Das Konzept des Spendens im Islam

Artikel 21.11.2022 Redaktionsteam

Dieser Beitrag widmet sich dem Konzept des Spendens im Islam, wobei hauptsächlich der Koran als Quelle dient. Nach einer Einführung zu den unterschiedlichen Arten von Spenden werden die Voraussetzungen thematisiert, die beim Spenden zu beachten sind. Anschließend wird ein praxisnahes Beispiel zum Spendenverhalten von Organisationen erläutert. Die Almosensteuer (zakāt) wird in diesem Beitrag nicht thematisiert (dazu steht bereits ein gesonderter Beitrag auf islamportal.at zur Verfügung).


Die Arten der Spende

Das Spenden gehört aus islamischer Sicht zu den nobelsten Taten eines Menschen. Dabei wird stets hervorgehoben, dass drei Gruppen von der Spende profitieren – die Spendenden selbst, jene, die Spenden empfangen, sowie auch die Gesellschaft als Ganzes.

In der islamischen Literatur wird das Spenden überwiegend mit den Begriffen ṣadaqa und infāq bezeichnet. Ṣadaqa, abgeleitet von dem Adjektiv ṣādiqun, bedeutet ehrlich beziehungsweise vertrauenswürdig.1 Bezüglich des Begriffes infāq ist Muhammad Asad (gest. 1992) der Ansicht, dass „das Verb anfaqa (wörtl.: »er gab aus«) im Qur’an stets gebraucht wird, um großzügiges Ausgeben oder eine Gabe für andere zu bezeichnen, was immer die Beweggründe dafür sein mögen.“2

Ausgehend von einigen Koranversen und Hadithen kann man die Spende im Islam grob in zwei Bereiche unterteilen – die obligatorische und die freiwillige Spende. Zur obligatorischen Spende zählt die Almosensteuer (zakāt) sowie auch der obligatorische infāq3. Letzterer wird in folgendem Koranvers thematisiert: „Diese göttliche Schrift – keinen Zweifel soll es darüber geben – ist (dazu bestimmt,) eine Rechtleitung für alle Gottesbewußten (zu sein), die an (die Existenz dessen) glauben, was jenseits der Reichweite der menschlichen Wahrnehmung ist, und beständig das Gebet verrichten und für andere von dem ausgeben, was Wir ihnen als Versorgung bereiteten;“4

Nach Muḥammad Muṣṭafā al-Marāġī (gest. 1945) ist das hier verwendete Wort yunfiqūna sowohl als obligatorisch zu verstehen, in Bezug auf die Familie, als auch freiwillig.5 Auch Ibn Kaṯīr (gest. 1373) ist der Auffassung, dass es sich hierbei um eine verpflichtende Spende handelt, die später von der Almosensteuer ersetzt wurde.6

Die freiwillige Spende wird wiederum unterteilt in die materielle und immaterielle Spende. Zu ersterer gehören vier Arten: infāq (Spenden für Allahs Wohlwollen), waqf (Dauerspende), waṣiyya (Testament) und hiba (Schenkung). Die immaterielle Spende hingegen umfasst gute Taten, sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber.7

Die Voraussetzungen beim Spenden

Was den Akt des Spendens betrifft, so kann man von vier hauptsächlichen Voraussetzungen sprechen. Die erste betrifft die spendende Person (al-mutaṣaddaq). Diese muss eine gewisse körperliche sowie auch geistige Reife erlangt haben. Als Maßstab hierfür gilt der Beginn der Pubertät. Weiters sollte sie gewisse geschäftliche Kompetenzen aufweisen, um ein bewusstes Spendenverhalten zu entwickeln.8

Folgender Koranvers nennt mögliche Empfängerinnen und Empfänger einer Spende: „Wahre Frömmigkeit besteht nicht darin, daß ihr eure Gesichter nach Osten oder Westen wendet – sondern wahrhaft fromm ist, wer an Gott glaubt und den Letzten Tag und die Engel und die Offenbarung und die Propheten; und sein Vermögen ausgibt – wie sehr er selbst es auch wertschätzen mag – für seine nahen Verwandten und die Waisen und die Bedürftigen und den Reisenden und die Bettler und für das Befreien von Menschen aus Knechtschaft; […]“9

Dies schließt allerdings andere Personengruppen von einem Spendenempfang nicht aus. Auch NichtmuslimInnen können Spenden empfangen. Bei diesem Koranvers ist wichtig zu erwähnen, dass es sich hierbei nicht um die Almosensteuer handelt.10

Die Voraussetzungen des Spendens beziehen sich nicht nur auf die Personen, sondern auch auf die Gabe und die Absicht dahinter. Die Gabe (al-mutaṣaddaq bih) kann Geld oder ein materieller Gegenstand sein, aber auch immaterielle Sphären abdecken. In einem Hadith des Gesandten Muhammad heißt es folgendermaßen: „Wenn du deinem Bruder zulächelst, ist das ṣadaqa; wenn du Gutes gebietest und Böses verbietest, ist das ṣadaqa; wenn du einem Mann, der sich im Land verirrt hat, den Weg zeigst, ist das ṣadaqa für dich. Dein Schauen für einen Mann mit einer Sehschwäche, ist ṣadaqa für dich, wenn du einen Stein, einen Dorn oder einen Knochen von der Straße entfernst, ist das ṣadaqa für dich. Wenn du das, was von deinem Eimer übrigbleibt, in den Eimer deines Bruders gießt, ist das ṣadaqa für dich.“11

Weiters kann man aus Koran 3:92 ableiten, dass gespendet werden soll, was selbst begehrt wird.12 Übertragen auf ein praxisnahes Beispiel hieße dies, dass man abgetragene Kleidung, die man selbst nicht mehr tragen will, genau genommen nicht spenden sollte, sondern nur solche, die in einem guten Zustand ist. Allerdings ist es geboten, vor dem Spenden darauf zu achten, dass die eigenen Grundbedürfnisse und jene der Familie erfüllt sind. In Koran 2:219 heißt es: „[…] Und sie werden dich fragen, was sie (für Gottes Sache) ausgeben sollen. Sag: ‚Was immer ihr erübrigen könnt.‘“13

Zu guter Letzt sei auf die Intention (an-nīyya) beim Spenden hingewiesen. Denn nach islamischer Auffassung soll man nicht mit der Absicht spenden, dadurch hohes Ansehen unter den Menschen zu bekommen oder gar dafür entlohnt zu werden, sondern einzig mit der Absicht, Gottes Wohlwollen zu erwecken.

„Doch unter den Beduinen gibt es (auch) solche, die an Gott und den Letzten Tag glauben und alles, was sie (für Gottes Sache) ausgeben, als ein Mittel ansehen, das sie näher zu Gott bringt, und dazu, (daß) in den Gebeten des Gesandten (ihrer gedacht wird). Oh, wahrlich, es wird (fürwahr) ein Mittel der Nähe (Gottes) für sie sein, (denn) Gott wird sie in Seine Gnade aufnehmen: wahrlich, Gott ist vielvergebend, ein Gnadenspender!“14

Herausforderungen bei Spendenorganisationen mit Blick auf Social Media

Durch die zunehmende Präsenz unterschiedlichster Organisationen auf Social Media-Plattformen, darunter auch muslimische Spendenorganisationen, entstehen neue Herausforderungen. Dem Koran, der als das Wort Gottes gilt, ist zu entnehmen, dass es verpönt ist, beim Spenden zu prahlen. Dabei wird das Wohlergehen der Empfängerin / des Empfängers betont. Gegen Ende von Koran 2:264 heißt es: „O ihr, die ihr Glauben erlangt habt! Beraubt nicht eure milden Taten allen Wertes durch Betonen eurer eigenen Wohltätigkeit und Verletzen (der Gefühle der Bedürftigen), wie derjenige es tut, der seinen Reichtum nur ausgibt, um von den Menschen gesehen und gepriesen zu werden, und nicht an Gott und den Letzten Tag glaubt: denn sein Gleichnis ist das eines glatten Felsens mit (ein wenig) Erde drauf – und dann trifft ihn ein Sturzregen und läßt ihn hart und bloß. Solche wie diese werden keinerlei Gewinn haben von allen ihre (guten) Werken: denn Gott leitet Leute nicht recht, die sich weigern, die Wahrheit anzuerkennen.“15

Dennoch sind zahlreiche Organisationen zu finden, welche die EmpfängerInnen bei der Entgegennahme von Spenden fotografieren und der Öffentlichkeit präsentieren. Zwar mag dies in der Absicht geschehen, andere zum Spenden zu motivieren, dennoch sei auf zwei Aspekte hingewiesen: Zum einen bietet der Koran eindeutige Stellen, die dieses Verhalten als verpönt bezeichnen; zum anderen sollte auf die ethischen Dimensionen eines solchen Vorgehens geachtet werden. Die Zurschaustellung SpendenempfängerInnen könnte nicht nur deren Gefühle verletzen, sondern auch ihre Würde, die jedem einzelnen Menschen, sei dieser arm oder reich, von Gott gleichermaßen zugeteilt wurde.

1 Vgl. Benaouda Bensaid/Fadila Grine/Mohd R. Mohd Nor/Mohd Yusoff, Mohd Yakub Zulkifli: »Ethico-Spiritual Dimensions of Charity: An Islamic Perspective«, in: Middle-East Journal of Scientific Research 13 (2013), S. 171-182, hier S. 172.

2 Muhammad Asad: Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, Ostfildern: Patmos Verlag 2013, S. 28.

3 Vgl. Salwa A. Awang/Fidlizan Muhammad/Joni T. Borhan/Mohammad T. Mohamad: »The Concept of Charity in Islam: An Analysis on the Verses of the Quran and Hadith«, in: Journal of Usuluddin 45 (2017), S. 141-172, hier S. 146.

4 Koran 2:2 f., nach M. Asad 2013.

5 Vgl. S. A. Awang/F. Muhammad/J. T. Borhan/M. T. Mohamad 2017, S. 146.

6 Vgl. ebd.

7 Vgl. ebd., S. 152.

8 Vgl. ebd., S. 153.

9 Koran 2:177, nach M. Asad 2013.

10 Vgl. S. A. Awang/F. Muhammad/J. T. Borhan/M. T. Mohamad 2017, S. 154 f.

11 Al-Ǧāmiʿ at-Tirmidhī, 27, 62, sunnah.com/tirmidhi:1956 (Übers. d. Verf.), abgerufen am 11.11.2022.

12 Vgl. Koran 3:92.

13 Koran 2:219, nach M. Asad 2013.

14 Koran 9:99, nach M. Asad 2013.

15 Koran 2:264, nach M. Asad 2013.

Kochuyt, Thierry: »God, Gifts and Poor People: On Charity in Islam«, in: Social Compass 56 (2009), S. 98-116.

Moumtaz, Nada: God's Property. Islam, Charity, and the Modern State, Oakland: University of California Press 2021.

Tittensor, David/Clarke, Matthew/Gümüş, Tezcan: »Understanding Islamic aid flows to enhance global humanitarian assistance«, in: Contemporary Islam 12 (2018), S. 193-210.

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