Eine kurze Geschichte der Philosophie im Islam

Artikel 30.11.2022 Redaktionsteam

Dieser Beitrag bietet einen kurzen Überblick über die Geschichte der Philosophie im Islam und behandelt deren Entstehung und Entwicklung im arabisch-islamischen Kontext. Auf einzelne islamische Philosophen wird nicht näher eingegangen, dazu stehen gesonderte Beiträge auf islamportal.at zur Verfügung.


Die Anfänge der islamischen Philosophie

Die Anfänge der islamischen Philosophie lassen sich in das 9. Jh. n. Chr. datieren. Zumindest stammen aus dieser Zeit die ersten philosophischen Schriften aus dem arabischen Raum. Ob man schon davor von einer islamischen Philosophie sprechen kann, ist ungewiss. Nach Geert Hendrich ist die Entwicklung der arabisch-islamischen Philosophie von zwei grundlegenden Faktoren geprägt. Zum einen vom Einfluss der hellenistischen Kultur und zum anderen von der Formierung des Islams zu einer Weltreligion.1

Anders als im europäischen Kontext, wo das Philosophieren zum Katholizismus gehörte und Philosophen somit Geistliche waren, war die überwiegende Mehrheit der arabisch-islamischen Philosophen im medizinischen und naturwissenschaftlichen Bereich verfestigt.2 Dadurch, dass sie in mehreren Bereichen Leistungen erbrachten, kann man von Universalgelehrten und nicht ausschließlich von Philosophen sprechen.

Muhammad Sameer Murtaza führt im ersten Band seiner Buchreihe Islamische Philosophie an, dass der Hauptcharakter der islamischen Philosophie im Hinterfragen bestehe. Dabei könne man nicht von einer allgemeingültigen philosophischen Methode sprechen, die sich in Lehrbüchern vorfinden ließe und die erlernbar sei.

„Die islamische Philosophie ist demnach ein unverbindliches Sammelsurium von Lehren unterschiedlicher Philosophen, eine Geschichte des muslimischen Denkens und zugleich eine Einladung, uns eine Denkschule auszusuchen oder eine neue zu gründen. Die Islamische Philosophie hat also immer einen Entwurfscharakter.“3

Weiters stellt Murtaza die Behauptung auf, dass die islamische Philosophie sich nicht etwa erst durch den Kontakt mit der griechischen Philosophie entwickelt habe, sondern ihre Grundgedanken früher zu verorten seien. Diese These begründet er mit dem koranischen Konzept der ḥikma (dt. Weisheit), deren Ursprung Gott ausmache.4 Die Weisheit ist laut ihm Teil der göttlichen Offenbarung und geht sogar darüber hinaus.5 Dieses Nachdenken über die Offenbarung hinaus, jedoch sehr wohl auf Grundlage dieser, deutet der Islamwissenschaftler als erste philosophische Grundgedanken im islamischen Kontext.

Allerdings kann man weder die Begriffe ḥikma und falsafa noch die Konzepte dahinter synonym verwenden. Denn falsafa ist die arabische Übersetzung des ursprünglich altgriechischen Wortes philosophía, was so viel wie „Liebe zur Weisheit“ bedeutet und nicht die Weisheit per se bezeichnet. Hierbei entsteht ein Dilemma hinsichtlich der Frage, welches der beiden Konzepte umfassender sei. Nach Murtaza ist das Transzendente der Ursprung der Weisheit, und die Philosophie bezieht sich darauf. Somit beschäftigt sich ein Philosoph zwar mit der Weisheit, leitet diese allerdings nicht ab.6 Murtaza fasst zusammen: „Der muslimische Philosoph beginnt seinen Weg als failasūf und hofft auf seinem Weg ein ḥakīm zu werden.“7

Das Verhältnis zwischen kalām und falsafa

Mit dem Aufkommen des Islams als neue Religion ergaben sich zahlreiche neue Fragestellungen, so beispielsweise zur Stellung der Vernunft oder dem Menschen- und Gottesbild und vielem mehr. Mit Fragestellungen dieser Art kamen MuslimInnen dann auch beim Erforschen der griechischen Philosophie in Kontakt. So hat sich als Folgeerscheinung im islamischen Kontext die diskursive Theologie (kalām) entwickelt, die auf die Bedürfnisse der muslimischen Gläubigen abgestimmt war. Diese Disziplin bot Raum für philosophische Methoden und Thematiken. Doch auch wenn die Anfänge des kalām einen starken philosophischen Charakter aufwiesen, hat sich der kalām ab etwa dem 11. Jh. zu einer eher orthodoxen Disziplin weiterentwickelt.8

In seiner Publikation Islamic Philosophy from its Origin to the Present. Philosophy in the Land of Prophecy teilt der muslimische Philosoph Seyyed Hossein Nasr das Verhältnis zwischen kalām und falsafa in fünf Abschnitte ein. Der erste Abschnitt beginnt bei den Anfängen des Islams und zieht sich bis zum 3. Jh. islamischer Zeitrechnung hin. In dieser Zeit war im Bereich der diskursiven Theologie (kalām) die Denkschule der Muʿtazila dominant. Währenddessen bestand die Philosophie in ihren Anfängen hauptsächlich im Übersetzen griechischer Werke. Zwischen der rationalistisch ausgerichteten muʿtazilitischen Denkschule und der sich neu etablierenden Disziplin der Philosophie schien es keine signifikanten Auseinandersetzungen zu geben.9

Die zweite Periode umfasst die Zeit vom Ende des 3. bis zum 5. Jh. islamischer Zeitrechnung. Sie ist charakterisiert durch den Rückzug der Mu’tazila und die Ausbreitung der Ašʿarīya. Dies war eine Zeit heftiger Auseinandersetzungen zwischen der neuen dominierenden Denkschule und der Philosophie. Mit dem schafiitischen Rechtsgelehrten Abū l-Maʿālī ʿAbd al-Malik b. ʿAbdallāh al-Ǧuwainī (gest. 1085) und seinem Schüler Abū Ḥāmid Muḥammad b. Muḥammad al-Ġazzālī (gest. 1111) begann allmählich die Aufnahme philosophischer Elemente in die diskursive Theologie.10 Beide Rechtsgelehrte lassen sich der ašʿarītischen Denkschule zuordnen.

Vom Ende des fünften bis zum 7. Jh. islamischer Zeitrechnung war die Konkurrenz zwischen Theologen und Philosophen immer noch stark vorhanden. Dennoch haben sie sich gegenseitig stark beeinflusst und sich aus dieser Konkurrenz heraus weiterentwickelt. Die Philosophen begannen sich zunehmend mit theologischen Fragestellungen, wie beispielsweise der Prophetie, zu beschäftigen, während die Theologen zunehmend philosophische Fragestellungen aufgriffen. So soll der ašʿarītische Rechtsgelehrte ʿUmar b. al-Ḥusain Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 1209), der diese Periode deutlich geprägt hat, ein bemerkenswerter Kenner der Philosophie gewesen sein. ʿAbd ar-Raḥmān b. Muḥammad Ibn Ḫaldūn al-Ḥaḍramī (gest. 1406) vertrat sogar die Auffassung, dass man bestimmte Gelehrte weder vollständig dem kalām, noch der falsafa zuordnen konnte.11

Die Anzahl von Gelehrten dieser Art nahm in der Zeit vom 7. bis 10. Jh. islamischer Zeitrechnung zu. Bis auf einige Ausnahmen pflegten die mutakallimūn und die faylasūf ein friedliches Verhältnis zueinander. Sowohl im schiitischen als auch im sunnitischen Islam kam es immer wieder zu Verschmelzungen dieser beiden Disziplinen.12

Die letzte Periode beginnt ab dem 10. Jh. islamischer Zeitrechnung und reicht bis in die Moderne. Während sich im schiitischen Islam die Philosophie allmählich weiterentwickelte und den kalām immer weiter an den Rand drückte, lässt sich im sunnitischen Kontext, insbesondere im arabischen Raum, eine Abkehr von der Philosophie feststellen. Jedoch kann man auf indischem Gebiet von einem Aufblühen der Philosophie sprechen.13

1 Vgl. Geert Hendrich: Arabisch-islamische Philosophie. Geschichte und Gegenwart (= Campus-Einführungen), Frankfurt am Main: Campus-Verlag 2005, S. 13.

2 Vgl. ebd., S. 34 f.

3 Murad W. Hofmann/Muhammad S. Murtaza/Ecevit Polat: Islamische Philosophie. Band 1: Von den Anfängen bis zu Al-Kindi, Hamburg: tredition 2016, S. 10 f.

4 Vgl. ebd., S. 14.

5 Vgl. ebd., S. 17.

6 Vgl. ebd., S. 21-24.

7 Ebd., S. 25.

8 Vgl. G. Hendrich: Arabisch-islamische Philosophie, S. 17 f.

9 Vgl. Seyyed H. Nasr: Islamic Philosophy from its Origin to the Present. Philosophy in the Land of Prophecy, State University of New York Press 2006, S. 49.

10 Vgl. ebd., S. 50.

11 Vgl. ebd.

12 Vgl. ebd., S. 51.

13 Vgl. ebd.

Hofmann, Murad W./Murtaza, Muhammad S./Polat, Ecevit: Islamische Philosophie. Band 2: Islamische Philosophie im Konflikt – von Al-Razi und Al-Farabi bis Ibn Miskawai, Hamburg: tredition GmbH 2016.

Murtaza, Muhammad Sameer: Islamische Philosophie und die Gegenwartsprobleme der Muslime. Reflexionen zu dem Philosophen Jamal Al-Din Al-Afghani, Berlin: Hans Schiller 2012.

Yousefi, Hamid Reza: Einführung in die islamische Philosophie. Eine Geschichte des Denkens von den Anfängen bis zur Gegenwart (=UTB 4082), Paderborn: Wilhelm Fink  2014.

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