Dschalāl ad-Dīn Rūmī und die Entstehung des Maṯnawī

Artikel 23.11.2021 Redaktionsteam

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem wohl bekanntesten und einflussreichsten muslimischen Mystiker, Dschalāl ad-Dīn Rūmī, welcher unter dem Namen Rumi oder Maulana bzw. Mevlana bekannt ist. Nach einer Schilderung seines Lebens wird in diesem Beitrag der Entstehungskontext seines Hauptwerkes, des Maṯnawī, erörtert.


Dschalāl ad-Dīn Rūmī, der Verfasser von unzähligen Oden, Lehrgedichten, Vierzeilern und Briefen, ist nicht nur in der muslimischen Community eine beliebte Persönlichkeit. Seine tolerante und offene Haltung anderen Religionen gegenüber sowie die universelle Botschaft seiner Werke verschaffen ihm internationales Ansehen. So wurde er 2007 von der UNESCO durch eine Gedenkmedaille geehrt. Andrew Harvey beschreibt Rumi in seinem Buch Die Lehren des Rumi. Weisheiten des Herzens folgendermaßen: „In Rumi verband sich der Intellekt eines Platon mit der visionären seelischen Kraft eines Buddha oder eines Christus und der Wortgewalt eines Shakespeare.“1

Zweifelsohne gehört Rumi zu jenen muslimischen Persönlichkeiten, welche die islamische Tradition am meisten geprägt haben. Er wurde 1207 in Balch in der nördlichen persischen Provinz Chorasan (im heutigen Afghanistan) geboren, wo er die ersten 22 Jahre seines Lebens verbrachte.2 Maulana, im Türkischen: Mevlana, war lediglich sein Ehrenname, den er von seinen Anhängern bekommen hatte und was so viel wie unser Meister bedeutet. Rumi stammt aus einer Gelehrtenfamilie. Sein Vater, Bahāʾu d-Dīn, welcher durch niemand Geringeren als seinen Zeitgenossen al-Ġazzālī selbst beeinflusst war, genoss hohes Ansehen in der damaligen Gesellschaft und erhielt sogar den Beinamen „Sultan-ul-‘Ulama“3. Somit startete Rumis Bildung im Hause seines Vaters, wo er die klassisch-islamischen Disziplinen, darunter Uṣūl al-Fiqh (Normenlehre) und ʿUlūm al-Ḥadīth (Hadithwissenschaften), erlernte. Parallel dazu lernte er Arabisch und Persisch sowie andere Disziplinen, wie beispielsweise Mathematik, Physik und Logik. In weiterer Folge übernahm der Schüler seines Vaters, Burhān-ud-dīn Muhaqqiq Tirmiḏī, die Erziehung und Ausbildung von Rumi. Er war sein privater Tutor und unterrichtete einige Jahre später auch Rumis Sohn, was ihm die Anerkennung Rumis einbrachte.4 Als Rumi 22 Jahre alt war, wanderte seine Familie von Balch in die türkische Provinz Konya aus. Nur zwei Jahre später verstarb Bahāʾu d-Dīn und hinterließ seinem Sohn den „Mantel des Königs der Gelehrten“5. Nach seinem Großvater und Vater wurde Rumi zum Oberhaupt der Gelehrtenfamilie, was mit einer großen Verantwortung verbunden war. Zwar hat diese Verantwortung mit dem Tode seines Vaters begonnen, Rumi zog sich allerdings für etwa zehn Jahre zurück, bevor er fortan in den Fußstapfen seines Vaters trat.

Seine ersten Aufenthalte außerhalb seiner Heimat machte Rumi in Syrien. So besuchte er die hanafitische Madrasa-i-Halivia in Aleppo, wo er vom damaligen Direktor der Madrasa, Kamāl ad-Dīn b. al-ʿAdīm (gest. 1262), profitieren konnte, vor allem in Bezug auf die islamische Jurisprudenz.6 Nach seinem Aufenthalt in Aleppo zog Rumi nach Damaskus weiter, wo er erstmals mit Šams ad-Dīn Tabrīzī (gest. 1247) in Kontakt trat, was sich als ein entscheidender Wendepunkt im Leben Rumis herausstellen sollte. Insgesamt soll sein Aufenthalt in Syrien sieben Jahre gedauert haben, bis er schließlich nach Konya zurückkehrte, wo er mit viel Ruhm und Ansehen empfangen wurde.

Eine wichtige These Rumis war, dass „die Theorie des Islams allein, die Nation nicht sehr weit bringen kann“7. Aus diesem Grund war er nicht nur ein Prediger, der den Islam lehrte, sondern ein lebendes Beispiel für das, was er predigte und ein Vorbild für seine AnhängerInnen. So gelang es ihm in einem relativ jungen Alter nicht nur, ein angesehener Prediger zu werden, sondern darüber hinaus avancierte er zu einer wichtigen Persönlichkeit seiner Zeit.

Der entscheidende Wendepunkt in Rumis Leben folgte nach dem Treffen mit Šams ad-Dīn Tabrīzī. Es gibt unterschiedliche Erzählungen darüber, wie dieses Treffen stattgefunden haben soll. Eine von vielen Versionen beschreibt Afzal Iqbal in seinem Buch The Life and Work of Jalaluddin Rumi. Darin findet sich folgende Erzählung: Rumi hielt gerade eine Vorlesung, als ein Mann eintraf und ihn mit folgender Frage unterbrach: „Was ist das?“ Dabei zeigte er auf einen Stapel Bücher. Rumi, irritiert darüber, dass sich überhaupt eine Person getraut hatte, ihn zu unterbrechen, erwiderte: „Du weißt es nicht“, und fuhr mit seiner Lehre fort. Daraufhin begann der Stapel mit den Büchern zu brennen und Rumi wandte sich an den fremden Mann mit der Frage: „Was ist das?“. So erwiderte Šams mit derselben Floskel, wie Rumi davor: „Du weißt es nicht“, und verschwand.8

Auch wenn die Überlieferungen vielfältig sind, steht fest, dass Šams ad-Dīn Tabrīzī plötzlich in das Leben Rumis eintrat und großen Einfluss auf ihn hatte. Denn nach einigen Treffen mit ihm gab er seine Lehrfunktion auf und wandte sich vermehrt der Ekstase zu, was für große Verwirrung bei seinen AnhängerInnen sorgte. „The person who had always regarded music as undesirable now became a great lover of it.”9 Dieser plötzliche Wandel von Rumi sorgte nicht nur für Verwirrung, sondern auch für Verzweiflung und große Eifersucht bei seinen AnhängerInnen, was dazu führte, dass Šams unangekündigt Konya verließ. Das verursachte große Trauer bei Rumi. In dieser Zeit verfasste er vier Oden über die Sehnsucht nach ihm.10 Als seine AnhängerInnen schließlich bemerkten, wie sehr ihr Meister trauerte, holten sie Šams zurück nach Konya. Dieser hatte allerdings keinen guten Ruf in der traditionellen, orthodox ausgerichteten Gesellschaft, da er keinen großen Wert auf die islamische Praxis legte. Als ihn schließlich Rumi offiziell zu seinem Meister erklärte, steigerte dies die Missgunst unter seinen Anhängern und wenig später verschwand Šams. Rund um sein Verschwinden kamen viele Verschwörungstheorien auf. So behaupteten einige, dass er ermordet wurde. Unabhängig davon, hatte der Tod von Šams schwerwiegende Folgen auf Rumi. So schreibt Iqbal: „He was undoubtedly mad, as his contemporaries said, but there was a method in his madness which few seemed to discern at that time. This madness found in music the soothing balm so essential for the restoration of the calm which was to follow the storm brought about by the separation from Shams.”11

In der Folge begann Dschalāl ad-Dīn Rūmī mit dem Verfassen seines Hauptwerkes, dem Maṯnawī, welches vom persischen Dichter Ǧāmī (gest. 1492) später als „der Koran auf Persisch“12 bezeichnet wurde. Rumi selbst nannte es auch Husami Namah, das Buch des Husam. Um das 25 700 Verse umfassende Werk zu vollenden, benötigte Rumi circa zwölf Jahre.13 Seine ersten zwei Bücher handeln vom Selbst, während das dritte und vierte Buch Vernunft und Wissen thematisieren. Die letzten zwei Bücher widmen sich der Hinwendung zu Gott.

Das Maṯnawī weist große Ähnlichkeiten mit dem Kitab-ul-Ma‘arif seines Vaters auf. Iqbal ist diesbezüglich der Meinung: „It appears a case of appalling plagiarism!”14 Doch nicht nur zum Werk seines Vaters weist das Maṯnawī Parallelen auf, sondern auch zum Hauptwerk al-Ġazzālīs, Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn. Dieser Einfluss al-Ġazzālīs ist auf jenen seines Vaters zurückzuführen. Auch wenn die beiden Mystiker Rumi und al-Ġazzālī Gemeinsamkeiten haben, insbesondere was ihren akademischen Werdegang, ihre Lehrfunktion und nicht zuletzt ihren Rückzug aus dem aktiven Leben betrifft, so unterscheiden sich doch die Zugänge beim Verfassen ihrer Hauptwerke. In Iqbals Buch The Life and Work of Jalaluddin Rumi findet man einige Parallelen ihrer Werke. Der Autor merkt Folgendes an: „Both, however, emerged from their seclusion as greater men - protagonists of an intensely personal and passionate religion destined to lead men back from mere scholastic dogma to a living contact with the Qur'an and the Traditions as the best source of Islam.”15

1273 starb Rumi in Konya, wo sich heute das Mevlana-Mausoleum befindet, welches viele Touristen, aber insbesondere Anhänger des Mevlevi-Ordens anzieht.

1 Andrew Harvey: Die Lehren des Rumi. Weisheiten des Herzens. Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2001, S. 12.

2 Vgl. Afzal Iqbal: The Life and Work of Jalal-ud-din Rumi. With a Foreword by Professor A. J. Arberry, Islamabad: Pakistan National Council of the Arts 1991, S. 49.

3 A. Iqbal: The Life and Work of Jalal-ud-din Rumi, S. 51.

4 Vgl. ebd., S. 63-66.

5 Ebd., S. 61.

6 Vgl. ebd., S. 67.

7 Ebd., S. 106.

8 Vgl. ebd., S. 109-110.

9 Ebd., S. 114.

10 Vgl. ebd., S. 117.

11 Ebd., S. 123-124.

12 Ebd., S. 175.

13 Vgl. ebd.

14 Ebd., S. 70.

15 Ebd., S. 72.

Harvey, Andrew: Die Lehren des Rumi. Weisheiten des Herzens, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2001.

Iqbal, Afzal: The Life and Work of Jalal-ud-Din Rumi. With a Foreword by Professor A. J. Arberry, Islamabad: Pakistan National Council of the Arts 1991.

Sağlam, Burcu: »A Discussion on the Myth of Mevlânâ in Modern Turkey«, in: Journal of Intercultural Studies 38 (2017), S. 412-428.

Schimmel, Annemarie: »Mystical Poetry in Islam: The Case of Maulana Jalaladdin Rumi«, in: Religion & Literature 20 (1988), S. 67-80.

Vinzent, Markus: »Practical Mysticism in Islam and Christianity. A comparative study of Jalal al-Din Rumi and Meister Eckhart«, in: Medieval Mystical Theology 26 (2017), S. 161-163.

X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern.