugrenzen – biologische Unterschiede werden zwar anerkannt, aber ihnen werden keine spezifische Geschlechtssymbolik zugeordnet. Man finde somit keinen einzigen Vers im Koran, der Männern und Frauen eigene Arbeitsbereiche oder Rollen zuschreiben würde. Warum sich aber der Koran trotzdem oft an Männer wendet, erklärt sie damit, dass der Koran die Existenz des Patriarchats wahrnehme und infolgedessen die Männer die Macht innehätten.7 „Aber das Anerkennen des Patriarchats oder die Ansprache der Männer sind etwas anderes als das Verfechten der Vorherrschaft der Männer“8, so Barlas.

Auch ontologisch gesehen können Männer den Frauen nicht überlegen sein, da im Koran steht, dass beide ihren Ursprung in einem einzigen Wesen (nafs) haben. Zudem gebe es „keinerlei Erwähnung, dass die Frau aus dem Mann geschaffen wurde oder dass Adam vor der Frau geschaffen wurde.“9 Umgekehrt hat Gott Frauen und Männer als Leitfiguren (awliya) füreinander bestimmt und gibt somit beiden die Aufgabe, das Richtige zu gebieten und das Falsche zu vermeiden.10

Die Interpretation der Sure 4:34

Asma Barlas‘ Zugang zum Koran lässt sich durch ihre Interpretation der Sure 4 Vers 34 verdeutlichen. Rudi Paret (gest. 1983) übersetzt diese problematische Stelle im Koran wie folgt: „die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede. Wahrlich, Allah ist Erhaben und Groß.“11

Barlas interpretiert das arabische Wort qawwamun nicht als ein „Überstehen“ oder eine Vormundschaft des Mannes gegenüber der Frau, sondern es bezeichnet ihrer Meinung nach lediglich die finanzielle Rolle der Ehemänner als Ernährer der Familie.12

„Die Auslegung von nušūz als Ungehorsam der Ehefrau wird auch unhaltbar, wenn wir jene Koranstellen lesen, die sich auf nušūz eines Ehemannes beziehen.“13 Hierzu erwähnt Barlas, ebenso wie Amina Wadud, dass das Wort nušūz sich auch in Koranversen findet, die nur Männer betreffen. Daher kann man den Begriff Ungehorsam eher als Uneinigkeit verstehen, nicht als wörtlich verstandenen Ungehorsam seitens der Frau.

Bezüglich der umstrittenen Stelle zum Schlagen der Ehefrau sagt Barlas, dass das betreffende Wort ḍaraba mehrere Bedeutungen haben kann, darunter auch sich trennen. Hier stellt sie die Frage, warum man ausgerechnet die für die Frauen am meisten benachteiligende Bedeutung gewählt hatte, denn der Koran lehre eigentlich Liebe als Grundlage für eine Ehe sowie Barmherzigkeit und Großzügigkeit zwischen den Eheleuten. Außerdem würden nur sehr wenige Koranexegeten die Tatsache beachten, dass der Versteil mit ḍaraba einen stufenweisen Lösungsweg beschreibe und dass vor dem Schlagen zuerst ein Ermahnen und ein Meiden im Ehebett vorgeschrieben wird.14

Wie man an diesem Beispiel erkennen kann, geht Asma Barlas bei der Interpretation des Korans wesentlich anders vor als die traditionellen Koranexegeten. Ihre Gedanken sind indes nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern von namhaften muslimischen Intellektuellen beeinflusst. Diesem Umstand widmet sich der folgende Absatz.  

Asma Barlas Quellen

Immer wieder taucht in Barlas‘ Buch Believing Women der Name Fazlur Rahman (gest. 1988) auf. Mit Fazlur Rahman teilt sie nicht nur das Heimatland,15 sondern auch dessen Ansichten zu einer neuen Koraninterpretation. Auf seine Arbeiten stieß sie eher zufällig, war aber sofort fasziniert von seinem Ansatz und seiner sachlichen Kritik an traditionellen Konzepten im Islam. „Schnell wurde ihr klar, dass er eine tiefe Liebe für den Islam empfand, die ihn aber nicht davon abhielt, einen kritischen intellektuellen Standpunkt gegenüber seiner Religion einzunehmen.“16

Es ist das kritische Bewusstsein, gemeinsam mit der Liebe zum Islam, das sie an ihm bewundert und auch mit ihm teilt. Neben Fazlur Rahman ließ sich Asma Barlas von Amina Wadud inspirieren, mit der sie während der Entstehung ihres Buches ständig in Dialog und Zusammenarbeit war. Barlas hat einige Argumente von Wadud übernommen, was am Ende auch zu ähnlichen Thesen geführt hat. Allerdings geht Asma Barlas systematischer und wissenschaftlicher vor als Amina Wadud, was man vor allem daran bemerkt, dass Barlas viel von anderen Werken übernimmt und zitiert, während Wadud in ihren Werken eher etwas assoziativ wirkt.17 Neben Fazlur Rahman und Amina Wadud erwähnt Barlas auch andere weibliche Gelehrte, die sich mit dem Koran befasst haben, wie Riffat Hassan und Azizah Al-Hibri. Barlas teilt mit diesen weiblichen Gelehrten die Meinung, man müsse das Motiv der Vorherrschaft des Mannes, das bislang historisch in den Koran hineininterpretiert wurde, infrage stellen. Sie versuchen auch Möglichkeiten der Befreiung, die der Koran bietet, offenzulegen, indem die Gleichberechtigung der Geschlechter verdeutlicht wird.18

1 Vgl. Novriantoni und Ramy El-Dardiry: Interview Asma Barlas. Jeder Muslim muss das Recht haben, den Koran zu interpretieren, 2005, de.qantara.de/inhalt/interview-asma-barlas-jeder-muslim-muss-das-recht-haben-den-koran-zu-interpretieren, abgerufen am 30.12.2021.

2 Vgl. Katajun Amirpur: Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte (= Beck'sche Reihe, v.6075), München: C.H. Beck 2014, S. 150-152.

3 Vgl. ebd., S. 153f.

4 Vgl. Asma Barlas: Der Koran neu gelesen, in: Asma Barlas/Nahide Bozkurt/Rabeya Müller: Der Koran neu gelesen: feministische Interpretationen (= Islam und Gesellschaft Nr. 6), Friedrich-Ebert-Stiftung. Politische Akademie, Berlin 2008, https://library.fes.de/pdf-files/akademie/berlin/05440.pdf, S. 5-10, hier S. 8.

5 Ebd.

6 Ebd.

7 Vgl. ebd.

8 Ebd.

9 Ebd., S. 7.

10 Vgl. ebd., S. 7.

11 Rudi Paret (Hg.): Der Koran (= Wege der Forschung, Band 326), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975, S. 44.

12 Vgl. A. Barlas 2008, S. 7.

13 Ebd.

14 Vgl. ebd.

15 Vgl. K. Amirpur 2014, S. 152f.

16 Ebd.

17 Vgl. ebd.

18 Vgl. A. Barlas 2008, S. 6.

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