Ibn Ḥazm al-Andalusī und die Theorie des weiblichen Prophetentums

Artikel 12.07.2022 Redaktionsteam

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit Ibn Ḥazm al-Andalusī, einem islamischen Denker des 11. Jahrhunderts. Nach einer kurzen Erläuterung seiner Biografie wird im ersten Teil des Beitrages auf seine Kritik an der Metaphysik al-Kindīs eingegangen. Der zweite Teil stellt seine Theorie des weiblichen Prophetentums vor.


Biografie

Ibn Ḥazm al-Andalusī wurde 994 n. Chr. als Abū Muḥammad ʿAlī b. Aḥmad b. Saʿīd in der spanischen Stadt Córdoba geboren. Als Sohn einer angesehenen Familie genoss er eine unbekümmerte Kindheit am umayyadischen Kalifenhof. Dort wurde er von Sklavinnen seines Vaters unterrichtet und erlernte schon in jungen Jahren Kalligrafie und Poesie-Rezitation. Später wurden ihn klassisch-islamische Disziplinen gelehrt, darunter auch Koranexegese (tafsīr). In weiterer Folge studierte er arabische Grammatik sowie Astronomie, Philosophie und Logik.1 Dadurch, dass er in seiner Kindheit sehr viel Zeit in der Gesellschaft von Frauen verbracht hatte, konnte er sich nach eigenen Angaben signifikante Kenntnisse über Frauen und Frauenangelegenheiten aneignen.2

Bezüglich Ibn Ḥazms Herkunft herrscht Unklarheit. So behaupten einige Historiker, dass er persische Wurzeln habe und von christlichen Konvertiten abstamme. Auch Ibn Ḥazm selbst betont seine persischen Vorfahren, wobei dies auch den Grund haben könnte, sein Ansehen in der muslimischen Community zu steigern.3 Klar ist allerdings, dass sowohl sein Vater als auch sein Großvater in Spanien geboren wurden und Ibn Ḥazm somit der dritten, in Spanien geborenen und aufgewachsenen Generation angehörte.

Laut seinem Sohn Abū Rāfiʿ verfasste Ibn Ḥazm um die 400 Bände zu unterschiedlichsten Thematiken. Allerdings wurde eine Vielzahl davon durch seine politischen Gegner zerstört, von denen er in weiterer Folge auch verfolgt und inhaftiert wurde.4

Die Kritik Ibn Ḥazms an al-Kindīs Metaphysik

Ibn Ḥazm stellt al-Kindīs These infrage, wonach Gott eine Ursache (ʾilla) sei. Er sieht einen Widerspruch in dieser Auslegung, denn eine Ursache gäbe es nur im Verhältnis zu etwas Verursachtem und vice versa. Sprich, von dem Verursachten könne man auf die Ursache schließen, was im Falle Gottes eine Eingrenzung darstellen würde und somit in Widerspruch zu Gottes Einheit (tauḥīd) stünde.5 Doch darüber hinaus widerspreche diese These auch al-Kindīs Beschreibung Gottes denn er bediente sich hierbei der negativen Theologie,6 um Eingrenzungen zu vermeiden.

Ibn Ḥazm begründet Gottes Unabhängigkeit vom Verursachten mit dem göttlichen Konzept der Unvergleichbarkeit Allahs: „[…] es gibt nichts Ihm Gleiches, und Er allein ist allhörend, allsehend.“7 Des Weiteren führt er einige Attribute Allahs an, die seine These bestärken. Zu ihnen gehören: al-wāḥid (der Einzige), al-ʾawwal (derjenige ohne Beginn, der Erste), aṣ-ṣamad (der Unabhängige, der unveränderlich in sich selbst ruht) sowie al-ġanī (der Selbsterhalter). Letzteres Attribut bekräftigt die Tatsache, dass Gott frei von jeglichen Abhängigkeiten ist.8

Aus diesen Eigenschaften Gottes leitet Ibn Ḥazm ab, dass Gott selbst nicht eine Ursache sein kann, sondern der Erschaffer sowohl von den Ursachen als auch von den verursachten Folgen ist.9 Sogar Gottes Attribute sieht er als Schöpfungen von Gott an, die nicht in Verbindung zu Seinem Wesen stehen, sondern auf ihn hinweisen.10 Somit kann „Gott […] nur insofern gewußt werden, als das von ihm Gewollte und Bewirkte wegen seines Willens und Handelns existiert.“11 An dieser Stelle sei angemerkt, dass Ibn Ḥazm kein Gegner al-Kindīs war und einige Ansätze, wie beispielsweise sein „Disputationsprinzip“12, lobte. Er übte lediglich Kritik an seinem Ansatz des Anthropomorphisierens Gottes aus.

Die Theorie des weiblichen Prophetentums

Bevor auf die Thematik des weiblichen Prophetentums eingegangen wird, ist es notwendig, einen kurzen Einblick in die Definition des Prophetentums zu gewähren. Die exakte Anzahl der Propheten wird im Koran nicht erwähnt. Stattdessen weist der koranische Text darauf hin, dass jedem Volk ein Prophet zugeteilt worden sei. Hierbei ist auf die Unterscheidung zwischen Propheten und Gesandten aufmerksam zu machen. Einem Gesandten (rasūl) wurde eine heilige Schrift offenbart, ein Prophet (nabī) hingegen hat keine Offenbarungsschrift erhalten und die göttliche Eingebung erfolgte nicht durch einen Engel, sondern beispielsweise während des Schlafes.13 Somit ist jeder Gesandte ein Prophet, aber nicht jeder Prophet ein Gesandter.

Im Koran gibt es keine Hinweise auf weibliche Prophetinnen. Allerdings werden nach Ibn Ḥazm Frauen genannt, die göttliche Inspiration beziehungsweise Eingebung erfahren haben. Zu diesen zählt er die Mütter der Propheten Isaak (Ishāq), Moses (Mūsā) und Jesus (ʽĪsā) sowie die Frau des Pharaos.14 Um seine Theorie des weiblichen Prophetentums zu verstehen, ist es unabdingbar, in erster Linie sein Konzept von Prophetentum im Allgemeinen zu verstehen. Er definiert dieses folgendermaßen: „Gott erwählt einen Mann oder eine Frau und lehrt sie, was sie nicht gelernt haben, durch einen Engel oder durch eine in ihre Seele gelegte Kraft, die über die Macht der Geschöpfe hinausgeht und durch Wunder unterstützt wird.”15

Bei dieser Definition sind Frauen inbegriffen, was heißt, dass nicht das Geschlecht, sondern primär der Empfang einer Offenbarung für das Prophetentum entscheidend ist. Nach Ibn Ḥazm wird man zu einem Propheten oder einer Prophetin, sobald man eine göttliche Eingebung bekommt.16 Als Gegenargument zu dieser These führten die Gegner der Theorie, dass auch Frauen Prophetinnen sein können, unter anderem Koran 12:109 an: „Und (selbst) vor deiner Zeit sandten Wir niemals (als Unsere Gesandten) irgendwelche außer (sterbliche) Männer, denen Wir eingaben (und die Wir immer wählten) aus den Leuten (eben) der Gemeinschaften (denen die Botschaft überbracht werden sollte).“17

Nach Ibn Ḥazm stellt dieser Koranvers kein haltbares Argument dar, weil sich die Verse auf Gesandtschaft und nicht auf Prophetentum beziehen. Weiters solle der Offenbarungsanlass (sabab an-nuzūl) berücksichtigt werden. Denn die Betonung in diesem Vers liege in dem Umstand, dass Gott menschliche Wesen und keine Engel als Gesandte ernannt hat. Somit sind unter riğālan (Männern) Gegenspieler zu den Engeln (und nicht zu Frauen) zu verstehen. In diesem Fall ist das Wort riğālan, das nach al-Ǧauzī (gest. 1200) im Koran in elf unterschiedlichen Bedeutungen vorkommt,18 in der Bedeutung von menschlichen Wesen zu verstehen. Denn wenn es sich hierbei eindeutig um Männer handeln würde, müssten Frauen als Gegenspielerinnen auftreten, was in diesem Fall nicht zutrifft.

Unter anderem anhand der folgenden vier Ansätze versucht Ibn Ḥazm seine Theorie, dass Frauen Prophetinnen sein können, zu untermauern:

Philologische Komponente

Hierbei macht Ibn Ḥazm eine deutliche Trennung zwischen Prophetentum und Gesandtschaft: „Die Angelegenheit ist das Prophetentum und nicht die Gesandtschaft. Daher ist es notwendig, die Wahrheit zu suchen, indem wir die Bedeutung des Begriffes „nubuwwah“ in der Sprache, mit der Gott uns angesprochen hat, untersuchen. Und wir haben festgestellt, dass es von inbā' und i'lām (informieren) abgeleitet ist. Daher ist jede Person, die Gott über das, was geschehen soll, informiert, bevor es geschieht, oder der Er Informationen über irgendetwas offenbart, zweifelsohne ein Prophet.“19

Allerdings grenzt er hierbei die göttliche Inspiration ab. So wären Bienen trotz ihrer göttlichen Inspiration keine Propheten. Es müsse sich um eine authentische Inspiration handeln, die entweder durch einen Engel erfolgt oder direkt in die Seele eingegeben wird.20

Göttliche Inspiration

Wie bereits erwähnt, sieht Ibn Ḥazm den Empfang einer göttlichen Eingebung als den wichtigsten Aspekt des Prophetentums. So begründet er Sārahs Prophetentum mit Koran 11:71–73.21

Dass Maryam eine Prophetin gewesen sein soll, begründet er mit den Koranversen 19:71–73 sowie der Tatsache, dass sie nicht nur die einzige Frau im Koran ist, die namentlich erwähnt wird, sondern auch damit, dass eine Sure nach ihr benannt wurde. Auch Koran 3:42, von dem auch al-Qurṭubī (gest. 1272) überzeugt war, bekräftigt Ibn Ḥazms Aussage.

Logische Beweise

Als nächstes versucht Ibn Ḥazm, das Prophetentum der Mutter des Propheten Mūsā zu begründen. Er schlussfolgert: „Es wäre absurd oder verrückt gewesen, wenn sie ihren Sohn aufgrund eines bloßen Traumes in den Fluss geworfen hätte.“22

Konzept der Vollkommenheit (al-kamāl)

Laut einem Hadith23 sollen die Frau des Pharaos, Āsiyah, und Maryam als die einzigen vollkommenen Frauen bezeichnet worden sein. Dies wäre eine Eigenschaft der Propheten und somit seien sowohl Āsiyah als auch Maryam Prophetinnen.

Zweifelsohne gilt Ibn Ḥazm als einer der Hauptverfechter des weiblichen Prophetentums, dessen Debatte in Córdoba ihren Höhepunkt gefunden hat. Allerdings wurden seine Argumente von zahlreichen Gelehrten widerlegt, weshalb sich seine Theorie kaum durchsetzen konnte.  Jedoch lässt sich in den zeitgenössischen Debatten der Islamischen Theologie ein erneutes Interesse an Ibn Ḥazm feststellen.24 In den letzten Jahren seines Lebens zog er sich nach Manta Līs̲h̲am zurück, wo er 1064 verstarb.25

1 Vgl. Ibrahim Zakyi: »Ibn Hazm: Profile of a Muslim Scholar«, in: The American Journal of Islamic Social Sciences 30 (2013), hier S. IV.

2 Vgl. ebd., S. II-III.

3 Vgl. ebd., S. I.

4 Vgl. ebd., S. IV.

5 Vgl. Hans Daiber: »Die Kritik des Ibn Hazm an Kindis Metaphysik«, in: Der Islam: Zeitschrift für Geschichte und Kultur des Islamischen Orients 63 (1986), S. 284-302, hier S. 286 f.

6 Vgl. Ulrich Rudolph: Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München: C. H. Beck 2018, S. 18.

7 Koran 42:11.

8 Vgl. H. Daiber: Die Kritik des Ibn Hazm an Kindis Metaphysik, S. 287-289.

9 Vgl. ebd., S. 289 f.

10 Vgl. ebd., S. 291.

11 Ebd., S. 296.

12 Ebd., S. 286.

13 Vgl. Ibrahim Zakyi: »Ibn Ḥazm’s theory of prophecy of women: literalism, logic, and perfection«, in: Intellectual Discourse 23 (2015), S. 75-100, hier S. 84.

14 Vgl. ebd., S. 75.

15 Ebd., S. 81 nach Ibn Hazm 1926 (Übers. d. Verf.).

16 Vgl. ebd., S. 82.

17 Koran 12:109.

18 Vgl. I. Zakyi: Ibn Ḥazm’s theory of prophecy of women: literalism, logic, and perfection, S. 84.

19 Ebd., S. 86 nach Ibn Ḥazm, 1985 (Übers. d. Verf.).

20 Vgl. ebd., S. 87 f.

21 Vgl. ebd., S. 90.

22 Ebd., S. 94 (Übers. d. Verf.).

23 Vgl. ebd., S. 95.

24 Vgl. Roger Arnaldez: »Ibn Ḥazm«, in: Encyclopaedia of Islam, Second Edition, Brill.

25 Vgl. ebd.

Akasoy, Anna: »Ibn Ḥazm of Cordoba: the Life and Works of a Controversial Thinker. Edited by Camilla Adang, Maribel Fierro and Sabine Schmidtke«, in: Journal of Islamic Studies 27 (2016), S. 387-390.

Önal, Recep: »İbn Hazm Teolojisinde Teşbîh ve Tecsîm İnancı: Müşebbihe ve Mücessime’ye Yönelik Teolojik Eleştiriler«, in: Cumhuriyet İlahiyat Dergisi 22 (2018), S. 909-938.

Speer, Andreas: Kindler Kompakt: Philosophie des Mittelalters, Stuttgart: J. B. Metzler 2017.

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